Читать книгу Die Erben des Lichtervolks - Sabrina Schluer - Страница 14
ОглавлениеSchmerzen
Joe war irgendwann unterwegs aufgewacht und hatte schnell beschlossen, sein Spiel, dass er nicht bei Bewusstsein war, fortzusetzen. Er hatte gehofft, noch ein paar mehr Informationen über den Ort zu erhalten zu dem sie ihn inzwischen gebracht hatten. Doch es war eine sehr schweigsame Prozession gewesen, die sie da im immer dunkler werdenden Wald unternommen hatten. Es musste bereits später Nachmittag gewesen sein, als Joe aufgewacht war, und so aufmerksam sein Träger auch durch das unwegsame Gelände gelaufen war, so war seine Haltung mit der Zeit doch sehr unbequem geworden. Er hatte sich danach gesehnt, selbst zu laufen, seine Glieder durchzustrecken und so die Schmerzen der Unbeweglichkeit zu vertreiben. Außerdem hätte es ihm geholfen, nicht so viel nachzudenken. Was hatte es zu bedeuten, dass ihn gleich vier Männer auf einmal im Wald aufgespürt hatten? Wie viele gab es noch? Hatte er vorhin richtig gehört, als sie einen Jason erwähnt hatten, den sie um Rat fragen wollten? Vielleicht war der Name auch Janosh gewesen … war dieser Jason oder Janosh … wie auch immer; war er der Anführer dieser Gruppe? Warum war er dann nicht bei ihnen? Gab es noch mehr von ihnen? Und was war mit Linc? Hatten sie ihn womöglich gefangen genommen? Lebte er überhaupt noch? Fragen über Fragen. Zwar war der Schmerz in seinem Kopf noch immer heftig gewesen, aber das stechende Dröhnen hatte etwas nachgelassen. Der Schmerz war auch jetzt noch dumpf und beständig in seiner Intensität. Das machte ihn in gewisser Hinsicht erträglicher. Doch die vielen Fragen und Sorgen, insbesondere die um Linc, waren definitiv nicht förderlich.
Der kleine Trupp hatte sich unterwegs keine Pause gegönnt, und als sie endlich ihr Ziel erreicht hatten, war die Sonne bereits untergegangen. Das hatte Joe gespürt, weil keinerlei rötlicher Schleier mehr über seinen Augen gelegen hatte, wenn er sie unter der Augenbinde doch einmal geöffnet hatte. Er hielt sie irgendwann geschlossen, es machte die Kopfschmerzen erträglicher. Dieser Chris hatte wirklich einen harten und präzisen Schlag. Jemand, der vielleicht tatsächlich nur ein Arbeiter und kein Soldat war, hätte wohl nicht nur so tun müssen, als wäre er bewusstlos.
Die Stimme des Mannes, der sie begrüßt hatte, war ruhig, autoritär und eindringlich gewesen. Vielleicht war das dieser Jason gewesen? Instinktiv hatte Joe gespürt, dass es sich um einen geborenen Anführer handelte. Und die Art, wie die Männer mit ihm gesprochen hatten, legte nahe, dass sie ihn als ihr Oberhaupt respektierten. Er hatte wissen wollen, wer Joe war und ob es nötig gewesen war, ihn außer Gefecht zu setzen. Dabei war es ihm eindeutig nicht darum gegangen, dass Joe verletzt worden war, sondern darum, wer der Gefangene war. Er hatte sich hintergründig nach den Umständen der Gefangennahme erkundigt. Und die Sorgen seiner Leute, insbesondere die Chris’, schien er sehr ernst zu nehmen. Nicht zu Unrecht, wie Joe gedacht hatte. Dann hatte der Anführer angeordnet, ihn in einen alten Vorratskeller zu stecken.
