Читать книгу Verlorenend - Fantasy-Epos (Gesamtausgabe) - S. G. Felix - Страница 5
Truchten
ОглавлениеTruchten war die größte der sieben Inselwelten Thalantias. Man sprach hier nicht von Kontinenten, sondern von Inselwelten. Das hatte vielleicht damit zu tun, dass Thalantia als eine verhältnismäßig kleine Welt zu über neunzig Prozent von Wasser bedeckt war und dass die sieben bekannten Landflächen nicht groß genug waren, um als Kontinente bezeichnet zu werden.
Truchten war zum Großteil von Wäldern und weiten Graslandschaften geprägt. Es gab vereinzelt kleinere Siedlungen. Nur die Hauptstadt Fara-Tindu, im Zentrum dieser Inselwelt stellte eine Ausnahme dar. Es war das Handelszentrum von Thalantia und somit das Herz dieser Welt. Hier lebten fast alle Völker dieser Welt miteinander, seien es nun Menschen, Sortaner oder zahlreiche andere Spezies, denen Antilius im Laufe seiner Reise noch begegnen würde.
Dieses Miteinander von verschiedenen Völkern und Kulturen stellte eine erfreuliche Ausnahme zum Rest Thalantias dar. Denn aus irgendeinem Grund war es üblich, dass jedes Volk und jede Glaubensgemeinschaft eher unter sich blieb und den Kontakt nach außen vermied.
Früher, vor sehr langer Zeit, da soll es einmal Königreiche auf Thalantia gegeben haben. Fünf an der Zahl sollen es gewesen sein. Wohlstand, technischer Fortschritt und ein gleichberechtigtes Miteinander, so erzählt man sich, waren die Grundpfeiler jener friedvollen Zeit. Aber das war schon sehr lange her, und niemand weiß heute genau, warum die Zeit der Könige mit einem Mal ein jähes Ende gefunden hatte. Von einem schrecklichen Krieg vor tausend Jahren war die Rede. Mit jenem Krieg verschwanden praktisch alle Spuren in die Vergangenheit. Spuren, die etwas darüber erzählen könnten, wie es damals gewesen war.
Dennoch verbarg die unscheinbare Welt Thalantia noch viele Geheimnisse und Mysterien aus jener Zeit, über die der eine oder andere zwangsläufig zufällig stolpern konnte. Es waren winzige Teile eines schier unendlich großen Puzzles, dessen Tragweite sich niemand auch nur im Entferntesten vorstellen konnte.
Das galt auch für Antilius. Eigentlich war er nach Truchten gereist, um etwas über sich selbst zu erfahren. Denn er wusste nicht, wer er war. Ja, er wusste nicht einmal, ob Antilius sein richtiger Name war. Er war vor nicht allzu langer Zeit unter mysteriösen Umständen aus einer Art Ohnmacht erwacht und hatte alles vergessen, das ihm etwas darüber verraten könnte, wer er war und wo er herkam. Und es gab bis heute niemanden, der ihn wiedererkannt hatte. Es war ihm manchmal so vorgekommen, als hätte er vor seinem Gedächtnisverlust nie existiert.
Hier auf Truchten schien es aber jemanden zu geben, der ihm etwas über sich erzählen konnte. Aber Antilius ahnte nicht, dass seine Ankunft auf der Fünften Inselwelt Ereignisse in Gang setzen würde, die über das Schicksal von Thalantia entscheiden sollten.
Nachdem das Gepäck ausgeladen worden war, verließen die ersten Passagiere über drei Lifte die Baumkrone des Althans und betraten den weit ins Wasser ragenden Kai des Fischerdorfes Itap-West.
»Ah! Endlich können wir an Land«, rief Haif erleichtert.
Er wirkte jetzt wesentlich entspannter. Und auch Antilius war froh, das für ihn fremde Land endlich betreten zu können.
Schließlich balancierten er und Haif Haven nach kurzer Fahrstuhlfahrt über den schmalen Steg. Das Gepäck war bereits unten. Alles musste sehr schnell gehen, denn das Althan hatte einen strikten Fahrplan einzuhalten und würde in weniger als einer Mondstunde die Bogenbucht im Westen von Truchten wieder verlassen.
»Sagen Sie, wissen Sie zufällig von einem Sternenbeobachter, der hier auf dieser Inselwelt leben soll?«, fragte Antilius Haif zögerlich.
Der wirkte überrascht: »Sternenbeobachter? Nein, tut mir leid. Keine Ahnung«, sagte er schnell. Sehr schnell.
Antilius wollte noch einmal nachhaken, bekam dazu jedoch keine Gelegenheit mehr, denn Haif schien sofort aufbrechen zu wollen.
»Auf Wiedersehen, Herr Antilius. Vielleicht kommen Sie mich ja mal besuchen. Ich wohne nur einige Hundert Meter entfernt, südöstlich von hier an der Küste. Und vielen Dank noch einmal für Ihre Hilfe.«
»Ja, auf Wiedersehen!« Antilius schaute dem kleinen Fellbündel hinterher, das rasch davon watschelte. Haif schien es wirklich ziemlich eilig zu haben. Vielleicht wollte er ein lukratives Geschäft abwickeln, überlegte Antilius.
Er freute sich jetzt erst richtig auf seinen Aufenthalt auf der Fünften Inselwelt, obwohl er wusste, dass er nicht hier war, um Urlaub zu machen. Es würde schwierig werden, den Sternenbeobachter aufzuspüren, diesen Brelius Vandanten, dem er zuvor noch nie persönlich begegnet war. Um ihn zu finden, hatte Antilius vor, sich zunächst in der Stadt Fara-Tindu umzuhören, die weiter im Landesinneren lag. Dort in der Nähe sollte Brelius leben. Jedenfalls hatte er dies in seinem Brief geschrieben, den Antilius vor fünfundzwanzig Tagen erhalten hatte. Die genaue Adresse, so Brelius, wollte er geheim halten. Weil er Angst vor etwas hatte, über das er nichts Näheres schreiben wollte.
Entschlossen schnallte sich Antilius seinen schweren Rucksack auf den Rücken, legte sich noch eine Brusttasche um und hängte sich eine weitere randvoll mit Ausrüstungsgegenständen, von denen er keine Ahnung hatte, ob er sie überhaupt brauchen würde, vollgestopfte Tasche über die rechte Schulter. Die Bahn konnte nicht weit vom Dock entfernt sein. Vom Bahnhof aus könnte er dann mit einer der Gondeln weiter reisen. Diese Gondeln, so hatte Antilius es gelesen, waren auf Truchten ein uraltes Fortbewegungsmittel, das noch aus der Zeit stammte, als es noch Königreiche gegeben hatte. Eine Zeit, in der man neue Technologien auf Truchten erforschte.
Das tat man heute bekanntlich nicht mehr.
Merkwürdigerweise schlugen die übrigen Passagiere, die zusammen mit ihm und Haif hier angekommen waren, andere Wege ein als den, den Antilius anvisierte. Doch darüber dachte er nicht weiter nach. Er war zu aufgeregt.
Er nahm noch einen kräftigen Schluck aus seiner Feldflasche, die er sich extra für diese Reise gekauft hatte, und setzte sich dann in Bewegung, vorbei an einem verwitterten Schild, das in Form eines Pfeils gesägt war. Auf diesem las er einen merkwürdigen Begriff: Amedium-Transporter.