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a) Unterschiedliche Ansichten von Rechtsprechung und Literatur zur Definition und restriktiven Anwendung

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Die Eingrenzung des Begriffes der Heimtücke ist in Literatur und Rechtsprechung umstritten. Nach überwiegender Auffassung wird die Heimtücke zunächst erst einmal wie folgt definiert:


Heimtückisch handelt, wer die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutzt.[14]

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In der Literatur wird teilweise kritisiert, dass diese Definition zu weit sei und das charakteristische der Heimtücke, nämlich die „Tücke“ nicht entsprechend hervorhebe. Da § 211 restriktiv ausgelegt werden müsse und sich deutlich von einer Tötung nach § 212 abheben müsse, verlangt die Literatur, dass in der Tatbegehung die besonders verwerfliche Gesinnung ihren Ausdruck finden müsse. Überwiegend wird deshalb darauf abgestellt, dass zusätzlich ein verwerflicher Vertrauensbruch in der Tötung liegen müsse, der immer nur dann angenommen werden könne, wenn zwischen Täter und Opfer ein besonderes Vertrauensverhältnis bestehe. Ein Angriff gegen einen Arg- und Wehrlosen könne schließlich auch die Waffe des Schwachen gegen den körperlich Überlegeneren, den Brutaleren und Gewaltbereiteren sein und müsse daher nicht stets Ausdruck eines besonders verschlagenen Verhaltens sein.[15]

Beispiel

Die von A jahrelang misshandelte Ehefrau E tötet Ihren schlafenden Ehemann, nachdem dieser sie zuvor erneut brutal misshandelt hat.

Es kommt grundsätzlich ein heimtückischer Mord in Betracht. Problematisch könnte zunächst sein, ob A arglos war, als er sich schlafen legte, da er zuvor seine Ehefrau misshandelt hatte und aufgrund dessen eventuell jederzeit mit einem Angriff durch diese rechnete. Dagegen spricht allerdings, dass die Ehefrau sich bislang niemals ernsthaft gewehrt hatte und A sich immerhin in aller Seelenruhe zu Bett begab. Wie Sie sehen werden, nahm er demgemäß seine Arglosigkeit mit in den Schlaf. In dieser Situation war er auch wehrlos. Fraglich ist allerdings, ob – wie teilweise von der Literatur verlangt – zwischen den Eheleuten noch ein Vertrauensverhältnis bestand. Die fortbestehende Ehe könnte dafür, die Gewalttätigkeiten dagegen sprechen.

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Dieser Ansicht wird entgegen gehalten, dass der Begriff des Vertrauensverhältnisses schwer zu definieren sei und keine festen Konturen aufweise, damit das Mordmerkmal unbestimmt werden lasse (Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG) – mit der Folge der Rechtsunsicherheit.[16] Darüber hinaus wird eingewendet, dass der „klassische“ Mord aus dem Hinterhalt heraus, bei welchem der Täter und das Opfer zuvor in keinerlei Beziehung gestanden haben, der jedoch nach dem allgemeinen Rechtsempfinden gerade als (heim-)tückisch empfunden wird, nicht mehr dem Mordmerkmal unterfalle, verlangte man einen besonders verwerflichen Vertrauensbruch.

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Neben der Einschränkung durch den verwerflichen Vertrauensbruch gibt es des Weiteren noch die oben bereits dargestellte Einschränkung durch die negative Typenkorrektur, die sich jedoch ebenfalls des Einwands eines Verstoßes gegen das Bestimmtheitsgebot ausgesetzt sieht.

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Die Gegenauffassung nimmt die Eingrenzung auf der subjektiven Seite vor, in dem sie zunächst ein bewusstes Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers verlangt. Heimtückisch handelt der planvoll berechnende Täter der die Arg- und Wehrlosigkeit bewusst zu einem Überraschungsangriff ausnutzt, um das Opfer in seiner Verteidigung zu hindern.[17]

Beispiel

B flirtet offen und in eindeutiger Absicht mit V, der Verlobten des A, die dieser in wenigen Monaten zu heiraten beabsichtigt. A hat bereits mehrfach mit B gesprochen und ihn aufgefordert, dieses zu unterlassen. B hat ihn jedoch nur ausgelacht und ihn auf die „freie Marktwirtschaft“ hingewiesen. V selbst hat ihm erklärt, dass sie zwar nach wie vor beabsichtigte, ihn zu heiraten, gleichwohl aber den Spruch ihrer Großmutter beherzige „Wer sich ewig bindet prüfe, ob sich nicht noch etwas Besseres findet“. Im Laufe der Zeit vor Eifersucht um den Verstand gebracht, beschließt A den B zu töten. Vor seiner Haustüre versteckt er sich im Gebüsch und streckt eines Abends den nichts ahnenden B mit zwei gezielten Schüssen hinterrücks nieder.

