Читать книгу Verlorenend - Fantasy-Epos (Gesamtausgabe) - S. G. Felix - Страница 14
Lügen
ОглавлениеStunden waren vergangen.
Marschieren. Marschieren. Nichts als Marschieren.
Der Waldboden war überwiegend bedeckt mit einem fleischigen Teppich aus dunkelgrünem Moos. Es war so dicht und eben, dass man umgestürzte Bäume oder einen Fuchsbau darunter nicht einmal mehr erahnen konnte.
Die Bäume waren nicht besonders hoch, dafür aber stark und schienen mit jedem Meter, den sie liefen, größer zu werden. Antilius konnte die meisten Baumarten nicht bestimmen. Er kannte sie nicht. Nichts kannte er hier. Es war alles anders als in seiner Heimat, der Vierten Inselwelt. Es war fremd. Und trotzdem war es unheimlich faszinierend.
Er befürchtete, dass sie bei diesem Tempo wohl noch Dutzende von Tagen unterwegs sein würden.
Hoffentlich hält Pais durch, dachte sich Antilius, denn der alte Mann schnaufte ziemlich laut und schien schnell zu ermüden. Vielleicht wäre es besser gewesen, er hätte ihn nicht mitgehen lassen. Und noch während er darüber nachdachte, plumpsten sie regelrecht aus dem Baummeer heraus in eine offene Ebene. Direkt dahinter lag ein gewaltiger tiefblauer See. Er war so groß, dass sie dessen Ende am Horizont nur schemenhaft ausmachen konnten. Eine blutorangefarbene Sonne strotzte knapp über dem wolkenlosen Horizont. Die letzten Sonnenstrahlen des Tages ließen glitzernde Punkte auf dem Wasser tanzen.
Die grasbewachsene Hügelkette, die fast den ganzen See umgab, wirkte in dem Abendlicht wie ein warmer Schal, der sich um das Wasser legte.
Antilius hatte noch nie zuvor so ein atemberaubendes Panorama gesehen. Es strapazierte regelrecht die Sinne. Ein perfekter Ort, um hier die Nacht zu verbringen.
Pais nahm dankbar auf einem großen Stein Platz, der sich als bequemer herausstellte, als er aussah. Er seufzte. »Ach! Hier ist es wunderschön. Hier nicht zu rasten, wäre eine Beleidigung für die schöne Landschaft.«
»Keine Sorge, Pais. Für heute sind wir genug gewandert. Hier können wir unsere Kräfte wieder auffrischen. Wir werden sie garantiert noch brauchen. Ich werde Feuerholz sammeln«, sagte Antilius und gab den Spiegel an Pais, der ihn nur widerwillig annahm.
»Ich bin völlig erledigt«, schnaufte der alte Mann.
»Ja, das war wirklich ein äußerst anstrengender Tag«, pflichtete ihm Gilbert bei und fing sich damit einen irritierten Blick ein.
»Was hat dich denn bitte heute so sehr angestrengt? Etwa mich zu erniedrigen oder uns fast in den Tod zu schicken?«
»Nun sei mal nicht so ungemütlich! Ich sagte dies lediglich aus einem Gefühl freundschaftlicher Anteilnahme heraus.«
»Du spinnst doch.«
»Du auch.«
Pause.
»Musst du eigentlich immer das letzte Wort haben, Gilbert?«
Pause.
»Ja.«
Pais schüttelte verärgert den Kopf und schwieg.
Nachdem das Feuer entzündet war und Pais und Antilius ihre Wegrationen aufgegessen hatten (noch herrlich frisches Landbrot mit Käse), legten sie sich auch sogleich schlafen.
Die Nacht verlief ruhig. Antilius war es nicht gewohnt, im Freien zu übernachten. Mehrmals wachte er in der Nacht auf, weil er meinte, etwas gehört zu haben. Vor allem die Piktins, die es hier geben sollte, machten ihm Angst. Aber Pais’ Schnarchen war wahrscheinlich so laut, dass es wohl jedes Lebewesen in einem kilometerweiten Umkreis verschreckte.