Und hier lag er nun. Immer noch gefesselt und mit seiner Augenbinde und fragte sich, wie lange es wohl so bleiben würde. Sein Hunger und der brennende Durst waren im Verlauf des Tages stärker und ätzender geworden. Seine Eingeweide fühlten sich an, als würden fette Würmer darin mit Schlangen kämpfen. Seltsam, wo sein Magen doch vollkommen leer war. Seine Zunge fühlte sich riesig an und wie von Sandpapier überzogen. Joe wusste, wenn er nicht bald etwas zum Trinken bekäme, würde er sterben. Er spürte, dass er bereits verdurstete. Sein Körper kämpfte mit seinem Instinkt und Joe wusste nicht, wer die Oberhand gewinnen würde. Sein Körper wollte nicht mehr weiter durchhalten und sich endlich dem Schlaf ergeben, der immer wieder versuchte, sein Bewusstsein an friedlichere Orte zu bringen, Orte, an denen er genug zu essen und Wasser, so viel Wasser hätte. Aber sein Instinkt sagte ihm immer wieder, dass er wach bleiben musste. Dass er nicht aufgeben und nicht einschlafen durfte. Er hatte eine Aufgabe, nein, eine Mission, für die er am Leben bleiben musste.
Der Kampf dauerte an, während die Stunden vergingen. Oder waren es Tage? Joe konnte es nicht mehr sagen. Als endlich die Tür aufging, schaffte er es nicht, den Kopf zu heben. Er hörte keine Schritte näherkommen, spürte nicht den sanften Luftzug, der hinter der Person hereingeweht war. Doch er spürte, wie die Fesseln um seine Handgelenke gelöst wurden. Sofort begannen seine Finger zu kribbeln. Er hatte vorher nicht wahrgenommen, dass die Fesseln doch etwas zu straff gewesen waren. Dann spürte er noch etwas: Jemand zog seine Arme vor seinen Körper. Es war eine Wohltat für die Muskeln und Sehnen in seinen Schultern. Nun hob dieser jemand seinen Kopf an. Nur ein Stück weit, dann wurde er auf etwas Weichem abgelegt. Er spürte den sanften Druck der Finger an der Stelle, wo Chris ihn mit was auch immer getroffen hatte. Die Hand, die seine Wunde untersucht hatte, hielt seinen Kopf nun gerade, damit er nicht von seinem Polster rutschte. Joe konnte die Kraft nicht aufbringen, ihn selbst aufrecht zu halten. Und dann war da kalte Flüssigkeit, Wasser, das in seinen Mund rann. Nur ein paar Tropfen. Er musste kaum schlucken, das Wasser fand seinen Weg in seine staubtrockene Kehle von ganz allein. Noch ein winziger Schluck, dann noch einer. Joe hob eine Hand und legte sie auf die Stelle, wo er glaubte die Hand mit der Tasse zu finden. Und tatsächlich schloss sich da seine Hand um die kühlen Finger und er neigte sie und die Tasse, um mehr Wasser trinken zu können. Die fremde Hand bremste ihn, aber nicht so, als wollte sie ihm das Wasser nicht geben. Eher mahnte sie ihn zur Vorsicht. Und tatsächlich merkte Joe schon, wie die Flüssigkeit seinen verkrampften Magen schmerzhaft löste. Nur zwei weitere, sehr vorsichtige Schlucke konnte er noch nehmen, dann verschwand die Hand mit der Tasse. Aber sie war sofort wieder zurück und drückte etwas Weiches an seine Lippen. Brot? Nur ein kleines Stück, aber es fühlte sich durch seine immer noch geschwollene Zunge riesig an. Er musste langsam und lange kauen, bevor er es herunterschlucken konnte. Er konnte nichts schmecken. Aber jetzt, da seine Sinne durch die Nährstoffe wieder ein wenig schärfer wurden, registrierte er, was er zuvor nicht richtig wahrgenommen hatte. Die Hand war klein und sehr weich gewesen. Nicht die Hand eines Mannes, oder? Aber auch nicht die eines Kindes … während er kaute und seine Lebensgeister vorsichtig aufblicken spürte, registrierte Joe auch, dass der Drang, der ihn die letzten Wochen durch sein Leben geführt hatte, verschwunden war. Er war aber nicht einfach weg. Vielmehr war er durch eine Gewissheit ersetzt worden. Joe wusste aus irgendeinem Grund, dass er am Ziel der Reise angekommen war. Er glaubte, dass er hier Antworten finden würde.
Eben hatte er das zweite Stück Brot angenommen, als die zornige Stimme des Anführers ertönte. Durch den erdigen Keller, in dem sie sich befanden, klangen seine Worte etwas dumpf, doch Joe konnte die von Angst begleitete Wut darin deutlich hören.
