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In Petersburg hatte Alfred zwei vortreffliche Chemielehrer gehabt. Nikolai Zinin und Juli Trapp. Beide Professoren, Zinin an der Akademie für Medizin und Chirurgie und Trapp an der Technischen Hochschule. Außer Chemie unterrichteten sie Alfred und seine Brüder auch in Physik und Mathematik. Nachdem die Brüder ihre Studien beendet hatten, verblieben die beiden Professoren als Berater bei der Firma Nobel.

Zinin hatte bei dem berühmten Pelouze in Paris studiert, dem Giganten unter Europas Chemikern. Pelouze war ein naher Freund des schwedischen Genies Berzelius gewesen. Als Zinin nun nach Paris fuhr, um seinen alten Lehrer zu besuchen und das Unterrichtslaboratorium zu besichtigen, das Pelouze eröffnet hatte – was war da natürlicher, als daß er seinen jungen schwedischen Schüler Alfred Nobel aus Petersburg mitnahm!

Unter all den früheren Schülern Pelouzes, die wahnwitzige oder kluge Projekte hinterlassen hatten, war der Italiener Ascanio Sobrero gewesen. Diesem war es 1846 oder 1847 gelungen, einen Sprengstoff herzustellen, den er Pyroglyzerin nannte. Sobrero hatte sein Ergebnis erzielt, indem er Glyzerin tropfenweise und unter ständigem Rühren einer Mischung aus zwei Teilen Schwefelsäure und einem Teil Salpetersäure zusetzte. Wichtig war, daß die Säuremischung unter Null Grad gehalten wurde. Die Emulsion, die Sobrero erhielt, schüttete er in Wasser; das Pyroglyzerin konnte dann als schwere, ölige Flüssigkeit vom Boden abgelöst werden.

Der Stoff war hochexplosiv und bei 180 Grad selbstentzündlich. Doch er verhielt sich eigenwillig und launisch. Zündete man einige Tropfen an, brannten sie einfach wie jedes andere brennbare Material auch. Gab man hingegen während des Herstellungsprozesses nicht acht oder unterließ man, die Säuren tiefzukühlen, konnte das Produkt rasch die kritische Gradzahl erreichen – und dann explodierte der ganze Ansatz. Das Pyroglyzerin mit einer Zündschnur zur Detonation zu bringen, hatte sich als unmöglich erwiesen. Hingegen reagierte es empfindlich auf kräftige Schläge.

Zinin hatte die Kenntnis darüber aus Paris mitgebracht. Und vor Immanuel demonstrierte er nun das Bravourstück, das er seinen Schülern vorzuführen pflegte. Zuvor öffnete er jedoch die Fenster. Danach träufelte er ein paar Tropfen aus einer Flasche auf einen Amboß. Die gelbliche Flüssigkeit verlief und bildete einen Fleck.

»Schauen Sie«, forderte er sie auf, »der Fleck ist größer als bei Wasser. Warum, Alfred?«

»Weil die Viskosität anders ist als bei ...«

»Eben! Doch schauen Sie nun, was passiert – und was nicht passiert!«

Zinin hob den Hammer und schlug direkt auf den Fleck ein. Ein ohrenbetäubender Knall ließ Immanuel instinktiv sein Gesicht schützen.

Alfred ging die Fenster wieder schließen. Zinin hatte in seinem Leben schon viele Fensterscheiben zertrümmert und war durch den Schaden klug geworden.

»Sehen Sie, Herr Nobel: Die Flüssigkeit, die vom Hammer getroffen wurde, ist explodiert – der Rest aber liegt noch auf dem Amboß. Ja, er ist noch nicht einmal verspritzt worden ...« Immanuel starrte offenen Mundes.

»Weshalb griff die Explosion nicht auf den ganzen Fleck über?« fragte er.

»Eben: weshalb! Lösen Sie das Rätsel – und Sie besitzen einen Sprengstoff mit, würde ich glauben, fünfzigfacher Kraft des Schwarzpulvers!«

Immer noch auf den öligen Fleck starrend, kniete sich Immanuel vor den Amboß:

»Professor Zinin, wie, sagten Sie, heißt die Flüssigkeit?«

»Sobrero nannte sie Pyroglyzerin. Ich selbst würde sie Nitroglyzerin nennen wollen.«

Er legte die Gründe dar, doch Immanuel unterbrach ihn: »Ich werde ihn zähmen und ihn in meinen Minen zur Detonation bringen!«

Alfred stöhnte auf. Da hatten sich so weltberühmte Chemiker wie Pelouze und Sobrero vergebens bemüht, dieses Teufelszeug zu ›zähmen‹! Ja, Zinin und Trapp waren selbst fähige Chemiker. Dennoch hatte keiner von ihnen einen Weg gefunden, wie das zu bewerkstelligen sei – und nun war sich der Autodidakt Immanuel Nobel sicher, daß gerade ihm es glücken würde ...

Nun ja, Zinin und Trapp kamen mit all den guten Ratschlägen, die sie erteilen konnten. Und Alfred führte widerwillig eine Reihe Versuche durch, die der Vater befohlen hatte, obwohl er bereits wußte, daß sie zu nichts führten. Noch nicht. Erst mußte man die chemische Zusammensetzung des Nitroglyzerins bestimmen: Das war Sobrero nicht gelungen. Sobrero vermutete, daß der Stoff durch ›den Austausch zweier Äquivalente Wasser durch zwei Äquivalente Salpetersäureanhydrid‹ gebildet worden war. Doch davon wurde in der Praxis niemand so sehr viel klüger!

