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Als die Nobels mit ihren Laboratorien endlich in den Fachwerkbau einziehen konnten, kam mit einemmal Leben in Immanuel. Er konnte seiner angestauten, stark komprimierten Energie endlich Luft verschaffen. Die notwendigen Umbauten und Abtrennungen nahm er selbst vor. Lief wie ein Eichhörnchen die Leiter hinauf und hinunter und schien nicht einen Tag älter als seine Söhne.

Enttäuschend war, daß sie das Haus noch eine Zeitlang mit dem Kesselschmied teilen mußten, der von früher her in Heleneborg wohnte. Doch da half nun alles nichts; das Gebäude war dennoch hundertmal besser als der elende Schuppen, mit dem sie sich bisher hatten begnügen müssen.

Immanuels Tüchtigkeit als Konstrukteur kam auch zupaß. Für Alfreds neuen umfangreicheren Nitrierungsprozeß waren ordentliche Bottiche und Behälter vonnöten. Die fortwährende Kühlung erforderte den Zugang zu ausreichenden Mengen Wasser; bei dieser Mechanik kannte Immanuel sich sofort aus und setzte die Sache in die Praxis um. Dann legte er Rohre zu dem Glyzerinbehälter, der über der Anlage montiert war, und versah ihn mit den notwendigen Absperrungen. Den ganzen Winter über hatten sie Eis aus dem See gesägt und in Gruben gelagert. Salz war genügend vorhanden. – Es zeigte sich rasch, daß Immanuel über Alfreds Nitrierungsprozeß doch recht gut Bescheid wußte! Manches davon meinte er zwar schon immer gewußt zu haben, anderes habe Emil bereits herausgefunden!

Soweit es Emils Anteil betraf, entsprach es ganz sicher den Tatsachen. Als Immanuel und Alfred ihre ›Fabrik‹ einrichteten, machte er sich eine Zeitlang von den Studien frei und nahm eifrig an der Arbeit teil – vor allem mit Ratschlägen, obendrein mit guten. Immer aufs neue schlug er Verbesserungen des Nitrierungsprozesses vor, und das ausgehend von theoretischen Berechnungen, auf die nicht einmal Alfred gekommen war. Und sobald Emil Uppsala mit Anstand verlassen konnte, schloß er sich den anderen in Heleneborg an. Er wollte nicht einen Schritt in dieser Aufbauphase verpassen, die die Geburt einer großen Industrie sein konnte!

Je näher Alfred seinen jüngeren Bruder kennenlernte, desto mehr mochte er ihn. Alfred hätte sich keine Gedanken zu machen brauchen, ob Emil die Umstellung vom Leben des reichen Jünglings in Petersburg wohl verkraftet habe. Irgendwelche ›verwöhnten‹ Ansprüche gab es bei ihm nicht. Und niemals berührte er auch nur mit einem Wort die Miseren, die ihn und die übrige Familie ereilt hatten. Emil schaute voran! Mit einem Lebenshunger, um den ihn Alfred ein wenig beneidete und für den er ihn noch mehr bewunderte. Zugleich war er beschämt über sein eigenes Unvermögen, alles Alte hinter sich zu lassen, und über seine Lust, nach Sündenböcken zu suchen. Emil hatte ihn früher wegen seines ›verdrossenen Moralismus‹ gescholten; er mußte sich selbst eingestehen, daß Emil noch immer recht hatte.

Trotz aller Unterschiedlichkeit glichen sich Alfred und Emil in vielem. Emil stürzte sich mit einer Intensität und Ausdauer in die Arbeit, die für einen Zwanzigjährigen vielleicht ungewöhnlich war, die aber Alfreds in nichts nachstand. Eine gewisse Ungeduld teilte er wohl mit Immanuel: Er wollte schnell Resultate sehen, doch ließ er diese Ungeduld nie an einem anderen aus. Und stieß er auf ein Hindernis, über das er nicht zu springen vermochte, dann kroch er einfach darunter hindurch. Begann immer wieder von vorn und gab nicht auf, bis er das Problem gelöst hatte.