„Was machst du hier? Geh weg von ihm! Wer weiß, wozu er fähig ist!“
Joes Kopf wurde sanft auf den Boden zurückgelegt und eine leise, klare und weiche, definitiv weibliche Stimme antwortete: „Ich denke nicht, dass er im Moment zu Vielem fähig ist. Siehst du nicht, dass er kurz davor steht zu sterben? Jemand musste ihm etwas zum Trinken geben. Er wäre verdurstet und dann hätte er keine deiner Fragen beantworten können. Wer hat ihm diese Wunde zugefügt?“
In ihrer Art zu Sprechen lag beinahe so viel Autorität wie in der des Mannes. Ihr Tonfall ließ keinen Zweifel daran, dass sie ganz genau wusste, was sie hier machte. Trotz des leisen Vorwurfs und der unterschwelligen Wut klang sie erstaunlich ruhig, irgendwie sanft.
„Hat er irgendetwas zu dir gesagt?“, wollte der Mann aufgebracht wissen.
„Nein, er hatte etwas Wasser und zwei kleine Bissen von dem Brot. Warum hast du es vor die Tür gestellt, Jason? Wie hätte er da rankommen sollen?“
Diesmal war der Ärger deutlicher aus ihrer Stimme herauszuhören. Und Jason druckste tatsächlich etwas herum, als er antwortete.
„Ich hatte gedacht, sie hätten ihm die Fesseln abgenommen, als er drin war. Ich werde mit Mike und Chris reden. Und mit Tobi. Er liegt immer noch schlafend da, schnarcht die halbe Siedlung zusammen. Ich habe nur gesehen, dass die Tür offen steht, und das Schlimmste befürchtet.“
Er war nähergekommen, während er geredet hatte. Die Frau war aufgestanden, Joe hörte, wie ihre Schuhe ganz leise über den Boden kratzten. Sie hatte seinen Kopf so abgelegt, dass er gut hören konnte, was sich um ihn herum abspielte, und dass es trotzdem nicht zu unbequem war. Immer noch war nur das eine Ohr frei, aber er musste sich dank der niedrigen Decke und der erdigen Wände nicht anstrengen, um jedes Wort zu verstehen. Das war auch gut so. Zwar hatte jahrelanges Training seine Sinne geschärft und selbst wenn er gerade nicht in bester Verfassung war, so waren sie dennoch überdurchschnittlich gut. Wäre er doch nur nicht so müde.
„Ich hab euch belauscht“, sagte die Frau. „Ich bin aufgewacht und habe von meinem Fenster aus gesehen, wie ihr hierhergekommen seid, und habe euch dann zugehört, als ihr in der Küche geredet habt. Ich bin durchs Fenster raus“, gab sie nun ein wenig kleinlaut zu.
„So? Warum habe ich das bereits vermutet? Ich meine, du gehst nicht so oft zu nachtschlafender Zeit hier runter, oder?“
Nur ein sehr sanfter Tadel schwang in Jasons Worten mit, genau genommen klang er eher belustigt. Nun, da er gesehen hatte, dass keine unmittelbare Gefahr bestand, hatte er sich merklich entspannt.
„Wie hast du es geschafft, das Tobi nicht aufgewacht ist, als du ihm die Schlüssel abgenommen hast?“, fragte er nun und Joes Eindruck bestätigte sich. Er war definitiv belustigt und auch ein wenig beeindruckt. Die Frau antwortete nicht, aber im nächsten Moment hörte Joe ein kurzes schnaubendes Kichern. Was hatte sie gemacht? Warum hatte Jason gelacht? Die Art und Weise wie er mit der Frau sprach, ließ Joe vermuten, dass sie womöglich seine Tochter war. Das wäre wirklich ungewöhnlich, allerdings schien er es hier nicht mit gewöhnlichen Menschen zu tun zu haben. Wenn er sich recht erinnerte, hatte Chris den älteren Mann heute Morgen im Wald mit „Dad“ angesprochen. Joe wusste, dass man so seinen Vater nannte. Aber diese Frau hatte Jason mit seinem Vornamen angesprochen. Vielleicht war sie auch seine Frau? Hoffentlich nicht, dachte er unwillkürlich und wunderte sich sogleich über diesen Gedanken.
