Читать книгу Verlorenend - Fantasy-Epos (Gesamtausgabe) - S. G. Felix - Страница 7
Der alte Mann und die Station
Оглавление»Faszinierend, nicht wahr?«
Antilius erschrak. Die Stimme war genau hinter ihm, sie kam diesmal nicht aus ihm selbst. Es war eine echte Stimme und das beruhigte ihn im selben Augenblick des Erschreckens. Ruckartig drehte er sich um und erblickte einen alten weißhaarigen Mann, der sich auf einen gekrümmten, dicken Stock stützte und ihn dabei breit angrinste.
»Es heißt, wenn man sie zu lange betrachtet, kommt man nie wieder von ihr los«, sagte der alte Mann, zeigte dabei auf die Blume und lachte dabei herzlich.
»Das glaube ich gern. Sie ist wunderschön. Und wer sind Sie?«
»Mir gehört diese Station hier, mein Junge, und ich achte darauf, dass alles seine Ordnung hat.« Der Alte beendete seinen Satz wieder mit einem Lachen, das in ein leichtes Husten überging.
»Ich habe dich schon von Weitem gerochen!«
»Gerochen?«, fragte Antilius verwirrt.
»Ja. Ich bin in deinen Augen vielleicht ein Greis mit schlechten Augen und miserablem Gehör - was eigentlich auch zutrifft - aber mein Geruchssinn funktioniert immer noch tadellos.«
»Verstehe. Aber ich habe nichts dergleichen über Sie gedacht.«
»Wie heißt du, mein Junge?«
»Ich heiße Antilius.«
»Antilius«, wiederholte der Alte nachdenklich. »Hmm. Merkwürdiger Name. Habe ich noch nie gehört. Wie dem auch sei. Du schaust nicht so aus, als ob du von hier wärst, oder? Was willst du hier auf Truchten?«
»Ich komme von der Vierten Inselwelt, Bétha. Ich möchte unbedingt nach Fara-Tindu reisen, und zwar mit einer Ihrer Gondeln hier. Was muss ich Ihnen dafür bezahlen?«
Der alte Mann brach in schallendes Gelächter aus. Antilius ging dieses Lachen langsam auf die Nerven.
»Nein, nein, mein Jungchen. Behalte dein Geld! Der Schienentransporter hier ist jedem zugänglich, völlig umsonst. Komm mit! Ich zeige dir, wie du die Gondel bedienen musst.«
Der Alte drehte sich um und lief hinüber zum Gondelstellplatz, wobei er sich auf seinen Stock stützte und das rechte Bein bei jedem Schritt nachzog. Antilius warf noch einmal einen Blick auf die rote Blume, die ihn tatsächlich faszinierte. Diese Blume hatte wahrhaftig etwas Magisches an sich, was es ihm schwer machte, sich von ihrem Anblick loszureißen.
»He! Willst du da Wurzeln schlagen?«, rief der Alte.
Antilius wandte sich mit einem Seufzer ab und lief zu den Gondeln, wo der alte Mann schon leicht verärgert wartete.
»So, und jetzt erkläre ich dir, wie dieses Ding funktioniert.«
Antilius hörte den Ausführungen des Alten aufmerksam zu. Er ließ sich erklären, wie die Gondel, die genügend Platz für zwei Personen bot, beschleunigte, abbremste und wie man sich an Abzweigungen zu verhalten hatte. Es war sehr faszinierend, da er noch nie etwas Vergleichbares gesehen hatte. Aber alles wirkte auch unglaublich alt und verwittert.
»Sagen Sie, wie wird dieses Gefährt denn eigentlich angetrieben?«
Der Alte schaute ihn verdutzt an. »Woher soll ich das wissen?«
»Ich dachte, Sie kennen sich mit diesem Ding aus.«
»Na, da hast du dich aber gründlich geirrt. Ich weiß nur, wie man damit umgeht, mehr nicht. Ich habe es von meinem Vater gelernt. Und der von seinem Vater. Viele Generationen lang hat meine Familie die Gondelbahn am Leben gehalten, obwohl keiner jemals ihr Geheimnis entschlüsseln konnte. Die Gondeln sind uralt. Es ist ein Wunder, dass sie noch funktionieren.« Der alte Mann wirkte ein wenig gekränkt.
Antilius schaute sich nachdenklich um. »Nicht viel los hier«, sagte er und richtete dann einen prüfenden Blick auf den Alten.
»Du bist ein guter Beobachter, mein Junge.«
»Wieso habe ich das Gefühl, dass seit langer Zeit keiner mehr mit diesen Gondeln hier gefahren ist?«
Der Alte wich Antilius’ Blick aus. »Nun, das könnte daran liegen, dass es mit den Gondeln vor einiger Zeit ein paar sehr unglückliche Unfälle gegeben hat.«
»Unfälle?«, wiederholte Antilius vorwurfsvoll.
»Ganz recht, mein Junge«, antwortete der Alte nüchtern.
»Und das sagen Sie mir erst jetzt?«
»Mach dir keine Sorgen! Ich selbst bin mit dieser Gondel hier schon so oft gefahren. Dir wird schon nichts passieren.«
Antilius wusste, dass er mit dem schweren Gepäck unmöglich die Strecke zu Fuß bewältigen konnte.
»Also, mein Junge, ich würde vorschlagen, du beeilst dich jetzt mal ein bisschen. Die Sonne geht bald unter, und bis zur Stadt ist es ein langer Weg. Da du es heute nicht mehr schaffen wirst, dort anzukommen, empfehle ich dir, beim Großen Denkmal zu übernachten. Dort ist es sicher. Von einer Rast mitten im Alten Wald rate ich dir nämlich dringend ab.«
»Wieso das?«
»Hast du noch nie etwas von Piktins gehört, mein Junge?«
»Nein. Piktins? Was soll das sein?«
»Wer sind die, solltest du fragen.« Die Miene des Alten verfinsterte sich. »Es sind kleine hässliche Kreaturen, die hier in den Wäldern leben. Ihr kräftiges Gebiss ist im Verhältnis zu ihrem Körper riesig, und mindestens genauso groß ist auch ihr Hunger. Sie jagen am liebsten in der Abenddämmerung oder nachts. Sie zerfetzen alles, was ihnen vor ihre schleimige Nase kommt. Vor vielen Jahren bin ich einem dieser Biester nur knapp entkommen. Auf meiner Flucht habe ich mir das Bein gebrochen. Es ist nie wieder richtig verheilt«, sagte er und klopfte sich mit dem Gehstock leicht gegen das rechte Bein.
Sind Sie sicher, dass Sie sich das Bein nicht in einer ihrer Knochenbrecher-Gondeln verletzt haben?, wollte Antilius sagen, zwang sich aber dazu, es zu lassen.
Er wusste zunächst nicht, ob er dem Alten Glauben schenken sollte. Als er sich jedoch bewusst machte, dass er sich an einem ihm völlig fremden Ort befand, entschied er sich, die Warnung ernst zu nehmen.
»Na dann, Jungchen. Gute Reise. Und lass dich nicht auffressen!«
Daraufhin lachte der Alte wieder. Antilius jedoch konnte wieder einmal nicht mitlachen. Er verabschiedete sich höflich, belud die Gondel mit seinen Sachen und stieg anschließend selbst hinein. Dann betätigte er den Beschleunigungshebel, woraufhin der Antrieb ein dumpfes Geräusch von sich gab und das Gefährt langsam in Fahrt brachte.