Nach zehn weiteren Tagen der Wanderung war es mit der Motivation der Reisenden nicht gerade zum Besten bestellt.
Den See hatten sie schon weit hinter sich gelassen und mit jedem weiteren Schritt wuchs die Unsicherheit, ob sie auch wirklich die richtige Richtung eingeschlagen hatten.
An diesem elften Wandertag hatte es den ganzen Morgen nur gegossen und am Spätnachmittag waren sie immer noch völlig durchnässt.
Pais fiel immer weiter zurück. Ein derart langer Marsch war für ihn eine harte Bewährungsprobe. Er war an der Grenze seiner Kräfte, aber sein unglaublich eiserner Wille trieb ihn weiter voran.
Dann bekam er auf einmal einen Krampf in der rechten Wade und musste sich auf den Boden setzen. Nachdem der Schmerz wieder ein wenig nachgelassen hatte, bemerkte er, dass auch Antilius weiter vorn stehen geblieben war und regungslos etwas beobachtete. Pais humpelte zu ihm. »Was ist los?«, flüsterte er.
»Ich glaube, ich habe Stimmen gehört«, flüsterte Antilius zurück.
»Stimmen?«
Pais horchte. Er konnte nichts hören. Gar nichts. Nicht einmal einen Vogel. »Ich glaube kaum, dass sich noch jemand außer uns hierher in diese Wildnis verirrt hat.«
»Ich bin mir aber sicher, dass ich etwas gehört habe.«
Sie befanden sich erneut in einem dichten Wald, der aus den gleichen Bäumen bestand, wie der, in den ihre Gondel abgestürzt war.
Sie horchten weiter. Und dann hörten sie beide etwas: »Nein, nein! Lasst mich in Ruhe!«, schrie eine Stimme aus weiter Ferne.
Niemand war zu sehen. Antilius spannte seine Muskeln an. »Da stimmt was nicht. Da ist jemand in Gefahr.«
Sofort rannte er los in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Pais versuchte, so schnell wie möglich, ihm zu folgen.
»Haut ab!«, schrie die Stimme jetzt sehr deutlich.
Antilius erreichte eine Lichtung und stoppte kurz davor seinen Spurt, um sich hinter einem dicken Baumstamm zu verstecken. Er wollte zunächst die Lage sondieren.
Vier Gorgens waren dabei, einen Sortaner einzukreisen.
»Geht das nicht in euer verfaultes Gehirn rein? Ich habe keine Ahnung, wovon ihr sprecht«, wehrte sich der Sortaner mit dünner Stimme.
Es war Haif Haven.
»Wie kommt der denn hier her?«, murmelte Antilius zu Gilbert, dessen Spiegel in seiner Brusttasche steckte.
»Sag uns doch einfach, wo du hin willst. Das ist alles. Dann lassen wir dich auch wieder in Ruhe. Versprochen«, zischte einer der Gorgens unehrlich. Seine Art zu sprechen war nicht menschlich. Ihn zu verstehen war äußerst schwierig. Es war, als wenn eine Mischung aus einer Fledermaus und einer Echse versuchte zu sprechen.
Zwar waren Gorgens in der Lage, normal zu sprechen, aber diese Exemplare hier waren offenbar schon ziemlich verwahrlost.
»Ich suche Pilze. Wie oft soll ich das denn noch sagen?«, versuchte Haif die Gorgens zu täuschen.
»Du sollst uns eine Antwort geben, die uns auch gefällt. Möchtest du vielleicht noch einmal deine Antwort überlegen?«
Mit schlangenartigen Bewegungen umschlich der Gorgen Haif. Er wollte ihm bewusst Furcht einflößen. Das war nicht besonders schwer. Sortaner waren ohnehin sehr ängstliche Zeitgenossen.
»Du denkst, du bist clever? Du denkst, du kannst uns austricksen?«
Haif versuchte, Stärke zu zeigen, um den Gorgens zu beweisen, dass er sich nicht so leicht einschüchtern ließ, aber das Beben in seiner Stimme verriet seine Aufregung.