„Ich würde jetzt gerne mit ihm unter vier Augen sprechen.“ Eine kurze Pause trat ein, als nun wieder der Anführer aus Jason sprach. Die Frau sagte wieder nichts, ging aber auch nicht hinaus.
„Ich erzähle dir alles hinterher, versprochen“, sagte er ernsthaft und da verließ sie den Keller.
Joe wollte eigentlich nicht, dass sie ging. Er musste an ihre weichen und sanften Hände denken, daran wie er sich in ihnen gefühlt hatte: umsorgt und sicher. Aber dafür war nicht der richtige Zeitpunkt, er musste aus dieser beklemmenden Lage heraus. Er wollte mit diesem Jason reden, ihm sagen, dass er nicht hier war, um sie alle zu töten oder auszuliefern.
Endlich spürte Joe, wie auch die Fesseln an den Stiefeln gelöst wurden. Er bewegte seine Arme und Beine, knetete und massierte seine Handgelenke, beugte und streckte die Füße, um wieder Gefühl in die Gliedmaßen zu bekommen. Er bereute es beinahe sofort, denn mit den Berührungen und Bewegungen kehrten die Schmerzen zurück. In den letzten Stunden hatte eine angenehme Taubheit von ihm Besitz ergriffen, die er sich nun beinahe zurückwünschte. Bei ihr hatten die Berührungen nicht gebrannt …
Die Augenbinde nahm Jason nicht ab und Joe wagte es nicht. Er setzte sich an die Wand, die er im Rücken spürte, und betastete den groben Verband um seinen Kopf.
„Wenn du dir die Augenbinde abnimmst, muss ich deine Hände wieder fesseln, hast du verstanden? Ich will das eigentlich nicht machen, also behalt sie auf, ja?“, befahl Jason barsch. Joe ließ die Hände sinken und nickte stumm. „Weißt du, wir sind hier ein wenig empfindlich, was Besucher angeht. Noch dazu wenn es sein könnte, dass diese Besucher vom Zentrum hierhergeschickt wurden.“ Jason musste es nicht wie eine Frage klingen lassen, um deutlich zu machen, dass es eine war.
„Niemand hat mich geschickt.“
Es war das erste Mal seit mindestens sechs Tagen, dass Joe laut gesprochen hatte. Seine Stimme fühlte sich fremd an und sie klang ganz falsch. Kratzig und rau, als wäre sie eingerostet.
„Dann bist du also nicht im Auftrag der Ältesten hier, um auch noch die letzten freien Menschen zu finden und ins Netz einzuspeisen?“
Joe runzelte die Stirn und fragte sich, was das Netz sein sollte. Aber das war zweitrangig. Jason glaubte ihm offensichtlich nicht, das war gerade wichtiger. Er war sehr vorsichtig, dieser rätselhafte Anführer. Es würde bestimmt einiges nötig sein, um sein Vertrauen zu gewinnen. Wenn Joe ihm nur in die Augen sehen könnte, dann würde Jason die Aufrichtigkeit in den seinen doch bestimmt erkennen.
„Nein, das bin ich nicht. Bitte lass mich dich ansehen, damit ich dir alles erklären kann“, krächzte Joe. Er versuchte, so viel Offenheit in seine Bitte zu legen, dass die Dringlichkeit dahinter vielleicht nicht zu sehr auffiel. Er wollte wieder zu der Frau. Wer auch immer sie war, sobald sie den Raum verlassen hatte, war dieser Drang zurückgekehrt. Stärker als jemals zuvor, beinahe unerträglich. Deswegen wollte er Jason so schnell wie möglich dazu bringen, ihm zu glauben. Doch er hielt es auch nicht für klug, seine Karten gleich offen auf den Tisch zu legen. Sein Instinkt sagte ihm, dass es besser war, sehr vorsichtig an die ganze Sache heranzugehen. Es konnte immer noch passieren, dass sie ihn töteten. Wenn sie zu dem Schluss gelangten, dass seine Anwesenheit hier zur Gefahr werden könnte, müsste es wohl oder übel dazu kommen.
