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II. Verhältnis der Tötungsdelikte zueinander
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Das Verhältnis der Tötungsdelikte zueinander ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten.
Die Rechtsprechung sieht in den §§ 211, 212 und 216 nach wie vor[7] selbstständige Tatbestände mit arteigenem Unrechtsgehalt.[8]
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Die Literatur hingegen betrachtet § 212 als den Grundtatbestand der vorsätzlichen Tötung. Zu diesem Grundtatbestand gibt es die unselbstständigen Abwandlungen des § 211 als Qualifikationstatbestand und des § 216 als Privilegierung.[9]
§ 213 ist ebenso wie § 212 Abs. 2 nach übereinstimmender Ansicht eine reine Strafzumessungsregel zu § 212.
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Die Rechtsprechung bemüht zur Begründung ihrer Ansicht zunächst einmal den Wortlaut der Vorschriften. Aus den Formulierungen „als Mörder“, „als Totschläger“, bzw. „ohne Mörder zu sein“ leitet sie den eigenständigen Charakter der jeweiligen Vorschrift ab.[10] Die Literatur hält der Rechtsprechung insoweit entgegen, dass diese Interpretation auf einem überholten metaphysischen Verständnis des Mordes als schwerstem Delikt beruhe, welches zwangsnotwenig einen eigenen Charakter aufweisen müsse. Ferner sei zu bedenken, dass die Formulierungen auf die Lehre vom Tätertyp (1941!) zurück zu führen sei, welche an Leitbilder eines bestimmten Tätertyps glaubte. Da diese Lehre jedoch heutzutage überholt sei, könne auf Begriffe, die auf dieser Lehre fußen, nicht zurückgegriffen werden.[11]
Wie Sie unschwer erkannt haben werden, argumentieren Rechtsprechung und Literatur hier überwiegend mit dem Wortlaut und der Systematik. Sie sollten von daher an dieser Stelle die Gelegenheit nutzen und sich erneut mit den Auslegungsmethoden beschäftigen (dargestellt im Skript „Strafrecht AT I“), da sie das juristische Handwerkszeug sind.
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Als weiteres Argument führt die Rechtsprechung an, dass der Mord, sollte er denn Qualifikation sein, hinter dem Grundtatbestand im Gesetz verankert sein müsste, was der Gesetzessystematik entspreche. Die Stellung des Mordes vor § 212 spreche mithin gegen eine Qualifikation.[12] Die Literatur räumt insoweit ein, dass die Voranstellung des Mordes tatsächlich für eine Qualifikation ungewöhnlich sei, da zumeist die Qualifikationen hinter den Grundtatbeständen im Gesetz aufgeführt würden, verweist jedoch in diesem Zusammenhang auf die Brandstiftungsdelikte alter Fassung, bei welchen ebenfalls die Qualifikation vor dem Grundtatbestand genannt wurde, so dass insoweit das Gesetz durchaus auch an anderen Stellen Ausnahmen von der Regel gemacht habe. Zudem könne die Stellung durch das Bedürfnis des Gesetzgebers erklärt werden, das schwerste Delikt voranzustellen. Darüber hinaus weist die Literatur darauf hin, dass § 211 schon deshalb eine Qualifikation sei, da er, wie bei Qualifikationen üblich, den gesamten Grundtatbestand des § 212 mit umfasse. Beide Tatbestände seien damit so aufeinander bezogen, dass die Annahme einer Eigenständigkeit damit unvereinbar sei.[13] Dem wiederum hält die Rechtsprechung entgegen, dass auch der Diebstahl im Raub enthalten sei, ohne dass der Raub dadurch seine Eigenständigkeit verloren habe.[14]
Hinweis
Auswirkungen hat dieser Meinungsstreit vor allem auf die Strafbarkeit von Teilnehmern und dort auf die Anwendbarkeit des § 28 Abs. 2 (lesen!). Nach der Rechtsprechung stellen die Merkmale des Mordes strafbegründende Merkmale dar. Nach Ansicht der Literatur sind diese strafschärfende Merkmale. Für die Strafbarkeit des Teilnehmers bedeutet dies gemäß § 28, dass der Teilnehmer nach Ansicht der Rechtsprechung gemäß § 28 Abs. 1 wie der Haupttäter zu bestrafen ist, unabhängig davon ob bei ihm selbst personenbezogene Mordmerkmale vorliegen. Nach Auffassung der Literatur gelangt § 28 Abs. 2 zur Anwendung mit der Folge, dass gegebenenfalls die Akzessorietät durchbrochen wird und eine individuelle Bestrafung möglich ist.