»Das bringt nichts! Was sollen wir jetzt mit ihm machen?«, wollte der zweite Gorgen wissen und zuckte ungeduldig mit seinen lederartigen Flügeln.
»Das kommt ganz auf dich an, kleiner, dicker Sortaner«, sagte der erste. Er setzte dabei ein boshaftes Grinsen auf, das sein komplett schwarzes Ledergesicht in eine grässliche Fratze verwandelte.
»Der Wald kann sehr gefährlich sein«, fuhr er fort. »Wenn man nicht immer genau aufpasst, wo man hintritt, kann es leicht passieren, dass man hinfällt. Und sich schlimmstenfalls ein Bein bricht. Stell dir nur vor: Du hier ganz allein im Wald mit einem gebrochenen Bein und niemand ist da, um dich zu retten. Was wird wohl mit dir geschehen? Du könntest verhungern. Ein langsamer und qualvoller Tod. Aber wenn du Glück hast, finden dich die Piktins und werden dich zu einem Festmahl einladen. Wobei du natürlich das Mahl sein wirst!«
Alle vier Gorgens lachten hysterisch.
Das wirkte. Haif begann am ganzen Leib zu zittern. Seine Fellhaare sträubten sich auf. »Ich ... ich habe keine Angst vor euch«, quiekte er mit letzter Kraft und hämmerndem Herz.
Die Gorgens schreckten nicht vor Gewalt zurück. Diese Erfahrung hatte Antilius schmerzhaft machen müssen. »Was machen wir jetzt, Gilbert? Wie sollen wir ihm helfen?«
»Ich weiß nicht. Das Geflügel da hinten ist in der Überzahl.«
»Du hast recht. Ach, dieser Dummkopf!«
»Kennst du ihn?«
»Ich habe kurz im Hafen ein paar Worte mit ihm gewechselt. Wir waren zusammen auf dem Schiff, mit dem ich auf Truchten angekommen bin.«
Ein Gorgen begann, Haif unsanft zu schubsen. »Ich denke, wir müssen jetzt härtere Maßnahmen ergreifen. Was meint ihr?«, schnaubte der erste Gorgen. Er war wohl der Anführer der Gruppe.
Haif stieß einen schrillen Angstschrei aus.
»Was machen die jetzt?«, fragte Antilius.
»Gilbert wich einen Schritt von seinem Spiegel zurück.
»Na ja, wenn er Glück hat, brechen sie ihm nur ein Bein.«
Die Gorgens zogen ihre Schlinge immer enger zu.
»Halt. Sofort aufhören!«, rief Antilius intuitiv. Er trat aus seinem Versteck hervor. Nur etwa fünfzehn große Schritte trennten ihn von den Aggressoren.
Blitzartig fuhren die Gorgens herum.
Um den Hals des zweiten baumelte ein Kompass an einer Schnur. Er gehörte Antilius. Es waren dieselben Kreaturen, die ihn auf dem Denkmalplatz überfallen hatten.
»Ach, sieh an! Wen haben wir denn da? Du hast wohl noch nicht genug von uns?« Mit einer unscheinbaren Handbewegung bedeutete der erste Gorgen zwei seiner Gehilfen, zum Angriff überzugehen.
»Das war wohl keine gute Idee, Meister«, sagte Gilbert.
Langsam und selbstbewusst rückten die beiden Gorgens, die bisher untätig geblieben waren und nichts gesagt hatten, zu Antilius vor. Die anderen beiden behielten Haif im Auge.
»Das würde ich mir an eurer Stelle noch einmal überlegen!« Verunsichert schauten sich die Gorgens nach der fremden Stimme um.
Es war Pais, der auf der Bildfläche erschien. Er hielt eine kleine Armbrust im Anschlag, die er zuvor aus seiner Reisetasche hervorgezaubert hatte. Er zielte auf den ersten Gorgen, der das Kommando innehatte.
Keines der schwarzen Geschöpfe rührte sich.
»Bitte! Es besteht doch kein Grund zur Gewalt«, sagte der Anführer unsicher.
Pais grinste breit. »Das sehe ich anders«, sprach er und drückte ohne das geringste Zögern den Abzug.
