Читать книгу Der Normannenfürst - Rune Pär Olofsson - Страница 6
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ОглавлениеEines Morgens im Mai, gerade bei Sonnenaufgang, wurde Popa von heftigen Hornklängen geweckt. Die Wächter müssen ungewöhnlich aufgeregt sein, dachte sie, deren Hörner hören sich an wie Junghähne. Dann hörte sie draußen Fußgetrappel und aufgeregte Rufe: „Die Normannen! Die Normannen!“
Nur mit einer Tunika über den nackten Körper geworfen sprang Popa aus dem Zimmer und vor zur Burgmauer. Ihr Mund stand offen und sie atmete kurz. Das Wetter war ganz ruhig, die Segel waren aufgerollt; dennoch flogen die Schiffe ohne Wind auf der Aure. Auf dem Rücken der Springflut ritten die Drachenboote der Normannen den Fluss hinauf, schneller als Pferde.
Die Glocken der Kathedrale begannen zu läuten, gerade als die Normannen ihre roten Schilde von den Relingen hoben und Männer, die sie nicht sah, Ruder fällten, um die Fahrt zu bremsen, sodass die Schiffe nicht an der Stadt Bayeux vorbeigetragen wurden. Zwölf Schiffe konnte sie zählen, bevor sie sich im Hafen zusammendrängten.
Der Anblick schlug Knoten in ihre Därme. Sie war 18 Jahre alt und hatte über die pfeilschnellen Überfälle der Normannen gehört, solange sie sich erinnern konnte. Aber niemals vorher hatte sie dergleichen bezeugt. Der Anblick war nicht einfach nur erschreckend. Das Bild war auch schön. Die schrägen Sonnenstrahlen des Maimorgens schlugen Echos aus Helmen und Klingen, als die Männer von den schlanken Schiffen an Land sprangen. Sie fühlte es unter den Achseln und im Schoß feucht werden, atmete aus und sagte laut: „Endlich!“
Endlich kam der Überfall, auf den sie so lange gewartet und sich so viele Male vorbereitet hatten. Doch kam er ohne Warnung. Wie beim vorigen Mal und davor ...
Vielleicht erinnerte sie sich falsch. Vielleicht war sie beim letzten Mal zu klein. Vielleicht war sie nicht einmal in Bayeux. Aber sie hatte die Geschichten so oft gehört, dass sie meinte, dabei gewesen zu sein. Der Fluss strotzte von Normannen. Grölende Fremde fuhren in die Häuser und kamen mit den Armen voll Diebesgut wieder heraus. Beim nächsten Mal kamen sie mit denen herausgeschleppt, die im Hause wohnten - die es nicht geschafft hatten, in die Stadt zu fliehen oder zu den Mönchen ins Kloster. Einige lagen bereits still, während das Blut den Boden um sie herum färbte - sie hatten versucht, ihre Werte zu verteidigen, entweder waren es Dinge oder die Schöße ihrer Frauen. Die Gefallenen waren Männer oder waren es gewesen. Einige waren Frauen. Die Frauen wurden zum Kai heruntergetrieben, wo andere Normannen sich ihrer zur Sortierung annahmen. Die Jungen und die mit festem Fleisch sollten an Bord genommen werden. Die Alten durften laufen. Kleine Kinder, die sich weiter an ihre Mütter klammerten und nicht loslassen wollten, erhielten die Axt in den Schädel, und so waren sie vom Jammer der Welt erlöst ...
Immer noch lärmten die Glocken in der Kathedrale. Ja, eine Kathedrale hatten sie in Bayeux, aber keinen Bischof. Er war mit Frau, Kindern und Buhlen in sicherere Gebiete geflüchtet - wenn es jetzt noch immer irgendwelche sicheren Gebiete im Reich des fränkischen Königs gab. Die Klostermauern hatten den Brechern der Normannen nicht standgehalten. Und nachdem die Mauern gestürzt waren, erhielten die Plünderer viele neue Männer und Frauen, die sie gebunden zu den Schiffen führen konnten. Gefangene brachten gute Preise in den Heimatländern der Nordmänner und an den englischen Herrenhöfen. Wozu die Frauen außerdem taugten, konnte sie sich vorstellen.