Am meisten freute sich Alfred vielleicht über Emils Fähigkeit, ›Ehre‹ teilen zu können. War er auf die Idee zu einer genialen Lösung gekommen, dann erklärte er sofort: »Die Anregung dazu stammt von dir – ich habe nur die Konsequenzen daraus gezogen!« Oder: »Vater, Sie haben das gewünschte Resultat so deutlich beschrieben, daß man nur die Sprossen der Leiter einfügen mußte, dann konnte man sie aufstellen!«

Emil war auch in der Hinsicht ein wunderbarer Mitarbeiter, daß man nie etwas mehr als einmal zu erklären brauchte. Ja, zuweilen schien er Alfred sogar einen Schritt voraus, wenn dieser irgendeinen Prozeß erläuterte. Einmal sah sich Alfred gezwungen, mitten in der Darstellung innezuhalten und zu fragen: »War ich es oder warst du es, der auf diese Idee gekommen ist?«

Emil betrachtete ihn verwundert. »Natürlich du! Doch folgt das zweite so logisch auf das erste, daß es keine Kunst war zu erkennen, daß ...«

Emils Besuche und sein Umzug nach Heleneborg für den Sommer reduzierten auch die Konflikte zwischen Immanuel und Alfred auf ein Minimum. Ganz beigelegt würde der Streit mit Vater wohl nie werden, doch wäre das auch ein Mangel: Die Zusammenstöße mit Immanuel waren zuweilen belebend und hatten auf Alfred die Wirkung eines ›Zünders‹.

Ein solches Talent wie Emil würde es auf seinem Gebiet weit bringen! Gediegene Kenntnisse, die Bereitschaft zu intensiver Arbeit und ein gewinnendes Wesen: Bessere Voraussetzungen kann ein junger Mann wohl nicht mitbringen!

Andriette war glücklich, zwei ihrer Söhne bei sich zu haben, und benutzte sie als Vorwand, um im Laden aufzuhören; einer mußte ja diesen drei unpraktischen und vergeßlichen Männern den Haushalt führen, die mitunter Tag und Nacht arbeiteten, ohne sich eine Essenspause zu gönnen – wenn sie sich nicht darum kümmerte. Ein wenig hatten auch die Söhne sie verleitet, zu Hause zu bleiben und ihre Kräfte zu schonen – noch besaßen sie ja etwas von den 6000 Reichstalern, die sie für Carlsborg bekommen hatten ...

Alfred hatte während des Frühjahrs einen Brief nach dem anderen geschrieben. An das Zinkbergwerk in Åmmeberg. An den Feldspatbruch der Gebrüder Winkler auf den Inseln Stora Rösholmarna in den Stockholmer Schären. An den Bauunternehmer des Südtunnels – er hatte den Auftrag, die Passage für die ›Verbindungsbahn‹ zwischen dem Südbahnhof und dem Hauptbahnhof zu sprengen. An die Brüder in Rußland und Finnland: Sie sollten erfahren, wie weit man in Heleneborg gekommen war – und außerdem gab es für sie ja potentielle Märkte zu bearbeiten.

Hinsichtlich der Verbindungen in östlicher Richtung hatte Alfred noch manche Schwierigkeiten; ihm fiel es schwer, sich bezüglich der Datierung den verschiedenen ›Schreibstilen‹ anzupassen. Stets aufs neue vergaß er, daß die russische Zeit der schwedischen vierzehn Tage voraus war: Es war so verwirrend, einen Brief am 1. März zu datieren – und dann die Antwort vom 22. Februar zu erhalten ...

Alfreds zahlreiche Briefe an Steiger und Sprengmeister zogen viele Reisen und Demonstrationen nach sich. Sowohl Disponent Schwartzmann in Åmmeberg als auch die Gebrüder Winkler waren hinsichtlich des Sprengöls des Lobes voll und versprachen Bestellungen. Der Bauunternehmer des Südtunnels lobte es zwar ebenfalls und schrieb ein paar schöne Zeugnisse über dessen Effektivität – doch Bestellungen stellte er nicht in Aussicht. Noch nicht ...

»Dieser Maulwurf glaubt, ich werde ihm seinen Tunnel völlig gratis sprengen!« brummte Alfred. »Wie viele Demonstrationen haben wir nicht schon in seinem elenden Bohrloch vorgenommen?«

Doch eines war klar: Diese Demonstrationen fanden an einem wirklich zentralen Ort statt und konnten von einer großen Menschenmenge gesehen werden. Das war gute Reklame. Noch besser war das Zeugnis der Gebrüder Winkler: Sie versicherten, das Sprengöl breche pro Salve sechs- bis achtmal soviel Sprengmasse heraus wie das Schwarzpulver.

Alfred fuhr mit seinen Kanistern unverdrossen durch die Gegend, füllte Sprengöl in Bohrlöcher, erhielt viel Lob und große Versprechungen. Doch was half das! Wenn die bescheidene Fabrikation in Heleneborg kaum mehr hergab, als bei den Proben und Demonstrationen verbraucht wurde.