Der Bolzen schoss auf den Anführer zu, der im Begriff war zu fliehen und die Flügel aufspannte. Und genau das war sein Fehler. Das Geschoss fetzte ein Loch in die rechte Flügelhaut.
Ein markerschütternder Schrei hallte durch die klamme Luft. Der Gorgen fasste sich mit seinem linken Arm an den verletzten Flügel und sackte auf die Knie. Währenddessen nutzten die anderen drei diesen Moment zur Flucht und hoben ab. Wie es den Anschein hatte, waren nicht nur Sortaner bekannt für ihre Ängstlichkeit.
Der verletzte Gorgen versuchte, sich wieder aufzurappeln und taumelte dabei ein paar Schritte zurück. Haif, der hinter ihm stand, streckte geistesgegenwärtig sein Bein aus. Der Gorgen stolperte darüber, verlor das Gleichgewicht und stürzte nach hintenüber. Zu seinem Unglück prallte er mit seinem Kopf gegen einen Baum. Ein dumpfer Schlag gegen das Holz setzte ihn endgültig außer Gefecht.
Haif triumphierte: »Na, wer ist jetzt hier der Dumme?«
Erst als sich das Geschöpf nicht mehr bewegte, holte Antilius wieder Luft. »Pais, wo hast denn die Armbrust her?«, fragte er erstaunt.
»Was meinst du wohl, warum ich nicht mit dir Schritt halten konnte?«
»Aber ich hätte sie doch für dich tragen können.«
»Das verstehst du nicht«, mischte sich Gilbert ein. »Pais und seine Armbrust, das ist eine sehr lange Liebesgeschichte.«
»Gilbert, halt die Klappe!«
Antilius eilte zu Haif herüber. »Alles in Ordnung?«
»Ja. Danke, mir geht es gut. Ihr habt mir wohl das Leben gerettet.«
»Herr Haven, ich dachte, Ihr seid ein Händler. Was macht Ihr bloß hier? Und jetzt erzählt mir nicht, Ihr würdet Pilze suchen.«
»Also erstens: Sagt doch einfach Haif zu mir. Und zweitens: Was ich hier mache, geht nur mich etwas an.«
»Aber ...« Antilius konnte nicht weitersprechen, weil der Gorgen wieder zu Bewusstsein kam. Rasch näherte sich Pais und hielt die Armbrust wieder schussbereit.
»Halt! Nicht schießen!«, flehte der Gorgen mit seiner zischenden Stimme.
»Ja! Jetzt winselst du, du Tier!«, schimpfte Haif übermütig.
Der einstige Anführer stöhnte vor Schmerz.
»Wie heißt du?«, fragte Pais in einem herrschenden Ton.
»Feuerwind.«
»Was für ein dämlicher Name! Was wolltest du von dem Sortaner?«
Feuerwind schwieg.
Haif baute sich, soweit es ihm mit seinem kleinen rundlichen Körper überhaupt möglich war, vor dem Gorgen auf.
»Na los! Antworte! Was wolltest du von mir?«
»Tu doch nicht so scheinheilig, Zwerg! Du hast nach dem Tor gesucht.«
»Ha! Was denn für ein Tor? Lügner! Du wolltest mich ausrauben!«
Feuerwind wandte sich wieder an Pais und Antilius. »Und ihr? Sucht ihr auch nach dem Tor?«
»Du bist nicht in der Position, Fragen zu stellen. Übrigens, ich glaube, das gehört mir.« Antilius deutete auf den Kompass, den Feuerwind um den schwarzen Hals trug und nahm ihn ihm ab.
»Nimm es ruhig. Dieses komische Ding hat mir sowieso nicht gefallen.«
Pais hatte unterdessen keine Anstalten gemacht, seine Armbrust zu senken. »Du bist also auf der Suche nach einem Tor? Was soll das genau für ein Tor sein?«
»Aber das wisst ihr doch ganz genau. Das Zeittor.« Eine kurze Pause machte Feuerwind klar, dass die Menschen und der Sortaner genau wussten, wovon er sprach.