Dieses Mal gab es kein Kloster und keine Höfe außerhalb von Bayeux. Alles war niedergebrannt; das Kloster wurde wegen seines Widerstandes abgebrannt. Nun galt der Überfall Bayeux selbst. Dessen Mauern waren bisher zu dick, selbst für die Normannen. Von der Burg aus hatte ihr Vater, Graf Odo Berenger, den Widerstand mit frecher Lust geleitet. Die Normannen mochten das siedend heiße Öl nicht, das sie ins Gesicht bekamen, als sie auf den Enterleitern hingen. Genauso wenig die warme Pisse, die die Frauenzimmer in deren Augen kippten. Während der oberste Räuber auf der Leiter gerade sichtbar wurde und nicht am sichersten auf den Beinen war, bekam er einen Hieb mit einer Brotschaufel und stürzte von der Leiter. Dem nächsten Enterer erging es nicht besser. Die Verteidiger setzten sich hin und schissen direkt in die Hände - dann warteten sie, bis der Augenblick am günstigsten war. Der Augenblick kam, wenn der Enterer sein Bein über die Mauerkrone schwingen wollte; bisher hatte er sich mit Schild und Spieß geschützt, aber jetzt war er für eine kleine Weile preisgegeben. Die mutigsten Frauen flogen nach vorn und mauerten seine Augen mit der offenen Hand zu. Dann half es nicht, wenn er brüllte und um sich stach, weil er nichts sah. Der Pfeil kam von der Mauerinnenseite und saß quer durch seinen Hals und Sekunden darauf war ihm rückwärts auf den Weg geholfen, auf dem er gekommen war. Im Fallen riss er andere Kameraden mit sich zu Boden.
Popa lachte über diese List. Ihr Vater hatte lange und genau instruiert und die Bürger hatten gemeint, die Idee sei erheiternd und lernten schnell.
„Alle nehmen Eimer mit sich zur Mauer und lassen ihr Wasser dorthinein. Die mit Darmdrang halten sich am längsten zurück und begeben sich zur Krone. Die Pechsieder sollen ihre Kessel Tag und Nacht kochend halten, auch wenn es ein halbes Jahr oder mehr ruhig war. Jedes Viertel hat Verantwortung für sein Stück der Mauer, denkt daran. Ich weiß, wer von euch verantwortlich ist, die Wachen in gleichen vier Stundenläufen zu verteilen, und wer sich versäumt, verliert Fuß und Hand. Die Ölmischung muss siedend gehalten werden und nicht lauwarm und ...“
Ja doch, sie wussten. Und besonders stolz waren die Frauen der Stadt über die Rolle, die sie bei der Verteidigung spielen durften. Dass die Mauern bisher keinen Normannen über die Krone gelassen hatten, war zu einem großen Teil ihr Verdienst. Sein Wasser auf Befehl zu lassen, war nun nicht das Leichteste; die Spannung verschloss gern die Fluten. Dagegen brauchten die Bäuche keine besondere Aufmunterung, die wurden im Gegenteil ungewöhnlich schnell gelöst, und davon wurden die Verteidigungsmittel ja keineswegs schlechter. Um die Wahrheit zu sagen, hatten auch viele der Männer zum Willkommensgruß beigetragen, aber es biss offenbar besser, wenn der Schimpf von den Frauen kam. Auf andere Weise konnte man nicht erklären, weshalb der Überfall zum Stehen kam und die Normannen sich um das Feldzeichen scharrten und berieten. Währenddessen hatte sich ein Reitertrupp aus einem der kleineren Tore auf der Landseite begeben. In voller Karriere ritten die Reiter dann quer durch den unvorbereiteten Normannenhaufen. Einige der Räuber hatten sie gefällt, aber meistens deshalb, um an einige von denen zu kommen, die der Graf als Anführer ausgemacht hatte. Einige von diesen stürzten sie mit ihren Lanzen nieder, aber so vorsichtig, dass sie nicht totgeschlagen wurden. Dann wendeten sie genauso schnell zu den großen Toren, die Gefangenen hinter sich schleppend, wurden mit ihrer Beute eingelassen und Tor und Fallgitter landeten sicher auf ihren Plätzen, bevor die Normannen hinterherkamen.
Der Ausfall dauerte nicht länger als es braucht, ein Paternoster und zwei Ave zu lesen. Graf Odo lobte, tadelte aber teilweise auch; ein paar der Gefangenen hatten die Reiter so unbedacht behandelt, dass sie bereits tot waren. Die Reiter hatten sich damit begnügt, die Gefangenen zwischen sich zu nehmen, jeder an einem Bein. Der Nacken war dabei gezwungen, die Galoppschritte zwischen dem Feldzeichenmann und dem Stadttor in Bayeux zu zählen, und das hatte der nicht ausgehalten.