Insbesondere diese Wertungswidersprüche, die die Rechtsprechung hinnehmen muss oder durch komplizierte Begründungen zu vermeiden sucht, sind ein „schlagendes“ Argument für die Literatur.
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Eine ausführliche Behandlung dieser Thematik wird im Kapitel „Täterschaft und Teilnahme“ unter Rn. 81 erfolgen. Zur Verdeutlichung jedoch nachfolgendes
Beispiel
Die vermögenslose Tochter T möchte aus der Enge ihres Elternhauses ausbrechen und endlich das Leben genießen. Um sich die finanziellen Mittel dafür zu beschaffen, beabsichtigt sie, ihre vermögenden Eltern umzubringen. Die dafür benötigte Waffe erhält sie von ihrem Bruder B, der in das Vorhaben der T eingeweiht ist und deren Motivation kennt, jedoch kein eigenes Interesse an der Tat hat, insbesondere auch kein finanzielles Motiv. Mit der Waffe des B werden die Eltern der T im Rahmen einer heftigen Auseinandersetzung getötet.
Hier hat sich T unstreitig wegen Habgiermordes gemäß §§ 211, 212 strafbar gemacht. B hingegen hat kein derartiges personenbezogenes Mordmerkmal, kannte jedoch das Habgiermotiv der T. Der BGH würde den B über § 28 Abs. 1 hier gemäß §§ 211, 27 wegen Beihilfe zum Mord bestrafen. Nach der Literatur würde gemäß § 28 Abs. 2 die Akzessorietät durchbrochen und B nach §§ 212, 27 wegen Beihilfe zum Totschlag bestraft werden.
Hätte in einem umgekehrten Fall T hingegen ihre Eltern getötet, weil sie seit Jahren von diesen misshandelt wird und an eine Erbschaft gar nicht gedacht hat, an der jedoch ihr Bruder B ein gesteigertes Interesse hat, weswegen er ihr auch die Waffe besorgt, würde der BGH die T wegen Totschlages und den B wegen Beihilfe zum Totschlag bestrafen. Dass B aus Habgier gehandelt hat, bliebe beim BGH unberücksichtigt. Die Literatur hingegen könnte B über § 28 Abs. 2 wegen Beihilfe zum Habgiermord gem. §§ 211, 212, 27 bestrafen.
JURIQ-Klausurtipp
Der Meinungsstreit kann sich auch auf den Aufbau auswirken. Der BGH würde stets mit dem schwersten Delikt, also dem § 211 beginnen. Die Literatur kann zunächst den § 212 und erst danach den § 211 prüfen. Sofern es in der Klausur keine nennenswerten Probleme bei der objektiven Zurechnung, der Kausalität oder dem Vorsatz gibt, können Sie das Grunddelikt des § 212 zusammen mit der Qualifikation des § 211 prüfen und damit – sofern Sie Anhänger der Literatur sind – ebenfalls direkt mit dem Mord beginnen. In den Obersatz nehmen Sie dann beide Normen mit auf. Sollte Ihnen hingegen der gemeinsame Aufbau zu kompliziert erscheinen und sollten Sie die Befürchtung haben, dass Sie bei der Prüfung durcheinander geraten, dann beginnen Sie mit § 212 und prüfen erst danach § 211. Da Sie in der Klausur den von Ihnen gewählten Aufbau niemals begründen müssen, erübrigt sich eine „Vorbemerkung“ zu dem Verhältnis der Tötungsdelikte zueinander.
Kommt es in Ihrer Klausur auch auf die Strafbarkeit eines Teilnehmers an und diskutieren Sie in diesem Zusammenhang § 28, dann müssen Sie aufpassen, dass Ihr Ergebnis zum Prüfungsaufbau passt. Sollten Sie zunächst § 212 und dann § 211 oder aber die §§ 212, 211 zusammen geprüft haben, haben Sie sich damit als Anhänger der Literatur „geoutet“. Widersprüchlich wäre es dann, wenn Sie beim Teilnehmer § 28 Abs. 1 anwenden und damit dem BGH folgen würden.
2. Teil Straftaten gegen das Leben › A. Einführung › III. Lebenslange Freiheitsstrafe