Der Nitrierungsprozeß war nicht effektiv genug, er mußte umkonstruiert und ausgebaut werden. Emil löste die technischen Probleme – doch jetzt fehlte Geld: Die Kasse war gähnend leer ...

Alfred entschloß sich, noch einmal mit der Bettelschale nach Paris zu reisen. Doch dieses Mal hegte er größere Hoffnungen als damals, als er versucht hatte, ›Nobel & Söhne‹ zu retten. Ungeduldig stapfte er vor dem Kontor des Kommerzkollegiums umher und wartete darauf, endlich den Anschlag seines neuen Patents an der Tafel zu erblicken. Er wußte, daß es bereits am 10. Juni bewilligt worden war – warum, zum Teufel, mußte dann mehr als ein Monat vergehen, ehe der Beschluß rechtskräftig wurde!

Na also, schließlich und endlich – da war es! Er riß die beglaubigte Abschrift an sich und rannte beinahe zum Bahnhof, um den Zug nach Paris zu erreichen.

Von seinen früheren Kontakten her wußte er, daß ein Bankhaus, das Crédit Mobilier, sich auf Kredite eben für große Projekte wie Eisenbahnen, Kanäle und Brücken spezialisiert hatte.

Im Zug übersetzte er das Patent ins Französische. Die beglaubigte Reinschrift ließ er in der schwedischen Gesandtschaft anfertigen. Dann suchte er um eine Unterredung bei den Bankiers der Crédit Mobilier nach. Überreichte seine Zeugnisse. Das von Åmmeberg brauchte er nicht zu übersetzen. Glücklicherweise gehörten die Gruben dort einer belgischen Gesellschaft, und die enthusiastischen Lobworte über das Sprengöl waren in einem zierlichen, blumigen Französisch verfaßt.

Die Herren der Crédit Mobilier lasen das Schreiben und dachten nach, nickten und sprachen ihre Zufriedenheit aus. »Sind Sie selbst Franzose, Monsieur Nobel? Sie sprechen unsere Sprache, als wäre sie ihre Muttersprache.«

»Nein, aber ich hatte die Freude und die Ehre, eine längere Zeit hier in Paris weilen zu dürfen – als Schüler von Professor Pelouze. Sonst bin ich in St. Petersburg aufgewachsen. Als ›Sohn‹ der ›Fonderies et Atéliers Mécaniques, Nobel et Fils‹ – bekanntlich eine angesehene Firma, bis der russische Markt nach dem Krimkrieg kollabierte ...«

Er wußte nicht, ob es vermessen war, die Bankiers an diese Tatsache zu erinnern. Aber – sie würden sich höchstwahrscheinlich nach seinem Hintergrund erkundigen, und da war es wohl das beste, wenn er selbst schon darauf eingegangen war. Offensichtlich paßten Schloß und Schlüssel hier zusammen, denn nachdem sie noch ein paarmal bestätigend genickt und Blicke ausgetauscht hatten, kam die Frage: »Wieviel benötigen Sie?«

Alfred überreichte ein Kalkül. Erweiterung der Fabrik, Rohstoffe, Distribution, Patentgesuche in einer Anzahl Länder: Die Ziffer erreichte die 100 000 Franc.

»Hmm ... Wie lange bleiben Sie in Paris?«

»Am liebsten würde ich bei nächster Gelegenheit heimfahren. Der schwedische Markt wartet ungeduldig auf unsere Produkte. Ich muß meine Patentgesuche so schnell wie möglich auf den Weg bringen. Ich ...«

»Monsieur Nobel, dürfen wir Ihnen vorschlagen, die Patent-Angelegenheit mit dem Anwaltsbüro Armengaud hier in Paris zu besprechen. Wir haben die besten Kontakte zu Armengaud, und sie haben einen guten Ruf als Patentanwälte. Wir glauben, sie können ihnen helfen – überbringen Sie Grüße von uns. In der Zwischenzeit, gestatten Sie uns, daß wir Ihr Dossier ein wenig näher studieren ... Können Sie zurück sein, sagen wir, um vier Uhr heute nachmittag?«

Das, meinte Alfred, ließe sich gut einrichten. Er hatte den Bescheid nicht so schnell erwartet! Vielleicht hatte seine Eile der Sache mehr geschadet, statt sie zu beschleunigen ...? Nun, das würde er um vier Uhr sehen!

Er suchte die Straße ›Der fischfangenden Katze‹ auf, um nach dem kleine Café zu sehen, an das er sich aus seinen romantischen und tragischen Tagen als verliebter Siebzehnjähriger erinnerte.

Das Café lag noch immer an seinem Platz!

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