»Du suchst also das Zeittor«, begann Pais. »Wieso? Was will eine kleine Gruppe Wilde, die sich bei Blitz und Donner in ihre Höhlen verkriechen, damit anfangen?«
»Das geht euch nichts an.«
Pais zielte wieder mit seiner Lieblingsausrüstung.
»Also gut! Also gut. Wir haben nach dem Zeittor gesucht. So lange schon galt es als verschollen, und da begegneten wir diesem dummen Sortaner und wollten herausfinden, ob er weiß, wo es sich befindet.«
»Ich bin nicht dumm, du Echse!«
Pais bedeutete Haif, still zu sein. »Sprich weiter!«
»Wir haben versucht, den Sortaner auszuquetschen, als ihr dazwischen gekommen seid. Was wisst ihr eigentlich über das Tor?«
»Wir stellen hier die Fragen!«
»Ich meine es doch nur gut mit euch. Wer sich in die Nähe des Zeittores wagt, der geht ein großes Risiko ein.«
Pais war misstrauisch. »Ich glaube kaum, dass du aus eigenem Antrieb das Tor gesucht hast. Für wen arbeitest du?«
Schweigen.
»Antworte, oder ich durchlöchere auch noch deinen anderen Flügel!«
Doch Feuerwind blieb ihm eine Antwort schuldig. Aber Antilius konnte sich schon denken, für wen er arbeitete.
Nach einer Weile nahm Pais schließlich die Waffe herunter. »Geh! Hau ab!«
Feuerwind war erstaunt. »Ihr schenkt mir die Freiheit?«
»Ich sage es nicht noch einmal. Verschwinde!«
»Er hat heute seinen mitfühlenden Tag«, sagte Gilbert spöttisch.
»Danke. Aber ich warne euch! Wenn ihr das Tor findet und benutzen wollt, dann spielt ihr mit eurem Leben.«
Pais richtete wieder die Armbrust auf Feuerwind. Diese Geste war unmissverständlich und der Gorgen eilte davon. Fliegen konnte er durch die Verletzung nicht mehr.
»Halt! Warte! Wo sind meine restlichen Sachen?«, rief Antilius Feuerwind noch hinterher, doch der drehte sich nicht mehr um, sondern verschwand im Baumlabyrinth. »Verdammt! Wieso hast du ihn gehen lassen?«
Pais legte die Armbrust beiseite und setzte sich, weil ihm seine Wade immer noch Schmerzen bereitete. »Gorgens können furchtbar stur sein. Aus ihm hätten wir allenfalls nur noch mehr Lügen herausbekommen.«
»Glaubst du, er arbeitet für Koros?«
Pais nickte.
»Wieso sollte Koros nach dem Tor suchen lassen? Ich dachte, er wüsste bereits, wo es sich befindet«, fragte Gilbert.
»Er hat es nicht suchen lassen. Der Gorgen hat uns belogen. Aber er hat irgendetwas dort gemacht. Vielleicht hat er auch nur den schnellstmöglichen Weg ausgekundschaftet, um zum Tor zu kommen. Oder er hat auch nach Brelius gesucht, was ich am ehesten vermute. Aber das konnten wir ihm wieder aus dem Kopf schlagen. Mit dem verletzten Flügel kommt er nicht mehr so schnell voran. Und die anderen drei sind zu feige, um zurückzukommen.«
»Möglich. Trotzdem habe ich ein ungutes Gefühl dabei, ihn laufen gelassen zu haben«, sagte Antilius missmutig. Er wandte sich wieder Haif zu. »Also, erkläre uns, warum du hier bist!«
»Soll das ein Verhör werden?«
»Nein, aber wir können ja eines daraus machen«, sagte Pais und deutete auf die Armbrust.
»Schon gut. Ich sage es euch. Ihr habt mir schließlich das Leben gerettet. Ich suche nach dem Gleichen, wonach ihr sucht und auch der Gorgen.«
Antilius wurde stutzig. »Woher kennst du das Zeittor?«
Haif schaute nach unten, um Antilius’ Blick auszuweichen.