Immanuel gab nicht auf. Er tauschte das Schwarzpulver in seinen Minen durch Nitroglyzerin aus. Und die Mine brannte, gelb und schön – doch explodierte sie nicht.

Hingegen knallte es in seinem Laboratorium immer öfter – weder er noch Alfred konnten sagen, warum. Eines Nachts wurden nahezu alle Fensterscheiben im Fabrikgelände herausgedrückt – glücklicherweise war um diese Zeit niemand dort, doch unglücklicherweise konnte so auch niemand sagen, was die Explosion ausgelöst hatte.

Während der fruchtlosen Versuche ging der Krieg zu Ende. Die Firma ›Nobel & Söhne‹ geriet unter der ökonomischen Last ins Wanken. Dennoch hatte Alfred den Auftrag, Pelouze aufzusuchen, als er in Paris Kredite erwirken sollte. Immanuel wollte den letzten Hoffnungsschimmer fangen, ehe dieser im Meer des Konkurses versank: Löste er das Rätsel des Nitroglyzerins, konnte sein Lebenswerk weiterbestehen – dann lag ein unendlich großer Markt offen vor ihm, auch wenn gegen alle Vermutung ewig Frieden herrschen sollte!

Doch bei Pelouze waren keine neuen Ratschläge zu bekommen: Seit langem hatte er alle Hoffnung auf das Nitroglyzerin aufgegeben und den Tag verflucht, an dem er Sobrero veranlaßt hatte, die Mysterien der Salpetersäure zu erforschen.

›Nobel & Söhne‹ machte Bankrott, und Immanuel Nobel kehrte nach Schweden zurück. Zumindest Immanuel teilte zu dem Zeitpunkt Pelouzes Ansicht, das Nitroglyzerin sei in der Praxis nicht anwendbar.

Ludwig Nobel hatte ein kleines Kapital zusammengespart. Mit Hilfe seiner Brüder und der von Kreditgebern glückte es ihm, auf der Wyborgseite der Newa eine kleine Maschinenfabrik einzurichten. Ganz in der Nähe hatten Robert und Alfred eine Wohnung bezogen, solange Robert noch in Petersburg verblieben war. In der Küche hatte Alfred sein Laboratorium. Jede freie Stunde verbrachte er dort, nachdem Ludwigs Firma sich erst etabliert hatte. Und jetzt, viele Jahre später, womit befaßte er sich wohl – mit dem Nitroglyzerin. Tag und Nacht.

Daß Alfred jetzt wußte, was er da eigentlich tat, wäre zuviel gesagt. Doch hatte er zumindest eine Reihe einfacherer und billigerer Methoden zur Herstellung des Nitroglyzerins entwickelt. Sobreros Methode war entsetzlich teuer und ergab nur eine kleine Menge fertiges Nitroglyzerin. Die ›Frostmischung‹, die erforderlich war, damit das Nitroglyzerin nicht von der freien Salpetersäure angegriffen wurde, war ebenfalls furchtbar schwer zu fertigen und dann in diesem Zustand zu halten. Er hätte die halbe Newa in einer Eiskammer haben müssen, um sich das ganze Jahr über selbst versorgen zu können! Also versuchte Alfred einen anderen Weg: Er sättigte die Salpetersäure sofort mit Glyzerin; so konnte die Temperatur auf 20 Grad steigen, ohne sich schädlich auf das Produkt auszuwirken. Ließ er jedoch der gesättigten Mischung dann kontinuierlich Schwefelsäure zuführen, wie Sobrero es getan hatte, stieg die Temperatur dennoch so rasch, daß sie bald bei achtzig Grad angelangt war – und dort irgendwo zerfiel das Nitroglyzerin. Also zog er es vor, kleine Mengen nach und nach zuzusetzen und die Mischung dann stets aufs neue zu kühlen. Zugießen, kühlen, zugießen, kühlen – bis der ganze Prozeß beendet war.

Bestenfalls erhielt er bei dieser ›kalten‹ Methode etwa ein Skålpundb Nitroglyzerin aus cirka drei Skålpund Schwefelsäure und anderthalb Skålpund Salpetersäure; vom Glyzerin wurden etwa 60 Ortc verbraucht. Der Prozeß war zeitraubend – und wie er auch rechnete, es blieb ein weiter Weg vom Laboratorium zur Fabrikation! Doch gewiß konnte man Maschinen konstruieren ...

Wenn die Zeit drängte und er keine Rücksicht auf die partielle Zersetzung des Nitroglyzerins zu nehmen gedachte, setzte er zuweilen die ganze Salpetersäure und alles Glyzerin auf einmal unter schnellem Umrühren zu; dann goß er das Ganze sofort in kaltes Wasser. So ging natürlich ein Teil verloren – jedoch war es nicht sehr viel. Für normale Proben verwendete er diese schnellere, ›warme‹ Methode, auch wenn sie kostspieliger war.

Doch – immer blieb es ein Problem, das Nitroglyzerin unter kontrollierten Bedingungen zur Detonation zu bringen ... Bereits zu einem früheren Zeitpunkt hatte er Schwarzpulver mit Nitroglyzerin vermischt. Das hatte keine nennenswerte Wirkung gehabt. Das poröse Schwarzpulver sog das Nitroglyzerin auf, und nach ein paar Stunden wurde es inaktiver und brannte langsamer, statt umgekehrt.

Der Dynamitkönig Alfred Nobel

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