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III. Subjektiver Tatbestand
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Der Täter muss vorsätzlich, d.h. in Kenntnis sämtlicher Merkmale des objektiven Tatbestandes unter Einschluss des Kausalverlaufes gehandelt haben, wobei dolus eventualis genügt. Aufgrund der bei einer Tötung bestehenden höheren psychologischen Hemmschwelle bedarf es im Einzelfall jeweils der sorgfältigen Prüfung und Begründung des Tötungsvorsatzes.[1] Es ist denkbar, dass ein Täter, obgleich er gefährliche Gewalthandlungen vornimmt, welche zum Tod des Opfers führen, die Gefahr entweder nicht erkannt hat oder aber ernsthaft darauf vertraut hat, dass eben dieser Erfolg nicht eintreten werde.[2]
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In der Klausur wird Ihnen dementsprechend häufig die Problematik der Abgrenzung zwischen bedingtem Vorsatz und bewusster Fahrlässigkeit begegnen. Die herrschende Meinung nimmt mit der sog. „Billigungstheorie“ dolus eventualis an, wenn der Täter den Erfolgseintritt für möglich erachtet und nach dem Motto „Na wenn schon“ billigend in Kauf nimmt. Bewusste Fahrlässigkeit liegt hingegen vor, wenn der Täter den Erfolgseintritt zwar ebenfalls für möglich erachtet, aber pflichtwidrig annimmt: „Es wird schon gut gehen“.[3]
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Wiederholen Sie an dieser Stelle das Kapitel „dolus eventualis“ aus dem Skript „Strafrecht AT I“.
Nach h.M. setzt sich also auch der dolus eventualis aus einem kognitiven Element („für möglich halten“) und einem voluntativen Element („billigendes In-Kauf-Nehmen“) zusammen. Bei besonders gefährlichen Handlungen ist das kognitive Element in der Regel wenig problematisch, da der Täter in diesen Fällen den Erfolgseintritt für möglich gehalten haben wird. Ob ihm nun aber eine Freiheitsstrafe von max. 5 Jahren (§ 222) oder 15 Jahren (§ 212) oder gar lebenslänglich (§ 211) droht, hängt maßgeblich davon ab, ob er sich innerlich gedacht hat „Na wenn schon“ oder „Es wird schon gut gehen“. Achten Sie darauf, dass Sie in der Klausur an dieser Stelle sauber differenzieren, sonst ergeht es Ihnen so, wie dem LG Berlin[4], dessen „Raser-Entscheidung“ der BGH[5] aufgehoben hat.
Beispiel
Die Angeklagten H und N trafen nachts in der Berliner Innenstadt an einer roten Ampel aufeinander. Spontan verständigten sie sich nun auf ein Wettrennen durch die Berliner Innenstadt über Straßen, die zu diesem Zeitpunkt mit Nachtschwärmern sowie Taxen, Bussen und sonstigen Verkehrsteilnehmern noch recht gut besucht waren. Über eine längere Strecke fuhren sie nun hintereinander oder nebeneinander her, wobei sie mit bis zu 170 km/h unterwegs waren und mehrfach rote Ampeln überfuhren. Mit einem leichten Vorsprung fuhr nun N, auf dessen Beifahrersitz K saß, bei Rot in den Kreuzungsbereich Tauentzienstraße/Nürnberger Straße ein. Aufgrund der baulichen Gegebenheiten war eine Einsichtnahme nach rechts in die Nürnberger Straße nicht möglich. Zur gleichen Zeit fuhr aufgrund der auf Grün stehenden Ampel der vorfahrtsberechtigte W in die Kreuzung ein und kollidierte mit H, der aufgrund der Gegebenheiten nicht mehr in der Lage war, zu reagieren. Das Fahrzeug des H drehte sich durch den Zusammenstoß nach links und kollidierte nunmehr mit dem Fahrzeug des N, bevor er ebenso wie das Fahrzeug des N, gegen eine Hochbeeteinfassung knallte und stehen blieb. Aufgrund der massiven Schäden an allen Fahrzeugen sah der Unfallort aus wie ein Schlachtfeld. N und H, der nicht angeschnallt war, hatten nur leichte oberflächliche Verletzungen. Die Beifahrerin K trug eine Lungenkontusion rechts, eine Knieprellung links, eine Kopfplatzwunde und eine Schnittverletzung am linken Daumen davon. W verstarb aufgrund seiner schweren Verletzungen noch am Unfallort.
Zu fragen ist nun zunächst, auf welchen Zeitpunkt bei der Prüfung des Vorsatzes abzustellen ist. Zu dem Zeitpunkt, zu dem die Täter in die Kreuzung einfuhren und von rechts W kommen sahen, ist es zwar einfach, den Vorsatz zu bejahen. Gleichwohl kann man auf diesen Zeitpunkt nicht abstellen, da sie in den verbleibenden hundertstel Sekunden keine Reaktions- und damit auch keine Handlungsmöglichkeit mehr hatten. Es muss also auf den Zeitpunkt abgestellt werden, zu welchem sie auf die Kreuzung zufuhren.
