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Am Montag, dem 6. Oktober, heizte Andriette den Samowar, um für sich und Immanuel Tee zu bereiten. Durch die Jahre in Rußland hatte sie Geschmack am Tee gefunden, und es war ihr gelungen, den stattlichen Samowar mit nach Schweden zu retten.

Ludwig war so lieb und schickte ihr regelmäßg Tee aus Petersburg.

Andriette fröstelte. Es fing an kalt zu werden, besonders morgens. Jetzt mußte sie endlich jemanden dazu bringen, ihr die Fensterscheiben einzusetzen! Die Brettstücke, die man in der Eile vor die gähnenden Löcher genagelt hatte, machten die Küche so gut wie unbenutzbar; es war dunkel und es zog. Alfred sagte jedesmal ›ach, ja‹, wenn sie ihn daran erinnerte, und Immanuel seufzte und antwortete, er habe ja den Tischler und den Glaser bereits bestellt. Sie selbst hatte beide Handwerker auch schon erinnert, und diese hatten in der üblichen Weise geantwortet, sie kämen sofort – spätestens am nächsten Tag!

Sie ahnte, warum die Handwerker auf sich warten ließen. Mit gutem Grund hatten sie sich ausgerechnet, daß es wohl lange dauern konnte, bis man sie bezahlte.

Mit Grossist Burmeister war nicht zu reden. Er fühlte sich betrogen und hinters Licht geführt und wollte sich absolut nicht mit Nobels Fenstern befassen. Wollten sie sie repariert haben, mußten sie sie schon selbst bezahlen! Der Grossist hatte genug zu tun, alle Fragen der Behörden und all die Schadenersatzforderungen der Nachbarn abzuwehren. Um nicht von den Klagen seiner anderen Mieter zu sprechen. All das würden letztendlich natürlich die Nobels bezahlen – doch wo war das Geld? In der Zwischenzeit mußte er, der Arme, seine sauer erworbenen Pfennige verauslagen, um das Allernotwendigste machen zu lassen. Wäre es nach Burmeister gegangen, hätte er die Bruchbude in Heleneborg abreißen und von Grund auf Neues bauen lassen! Doch die Drohung ließ die anderen in Zetergeschrei ausbrechen – wohin sollten sie in diesen Zeiten der Wohnungsknappheit?

Mit den Experimenten und dem Geknalle war es jedenfalls vorbei, ohne jedes Verbot Burmeisters. Die städtischen Behörden hatten es untersagt. Daß die Familie Nobel nicht gleichzeitig auf die Straße gesetzt worden war, lag wohl weniger an Burmeisters Gutmütigkeit als an seinen Überlegungen, daß er die Reparaturen dann ganz allein würde bezahlen müssen. Das heißt: Er war gezwungen, die Versicherungssumme in Anspruch zu nehmen, um auch den Teil des Hauses wiederherzustellen, in dem die Nobels wohnten. Sie wußte, daß Burmeister auf dem Polizeiamt eingestanden hatte, daß sein Grundbesitz versichert war. Doch wenn der Winter für die Nobels einigermaßen erträglich sein sollte, mußten sie sich um die Reparaturen selbst bemühen ...

Ach ja! Jetzt hatte sie mehr Tee hineingetan, als sie wollte – obwohl sie wußte, das Emil tot ist, hatte sie dennoch auch einen Löffel für ihn berechnet. Beinahe jeden Morgen ... Alfred aber hatte sie heute nicht berücksichtigt. Er war irgendwo auf Reisen, um Kapital für die Industrie zu beschaffen, von der er träumte. Wie das wohl gehen sollte? Und wo würde er sein verfluchtes Sprengöl fabrizieren, wenn er das Geld bekäme?

›Mama, wir sind doch nicht arm?‹

Sie konnte mitten in aller Trübsal ein Lächeln nicht unterdrücken. Alfreds Frage war in der Familie zu einer stehenden Redewendung geworden, zumindest in den guten Jahren. Jetzt verschwiegen alle diese Erinnerung, auch Alfred. Doch mehr denn je hätte er Grund gehabt, sich zu beunruhigen und zu klagen. Vielleicht war er auch unruhig, obwohl er nichts sagte. Doch Pläne schmiedete er, als besäße er Millionen von Rubeln!