»Nun, eigentlich hast du mich auf die Idee gebracht.«
»Ich?«
»Ja. Du hast mir erzählt, dass du nach diesem Sternenbeobachter suchen würdest. Zufälligerweise wusste ich, wo er wohnt und habe gehört, dass er schon seit Längerem verschwunden sei. Also dachte ich mir, bevor du, Antilius, sein Haus findest, schaue ich mich dort kurz um.«
»Du bist bei ihm eingebrochen und hast seine Sachen durchgeschnüffelt? Das schlägt ja dem Fass den Boden aus!«, intervenierte Pais zornig.
»Ich habe aber nichts gestohlen. So etwas würde ich nie tun.«
»Du hast den Stimmenkristall benutzt. Deshalb funktionierte er bei uns anfangs nicht, weil du nicht wolltest, dass noch jemand anderes davon erfährt«, sagte Pais.
Haif grinste verschlagen. »Ich dachte, ich könnte mit diesem Tor ein gutes Geschäft machen.«
»Ein Geschäft?«
»Wenn ich das Tor zuerst finden würde, so hoffte ich, dass ich es später an den Meistbietenden verkaufen könnte. Es gibt eine Menge von Interessenten. Ein Tor zu besitzen, das es eigentlich gar nicht geben darf. Selbst wenn es nicht funktioniert, ist es mehr wert, als ich in meinem ganzen Leben durch den Verkauf von Informationen erwirtschaften könnte.«
»Du und welche Armee? Wie hast du dir denn vorgestellt, ganz allein in die Largonen-Festung zu spazieren?«
Haif lächelte tückisch und schwieg.
»Raus damit!«, befahl Pais wütend.
Der Sortaner zögerte. »Ich kenne den Geheimgang, der in die Festung führt.«
»Und selbst wenn du in die Festung kommen würdest. Das Zeittor wird wahrscheinlich schwer bewacht. Du würdest nicht mal in seine Nähe kommen.«
»Ich glaube nicht, dass es bewacht wird«, sagte Haif. »Ich habe gehört, dass die Largonen fort sind.«
»Fort? Das glaube ich nicht. Das wäre doch Unsinn!«, sagte Pais wütend.
»Brelius Vandanten hat es geschafft hineinzukommen. Und er hat nichts von Largonen in seinem Tagebuch erwähnt«, erwiderte Haif.
Antilius überlegte kurz. »Wolltest du das Zeittor ganz alleine da heraustragen?«
»Nein. Ich bin doch nicht blöd. Ich will mich nur davon überzeugen, dass es dieses Wunderwerk auch wirklich gibt. Dann wollte ich es verkaufen, weil nur ich, so glaubte ich, weiß, wo es sich genau befindet. Der Käufer soll dann sehen, was er damit anstellt.«
Antilius seufzte. Was ihn am meisten bei der Geschichte von Haif störte, war, dass es nun noch mehr Leute auf Thalantia gab, die von dem Zeittor wussten oder zumindest daran glaubten, dass es existieren würde.
»Also gut. Du wirst uns begleiten. Wenn du uns zum Tor führen kannst, dann finden wir vielleicht auch Brelius.«
Er und Pais machten sich ohne weitere Kommentare wieder wanderbereit, doch Haif war damit überhaupt nicht einverstanden. »Einen Augenblick bitte! Wer hat denn gesagt, dass ich euch den Geheimgang verraten werde, geschweige denn zum Tor führen werde? Macht mir ein Angebot, und dann bin ich auch bereit, über den Preis zu verhandeln!«
Pais, der gerade dabei war, seine Armbrust wieder in seinem Reisebeutel zu verstauen, begann mit entschlossener Miene, sie wieder auszupacken.
Dies überzeugte Haif. »Also gut. Dann eben umsonst.«
»Keine Tricks, sonst ziehe ich dir das Fell über die Ohren und zwar im wahrsten Sinne des Wortes«, drohte Pais.
Gilbert kicherte kurz, weil er diesen Witz, sofern es denn einer sein sollte, urkomisch fand. Wer Pais aber besser kannte, der wusste, dass es kein Witz war.
»Gehen wir«, sagte Antilius und schritt voran.