„Ich fürchte, das geht leider nicht“, lehnte Jason Joes Bitte nicht unfreundlich ab. „Du müsstest doch wissen, wie das Zentrum arbeitet. Ich kann die Sicherheit meiner Leute nicht aufs Spiel setzen. Dir sollte inzwischen klar geworden sein, dass wir hier nicht lange fackeln, wenn es darum geht, unsere Freiheit zu gewährleisten. Bist du Teil des Netzes?“
Joe schürzte bedauernd die Lippen und schüttelte den Kopf. Er wusste nicht, was dieses Netz sein sollte. Ebenso wusste er nicht genau, was Jason damit meinte, wenn er voraussetzte, dass Joe wusste, wie das Zentrum arbeitete. Was hatte er denn mit dem Zentrum zu tun? Er hatte lediglich die ersten beiden Jahre seiner Grundausbildung dort verbracht, ansonsten hatte er immer in der Vorstadt gelebt.
„Ich weiß nicht, was du damit meinst. Ich wurde nicht hierhergeschickt, das habe ich doch schon gesagt“, erklärte Joe mit noch immer rauer Stimme. Dann gab ihm sein Instinkt einen kleinen Schubser und lieferte ihm sein nächstes Argument.
„Ich wollte nur frei sein. Das müsstest du doch verstehen.“
Darauf herrschte ein langes Schweigen und je länger es dauerte, desto unruhiger wurde Joe. Ob sein Instinkt ihn dieses eine Mal im Stich gelassen hatte? Hatte er vielleicht genau das Falsche gesagt?
Schließlich sprach Jason wieder: „Ich werde morgen jemanden zu dir schicken, um herauszufinden, ob du im Netz bist oder nicht. Wenn du die Wahrheit sagst und nicht darin bist, können wir vielleicht über die Augenbinde reden.“
Dann nahm er ohne ein weiteres Wort Joes Hände und fesselte sie erneut. Diesmal jedoch vor dem Körper, sodass Joe sie zum Mund heben konnte. Das Seil saß im Vergleich zu vorher beinahe locker um seine Handgelenke. Jason drückte ihm den Wasserbecher in die Hand und sofort nahm er noch ein paar Schlucke. Während er trank, band Jason ein weiteres Seil um Joes Knie, zog sie daran hoch, sodass seine Füße auf der Erde standen und fummelte dann noch an den Handfesseln herum. Schließlich nahm Jason ihm die Tasse ab und gab ihm das Brot in die Hände. Er stieß einmal kurz mit der Wassertasse an seinen Oberschenkel.
„Wenn du die Beine lang machst, kommst du an das Wasser“, erklärte Jason leise. Dann stellte er die Tasse genau neben der Stelle, die er gestupst hatte, ab und verließ den Keller. Die Tür schloss sich und da saß Joe nun, ließ den Kopf hängen und versuchte als Erstes seine Augenbinde zu erreichen. Mit einem Ruck und einem kurzen Zug um die Knie stoppten seine Hände knapp vor seiner Oberlippe. Er würde essen und trinken können, das schon. Die Beine hatte er bereits angewinkelt, also brachte es nichts, sie noch weiter zu heben. Er würde seine Augen nicht erreichen können. Und er würde im Sitzen schlafen müssen, mit eingeschränkter Bewegungsfreiheit der Beine. Womit hatte er das alles verdient?
Mit einem resignierten Seufzen schob er sich das Brot in den Mund und biss ab. Erst jetzt registrierte er, dass es ungewöhnlich intensiv und gehaltvoll schmeckte. Während er es langsam aß, dachte er über all das nach, was sich in den letzten Tagen und in erster Linie in den letzten Minuten ereignet hatte.
Was für eine Art von Prüfung oder Test sollte das wohl sein, die Jason da angekündigt hatte? Warum hatte er ihn nicht nach seinem Namen gefragt? Und was meinte er damit, wenn er von diesem Netz sprach? Ob Joe darin sei, hatte er wissen wollen, sogar mehrfach. Joe hatte noch nie davon gehört und konnte sich keinen Reim darauf machen. Und was hatte es mit dieser Frau auf sich? Warum wollte er sie so dringend sehen und herausfinden, ob sie Jasons Tochter oder seine Partnerin war? Das ging ihn doch gar nichts an.
Erschöpft von einfach allem, insbesondere jedoch vom vielen Grübeln, und mit immer noch schmerzendem Kopf schlief Joe schließlich ein. Morgen würde er Antworten bekommen. Ganz bestimmt.