Das LG Berlin[6] hatte den Tötungsvorsatz bejaht, wobei es maßgeblich auf die hohe Gefährlichkeit der Handlung abgestellt hat. Diese Gefährlichkeit begründet aber zunächst – und zwar völlig unproblematisch – nur das kognitive Element. Dass ein Täter, der mit 170 km/h auf eine schlecht einsehbare Kreuzung bei Rot zufährt, mit der Möglichkeit rechnet, dass von rechts Autofahrer kommen, ist so naheliegend, dass jede Behauptung des Täters, er habe das nicht erkannt, leicht als „Schutzbehauptung“ widerlegt werden kann. Daraus folgt aber noch nicht, dass er sich innerlich gedacht hat „Na wenn schon“. Sofern man darauf abstellen wollte, dass es dem Täter maßgeblich um das Gewinnen des Rennens gegangen sei und er alles andere dem untergeordnet habe, überzeugt das nicht, da ein Rennen nicht mehr gewonnen werden kann, wenn es zu einer Kollision gekommen ist. Hätte der Täter tatsächlich eine Kollision in Kauf genommen, dann bedeutet dies auch, dass er in diesem Fall auch die Zerstörung seines eigenen Autos, welches sein Heiligtum war, sowie die eigene Verletzung und die seiner Beifahrerin in Kauf genommen hätte. Zudem ist die regelmäßig bei diesen Tätern anzutreffende Selbstüberschätzung zu berücksichtigen, die meist dazu führt, dass sie glauben, in der Lage zu sein, wie „Michael Schuhmacher“ alle kritischen Situationen zu beherrschen. Da die Feststellungen des LG Berlin zu diesen Aspekten nicht widerspruchsfrei und lückenhaft waren, hat der BGH[7] das Urteil aufgehoben.
Welche Vorstellung der Täter innerlich gehabt hat, muss – wie wir gerade schon sehen konnten – also anhand von objektiven Kriterien festgestellt werden. Dabei sind insbesondere die Gefährlichkeit der Handlung sowie die Wahrscheinlichkeit des Erfolgseintritts Indikatoren für den bedingten Vorsatz. In der Klausur bedarf es einer sorgsamen Bewertung sämtlicher Anhaltspunkte. Ihre Argumentation muss erkennen lassen, dass Sie alle Möglichkeiten in Betracht gezogen haben (zur Vorsatzargumentation bei den HIV-Fällen siehe Rn. 174). Keinesfalls sollten Sie eine überzeugende Argumentation durch einen Verweis auf die „Hemmschwellentheorie“ des BGH ersetzen. Der BGH[8] hat deutlich gemacht, dass es eine solche Theorie nicht gebe. Der Verweis auf die bei einer Tötung zu überwindenden Hemmschwelle sei lediglich dazu gedacht, deutlich zu machen, dass die Anhaltspunkte, anhand derer dolus eventualis bejaht werden kann, zahlreich und stichhaltig sein müssen, damit das Gericht gem. § 261 StPO zu einer Überzeugung gelangen kann.
Beispiel
In einer Disko war es wiederholt zu körperlichen Auseinandersetzungen zwischen A und seinem späteren Opfer O gekommen. Unmittelbar nachdem die Türsteher den letzten Streit geschlichtet und die Gruppen getrennt hatten, setzte A dem O nach und stieß ihm mit den Worten „Verreck, Du Hurensohn“ von hinten ein 22 cm langes Messer in den Rücken, wobei er die achte Rippe durchtrennte und mit der Messerspitze in die Lunge eindrang. Das Opfer befand sich in akuter Lebensgefahr, konnte aber durch eine Notoperation gerettet werden. Das LG verurteilte den A wegen §§ 223, 224 StGB und verneinte im Übrigen unter Hinweis auf die „Hemmschwellentheorie“ den Tötungsvorsatz.
Der BGH[9] hat erklärt, dass ein bloßer Hinweis auf die „Hemmschwellentheorie“ den Anforderungen des § 261 StPO nicht genüge. So müssten im Wege einer Gesamtbetrachtung zum einen die Tat, also die Gefährlichkeit der Handlung und das Risiko des Erfolgseintritts, sowie zum anderen der Täter, insbesondere seine Motive, ggfs. enthemmende Umstände wie Alkoholisierung oder affektive Erregungszustände sowie sein Vor- und Nachtatverhalten, mit in die Abwägung einbezogen werden. Gelangt das Gericht anhand einer umfassenden Würdigung all dieser Aspekte zu der Überzeugung, dass dolus eventualis vorliege, könne eine Verurteilung aus den §§ 211 ff. erfolgen.
Beispiel
Dolus eventualis wurde vom BGH angenommen beim Schleudern von Brandflaschen in ein von Menschen bewohntes Gebäude,[10] bei einer mehrminütigen Strangulierung,[11] bei dem gezielten Herunterwerfen von Steinen von einer Autobahnbrücke auf unten fahrende Autos.[12]
JURIQ-Klausurtipp
Sofern in einer Klausur schon im Sachverhalt der Tötungsvorsatz ausdrücklich hervorgehoben wurde, mithin also unproblematisch ist, bedarf es keiner weiteren Erörterung. Hier kann kurz und knapp festgehalten werden, dass der Täter hinsichtlich des objektiven Tatbestandes vorsätzlich handelte. Bestehen jedoch Zweifel und gibt es im Sachverhalt mehrere Anhaltspunkte, so wäre es verfehlt, den Vorsatz mit zwei Sätzen festzustellen. Hier ist eine am Fall orientierte lebensnahe Argumentation gefragt. Stellen Sie sich vor, Sie seien in einer Gerichtsverhandlung die/der Vorsitzende Richter/in und müssten dem Angeklagten erklären, warum Sie ihn des vorsätzlichen Totschlages für schuldig befinden. Und machen Sie nicht den Fehler des LG im obigen Beispiel.
2. Teil Straftaten gegen das Leben › B. Totschlag, § 212 › IV. Rechtswidrigkeit und Schuld