Immanuel war nicht aufgewacht, als sie aufgestanden war. Jedenfalls hatte er sich nicht gerührt. Vielleicht tat er nur so, als schliefe er, um dem neuen Tag nicht begegnen zu müssen. Sein intensives Tun unmittelbar nach dem Unglück war langsam einer stillen Trauer gewichen. Nicht einmal mit Alfred konnte er mehr streiten. Und dann war es wirklich schlecht um ihn bestellt.

Heute wollte sie Väterchen das Frühstück am Bett servieren! Sie stellte den Tee auf ein kleines Tablett und dazu Dinge, die er morgens gern aß – oder zumindest das, was sie davon im Hause hatte; sogar eine Vase mit zwei Astern stellte sie auf das Tablett; sie hatten den verheerenden Brand und die Druckwelle überlebt.

»Guten Morgen, mein Immanuel«, begrüßte sie ihn munter und zog das umgearbeitete Laken vom Fenster. »Hier kommt der Tee, und nun kannst du dir einen richtig faulen Morgen gönnen – den hast du wirklich verdient!«

Er rührte sich noch immer nicht. Sie ging zum Bett hinüber und betrachtete ihn forschend. Doch, wach war er. Aber seine Augen starrten sie so eigentümlich an, so hilflos und entsetzt. Aber er blinzelte, also tot konnte er nicht sein ...

Das Tablett klapperte, als sie es absetzte; seine Augen hatten ihre Hände zittern lassen. Die kleinste Veränderung ließ sie jetzt stets das Schlimmste befürchten – als sei das Schlimmste nicht schon geschehen mit Emils Tod und der Fabrik ... Immanuel bewegte die Lippen, brachte jedoch keinen Ton hervor. Rasch riß sie die Decke zurück und hob seine Hand. Die rechte. Sie folgte schlaff ihrer Bewegung, dann fiel sie sofort wieder auf das Laken zurück. Sie wiederholte das gleiche mit seinem rechten Bein. Bemühte sich eine ganze Weile um ihn und befahl ihm, selbst den Arm und das Bein zu heben und dieses und jenes zu tun. Was zu ihm vordrang von all ihren verzweifelten Versuchen, die alte Maschinerie wieder in Gang zu bringen, wußte sie nicht; sie wußte nur, daß Immanuel einen Schlaganfall erlitten hatte und seine ganze rechte Seite gelähmt war ...

Andriette setzte sich schließlich aufs Bett und weinte still mit abgewandtem Gesicht.

»Jetzt sind wir wirklich arm, Alfred«, flüsterte sie.

Der Samowar blieb an diesem Morgen unbenutzt.

Vier Monate lang war Immanuel bettlägerig und mußte wie ein Kleinkind gepflegt werden. Das Sprechvermögen kehrte jedoch schneller zurück als die Beweglichkeit der anderen Organe. Zuweilen wünschten Alfred und Andriette frevlerisch, daß es umgekehrt wäre.

Robert kam und besuchte seinen vom Schlag getroffenen Vater. Gleichzeitig wollte er mit ihnen über die Bildung einer Gesellschaft sprechen, die Alfred angeregt hatte. Robert schrieb an Ludwig in Petersburg: ›Vater ist gräßlich, wenn er erst einmal anfängt; er kann die Steine zum Tanzen bringen, und ich würde es sicher nicht so lange aushalten wie Alfred. Aber ungeachtet dessen, gefällt mir auch Alfreds Handlungsweise nicht sonderlich. Er ist zu hitzig und auch zu despotisch, und eines schönen Tages liegen sie einander in den Haaren. Sich dem alten Herrn ganz zu fügen, geht ebenfalls nicht an, denn in ökonomischer Hinsicht würde er die ganze gute Sache verderben. Alfreds Stellung ist wahrhaftig sehr schwierig, doch ist Mutter dennoch am meisten zu bedauern, denn sie muß gerechterweise Alfred in Schutz nehmen und hat deshalb von Vater alle möglichen Unerquicklichkeiten zu ertragen ...‹

Der Dynamitkönig Alfred Nobel

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