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II. Auslegung der Mordmerkmale

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Wie bereits dargestellt hat das Bundesverfassungsgericht in Anbetracht der lebenslangen Freiheitsstrafe gefordert, dass eine Bestrafung nach § 211 der Schwere der besonderen Schuld angemessen sein muss. Infolge dessen ist eine vorsichtige und restriktive Anwendung des § 211 geboten.

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Die Rechtsprechung und die überwiegende Literatur folgen diesem Gebot, indem sie die einzelnen Mordmerkmale des § 211 restriktiv auslegen und im subjektiven Bereich mehr oder minder deutlich eine „Bewusstseinsdominanz“ fordern, d.h. dem Täter muss das Mordmerkmal in besonderer Weise bei der Tatbegehung präsent sein.[4] In besonderen Ausnahmefällen, in welchen die Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe unverhältnismäßig erscheint, senkt die Rechtsprechung auf der Rechtsfolgenseite analog § 49 Abs. 1 Nr. 1 den Strafrahmen[5] (sog. Rechtsfolgenlösung).

Beispiel

Zwischen der BWL-Studentin S und ihrem Freund F kam es in der Vergangenheit immer wieder zu auch handgreiflichen Auseinandersetzungen wegen der Arbeitslosigkeit und des Bierkonsums des F. Als F abends wieder erheblich alkoholisiert (2 Promille) nach Hause kommt, kommt es zu dem üblichen, über 2 Stunden dauernden Streit, in deren Verlauf S dem F eine Ohrfeige verpasst. F stürzt sich daraufhin mit seinem gesamten Körpergewicht auf S, drückt diese nieder und würgt sie, bis sie blau anläuft und die Zunge heraushängt. Der Tod tritt kurze Zeit später ein.

In Betracht kommt hier ein heimtückisch begangener Mord. S kann trotz der vorangegangenen Auseinandersetzungen durchaus als arglos angesehen werden. Dafür spricht u.a., dass sie noch kurz vor dem Angriff des F im Schneidersitz auf dem Bett saß und auch keine Abwehrspuren an ihr festgestellt werden konnten. Der BGH hat jedoch das bewusste Ausnutzen dieser Arglosigkeit verneint. Er hat ausgeführt, dass es sich wohl eher um eine Augenblickstat im Zustand affektiver Erregung handelte, wobei auch die erhebliche Alkoholisierung eine Rolle spielte.[6]

Beispiel

Der 59 Jahre alte A, der bislang davon ausgegangen war, in einer intakten Ehe mit drei Kindern zu leben, erfährt von seiner Ehefrau, dass diese eine Affäre mit seinem besten Freund hat und künftig mit diesem zusammenleben wolle. Er verschafft sich daraufhin mit einer Schusswaffe Zutritt zu der Wohnung des L und erschießt diesen nach einer zunächst verbalen, im weiteren Verlauf auch tätlichen Auseinandersetzung.

Das LG Bremen[7] hat in diesem Fall – es wurde heimtückischer Mord bejaht – die Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe als unverhältnismäßig angesehen. Es hat zugunsten des Täters berücksichtigt, dass mit der Eröffnung der Ehefrau auf einmal seine gesamte Lebenswelt zusammenbrach. Er sei dadurch nicht nur zutiefst geschockt, sondern auch aufs schwerste gekränkt und absolut verzweifelt gewesen. Das Gericht hat daher die analoge Anwendung des § 49 Abs. 1 für geboten erachtet und insgesamt auf eine Freiheitsstrafe von 14 Jahren erkannt.

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Ein Teil der Literatur nimmt eine Restriktion vor, indem sie das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der Verwerflichkeit in den Mordtatbestand hinein liest und damit dem Richter die Möglichkeit eröffnet, trotz Vorliegen eines Mordmerkmales die Anwendbarkeit des § 211 zu verneinen, wenn eine umfassende Gesamtwürdigung der Tatumstände sowie der Persönlichkeit des Täters die Tötung in diesem besonderen Falle als nicht besonders verwerflich erscheinen lässt (sog. „negative Typenkorrektur“).[8] Die Mordmerkmale werden somit lediglich als Indizien für die besondere Verwerflichkeit angesehen.

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Dieser Auffassung wird von der h.M. entgegengehalten, dass das Kriterium der besonderen Verwerflichkeit zu ungenau und daher mit dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG nicht vereinbar sei.[9]

JURIQ-Klausurtipp

Diskutieren Sie in der Klausur die Möglichkeiten, § 211 restriktiv auszulegen, bei den einzelnen Mordmerkmalen. Relevant wird dies – wie nachfolgend dargestellt – insbesondere bei der Heimtücke.

Beispiel

Turgut (T), ein seit Jahren in Deutschland lebender Türke, hat Jasmin (J), Ehefrau des ebenfalls aus der Türkei stammenden Aziz (A), welcher sein Neffe ist, mehrfach vergewaltigt. Nachdem J drei Selbstmordversuche unternommen hat, erfährt A von dieser Vergewaltigung und stellt T zur Rede. Statt sich zu entschuldigen, beleidigt jedoch T den A und droht, ihn umzubringen, woraufhin A den Entschluss fasst, T zu töten. Mit einer Pistole bewaffnet geht er einige Zeit später in dessen Stammlokal und erschießt ihn in einem unbeobachteten Moment hinterrücks.[10]

A könnte sich wegen heimtückischen Mordes an T gem. §§ 211, 212 strafbar gemacht haben. Zum Zeitpunkt der Abgabe der Schüsse rechnete T nicht mit einem Angriff auf sein Leben und war dementsprechend arg- und wehrlos. Diese Arg- und Wehrlosigkeit nutzte A auch bewusst und in feindseliger Willensrichtung zur Tötung aus. Nach der Definition der herrschenden Meinung hat A damit heimtückisch gehandelt. Der BGH hat in diesem Fall wegen der besonderen Umstände allerdings auf der Rechtsfolgenseite den Strafrahmen analog § 49 Abs. 1 Nr. 1 auf maximal 15 Jahre herabgesenkt.

Die Lehre von der negativen Typenkorrektur kann diese besonderen Umstände bereits auf Tatbestandsebene beim Mordmerkmal der Heimtücke berücksichtigen und aufgrund der fehlenden Verwerflichkeit den Tatbestand des Mordes verneinen.


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JURIQ-Klausurtipp

Die Rechtsfolgenlösung darf jedoch nach Auffassung des BGH nicht voreilig angewendet werden. Zunächst müsse durch den Tatrichter (also durch Sie in der Klausur!) sorgfältig und restriktiv das Mordmerkmal geprüft werden, dann müssten sämtliche in Betracht kommenden Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe, einschließlich etwaiger Irrtümer sowie die gesetzlichen Schuldminderungsgründe geprüft werden, bevor aufgrund außergewöhnlicher Umstände eine Absenkung des Strafrahmens in Betracht komme.[11] Solche Umstände können bei außergewöhnlichen Notlagen oder aber bei notstandsnahen Bedrängnissituationen („Haustyrann“) angenommen werden.[12]

2. Teil Straftaten gegen das LebenC. Mord, § 211 › III. Objektiver Tatbestand

Strafrecht Besonderer Teil I

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