Nach Ansicht des BGH läge hier eine heimtückische Begehungsweise vor, da A die Arg- und Wehrlosigkeit des B planvoll berechnend zur Tötung ausgenutzt hat.

Die Literatur die eine besondere Verwerflichkeit fordert, welche in einem verwerflichen Vertrauensbruch zum Ausdruck kommen soll, müsste hier die Heimtücke verneinen, da zwischen A und B unstreitig kein besonderes Vertrauensverhältnis bestand. Da darüber hinaus die Eifersucht des A auch nachvollziehbar war, mithin nicht als niedriger Beweggrund in Betracht kommt, würde eine Bestrafung nach § 211 ausscheiden.

Beispiel

A wird bei einem Fluchtversuch aus dem Gefängnis von dem herannahenden Vollzugsbeamten V überrascht. In Panik ergreift A ein herumliegendes Brett und erschlägt damit V, der ihn noch nicht wahrgenommen hat, von hinten.

Hier würde auch die h.M. einen heimtückischen Mord verneinen, da A aufgrund der Panik spontan den Entschluss zur Tötung gefasst hat und keine Zeit verblieb, bewusst die Arglosigkeit des V auszunutzen.

JURIQ-Klausurtipp

Sofern Sie Anhänger der h.M. sein sollten, verwenden Sie in der Klausur zunächst die Definition der h.M. Dabei sollten Sie – unter Berücksichtigung des Sachzusammenhangs – auch das subjektive Merkmal des bewussten Ausnutzens bereits im objektiven Tatbestand erörtern. Nachdem Sie festgestellt haben, dass nach dieser Definition eine heimtückische Begehung vorliegen könnte, fragen Sie danach, ob eine weitere Restriktion erforderlich ist und setzen sich mit den in der Literatur vertretenen Ansichten auseinander.

Ein bewusstes Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit kann auch in Fällen vorliegen, in denen der Täter es geradezu darauf anlegt, die Arglosigkeit des Opfers zu beseitigen, dieses sich aber ersichtlich nicht durch den Täter einschüchtern lässt, was dieser auch erkennt.

Beispiel

R, der es psychisch nicht verkraften kann, dass seine Freundin F sich von ihm getrennt und einen neuen Freund hat, sucht F wiederholt auf, um sie im Zuge von lautstarken verbalen Auseinandersetzungen unter anderem dafür in die Verantwortung zu nehmen, dass F ihn finanziell ausgenutzt habe. Bei einem verabredeten Treffen mit F und dem neuen Freund im Büro des R, bei dem es um einen finanziellen Ausgleich gehen soll, schließt R die Türe des Büros ab und bedrängt F im Laufe der heftigen Auseinandersetzung mehrfach mit einer Waffe. F, die glaubte, dass R ihr niemals etwas antun könne, bleibt jedoch gelassen und erklärt schließlich nach einem erneuten Wutanfall des R, bei dem dieser ihr die Waffe an den Kopf hält: „Rolf, dann musst Du tun, was Du tun musst“. Daraufhin erschießt R die F.

Der BGH[18] hat deutlich gemacht, dass für das bewusste Ausnutzen lediglich erforderlich sei, dass der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit in dem Sinne erfasst habe, dass dem Täter bewusst sei, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (Betonung des kognitiven Elementes). Nicht erforderlich sei hingegen, dass der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit instrumentalisieren oder anstreben muss – es muss ihm also nicht darauf ankommen (voluntatives Element im Sinne einer „Absicht“), einen arg- und wehrlosen Menschen zu töten.

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Ferner hat der BGH durch das weitere, subjektive Erfordernis der „feindseligen Willensrichtung“ in der Vergangenheit eine Einschränkung bei den sog. „Mitleidsmorden“ gemacht, bei denen der Täter zum vermeintlich Besten des Opfers handeln will.[19] Beachten Sie aber, dass diese Fälle abzugrenzen sind von den sog. „Todesengel“-Fällen, bei denen die Täter sich zu Herrschenden über Leben und Tod aufschwingen. Bei den Mitleidsmorden geht der Täter davon aus, dass das Opfer selber die Tötung wolle, um nicht länger leiden zu müssen. Bei den „Todesengel“-Fällen glaubt der Täter hingegen, dass unabhängig vom Willen des Opfers das Leben des Opfers seiner eigenen Auffassung nach nicht mehr lebenswert sei. In diesen Fällen kann u.U. eine Tötung aus niedrigen Beweggründen in Betracht kommen.[20]

Schließlich bleibt bei außergewöhnlichen Fällen noch die oben dargestellte Möglichkeit der Herabsetzung des Strafrahmens („Rechtsfolgenlösung“).

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