Der Zorn des Grafen ermattete inzwischen sofort, da es sich zeigte, dass es den Reitern geglückt war, den Marschall der Normannen, wie sie ihn nannten, zu greifen. Einen besseren Fang konnten sie nicht gemacht haben.
Der Marschall war natürlich beschämt. Wie sich zeigte, hieß er Botho, und er drohte mit allen Gruseligkeiten des Abgrundes, wenn ihm auch nur ein Haar auf dem Kopf gekrümmt würde. Da würde sein Herr, Rolf, alle Normannen, die vor Frankreichs Küste zu finden waren, sammeln und Bayeux einschließen und die Bürger aushungern lassen, bis sie vor Ermattung starben oder sich auf Gnade und Ungnade ergaben. Obwohl an Gnade nicht zu denken war, Jung wie Alt, Mann wie Frau sollten erschlagen und von ihrer Stadt kein Stein auf dem anderen gelassen werden. Graf Odo und die Bürger hörten zu, ohne die Worte zu verstehen, die Botschaft konnten sie jedoch erraten. Der Graf riet zur Ruhe, umso mehr, als er sah, ein Schiff stach mit schnellem Ruderzug den Fluss hinab, während die übrigen Normannenhaufen müßig auf und um den Schiffen herumlagen. Nach einem Tag kam das ausgesandte Schiff zurück. Und nun hatten sie einen Mann dabei, der fränkisch sprechen konnte. Mit gewendetem Schild kam der Mann mit seinem Gefolge in Hörweite. Damit erfuhren die Verteidiger, was sie bereits wussten, und hörten die Drohungen, die sie bereits kannten. Ein Detail war jedoch neu: Rolf und seine Anführer boten Bayeux ein Jahr Frieden, wenn Botho schnell und gesund zurückgeliefert würde. Sonst!
Graf Odo und seine Leute dachten über dieses Angebot eine Weile nach, aber nicht länger als notwendig. Es war etwas auf dem Wege, worauf sie gehofft hatten. Vorausgesetzt, man konnte sich auf die Normannen verlassen? Botho versicherte, dass man das konnte: Er selbst würde dafür bürgen.
„Wir haben wohl mehr Freude an einem ganzen Jahr Frieden für eine Stadt als an einem normannischen Anführer im Keller“, meinte Graf Odo.
Also wurde Botho zu den Normannen herausgelassen; die übrigen Gefangenen sollten als Geiseln für ein Jahr verbleiben, zur Erinnerung, falls deren Herren sich vergessen sollten.
Während des Jahres, das vergangen war, wurde Bayeux mit großem Eifer zusätzlich befestigt. Vor einem Monat war dann die Frist ausgelaufen. Am Tag ein Jahr nach Bothos Gefangennahme segelte ein Normannenschiff die Aure herauf. Es hatte Friedensschilde aufgesetzt und war allein, weshalb sich keine Unruhe bei den Verteidigern zeigte. Das Geschäft des Schiffes war, die zurückgelassenen Geiseln zu holen. Aber Graf Odo hielt vor, in diesem Fall müssten neue Geiseln gestellt werden: Er war keinesfalls damit einverstanden, die normannischen Krieger für Nichts herauszulassen.
„Nichts? Du hast für ein Jahr Frieden erhalten. Nennst du das Nichts, sollst du bald etwas anderes erfahren. Da kann es geschehen, dass du meinst, nur ein Tag Frieden sei Gold wert.“
„Da sagst du etwas. Ich nehme gern Gold im Austausch für diese Großesser.“
Nach einer weiteren Weile Gezänk gingen die Sendboten auf das Schiff zurück. Als sie zurückkamen, waren sie mehr. Wie Odo erraten hatte, hatten sie damit gerechnet, neue Geiseln stellen zu müssen. Drei vollgerüstete Männer wurden nun zum Tor geführt, mit den Händen um die Schwertschneiden und die Griffe gegen Graf Odos Leute gewandt. Der Austausch geschah; die gefangenen Normannen wurden freigelassen und die Geiseln herein. Darauf eilten die Normannen zum Schiff, legten ab und verschwanden.
Die Geiseln wurden entkleidet und als drei friesische Nonnen befunden.