Читать книгу Die Erben des Lichtervolks - Sabrina Schluer - Страница 7
ОглавлениеErwartungen
Tief in Gedanken versunken, zog er an seiner Zigarre und inhalierte den heißen Qualm. Er wusste, dass man das eigentlich nicht machte, aber was kümmerten ihn veraltete gesellschaftliche Konventionen? Er hatte weit wichtigere Dinge im Kopf als das korrekte Paffen von teuren Zigarren. Schließlich musste er das große Ganze im Auge behalten, die Bewegungen in den Landen beobachten, um jederzeit die Kontrolle zu behalten und seinem großen Ziel endlich näherzukommen.
Seit einigen Wochen schon herrschten in ihm nervöse Spannung und freudige Erregung. Er wartete jeden Tag auf die ersehnte Nachricht und hoffte, dass er an alles gedacht, alle Eventualitäten in Betracht gezogen hatte. Der Plan durfte nicht scheitern. So viele Hürden hatte er bereits genommen, so lange Zeit hatte er gewartet. Es durfte nicht umsonst gewesen sein. Auf keinen Fall durfte auch nur ein winziges Detail schiefgehen.
Einen weiteren tiefen Zug nehmend, drehte er sich mit seinem bequemen Lederstuhl zum großen Panoramafenster seines geräumigen Arbeitszimmers um. Mancher hätte den riesigen, ovalen, in weiß und schwarz eingerichteten Raum als extravagant bezeichnet, wenn es demjenigen gestattet war, seine Meinung frei zu äußern. Er hingegen hielt sein Arbeitszimmer für schlicht und elegant, einem Machthaber würdig. Doch jetzt schaute er auf die Stadt herab, die sich rund um den großen Turm, das Zentrum, erstreckte. Es war eine prächtige Stadt, dachte er voller Stolz. Niemals herrschte Stillstand und das System war stabiler denn je.
Zwischen den Hochhäusern hindurch spähte er zum Horizont, wo er, nur dank des Zwölfers in seinem Gehirn, so gerade eben noch die in der Luft flackernden grauen Bauten der Vorstadt erkennen konnte. Er hatte seinen Blick in letzter Zeit sehr oft in diese Richtung schweifen lassen. Öfter noch als in den vielen Jahren des Wartens, die sich nun endlich auszuzahlen schienen.
Die Sonne schickte sich an unterzugehen und eine zarte Röte zeichnete sich zwischen den Schleierwolken ab. Er mochte diesen Anblick. Der Sonnenuntergang hatte immer die besten Ereignisse mit sich gebracht. Als es, ein paar Minuten später als verabredet, an der Tür klopfte, hoffte er, dass auch dieser Abend einen guten Abschluss finden würde.
„Herein!“, blaffte er und drehte sich rasch zu seinem Schreibtisch um. Das wurde aber auch Zeit, dachte er, die Zigarre im großen Aschenbecher aus Kristallglas ausdrückend, als sich schon die Tür öffnete. Ejon Carter, sein Oberster Diener und wie immer die personifizierte Diskretion, trat herein.
„Sehen Sie mich an, Ejon“, forderte er den hochgewachsenen, hageren jungen Mann auf. Carter gehorchte unverzüglich und ein beinahe triumphierender Ausdruck lag in seinen grauen, ungewöhnlich alten Augen.
„Es ist so weit, Sir. Landon hat sich entschieden“, raunte der Oberste Diener mit seiner knarzigen Stimme, ein sanftes, zufriedenes Lächeln auf den schmalen, blassen Lippen.
„Hervorragend.“ Ein Gefühl des Triumphs durchströmte ihn. Er hatte sich nicht geirrt, wie könnte er auch? „Und der Helfer?“, erkundigte er sich, die freudige Erregung in seiner Stimme unterdrückend.
„In Gewahrsam, Sir, wie befohlen“, schnarrte Ejon. „Wir können die Exekution –“
„Nein“, unterbrach er ihn barsch, einer Eingebung folgend. „Lassen sie ihn vorerst am Leben, Ejon. Ich habe da eine andere Idee.“ Er dachte an die Unterhaltung mit seinem Chefentwickler am Morgen dieses Tages und ein boshaftes Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus.
Ein wenig perplex, doch professionell genug, um es zu verbergen, neigte Ejon den Kopf. „Wie Sie wünschen, Sir. Gibt es noch Anweisungen?“
„Heute nicht mehr.“
Ejon, der wusste, dass er damit entlassen war, verneigte sich knapp und zog sich dann zurück.
Mit einem rückversichernden Blick auf die Tür überzeugte er sich davon, dass er allein war. Ejon hatte sie so leise geschlossen, dass er sich nicht sicher war. Der unauffällige junge Mann war wirklich ein guter Oberster Diener, auch wenn er sich bisweilen täuschte, was die Pläne seines Herrn anging.
Diesem gelang es nicht, das Lachen, das sich als zischendes Kichern ankündigte, länger zurückzuhalten. Er drehte sich erneut zum Fenster um, lehnte sich mit hinter dem Kopf verschränkten Armen zurück und genoss die Genugtuung über seine geglückte Vorhersage. Er hatte Recht behalten und das lange Warten hatte sich endlich ausgezahlt.
Alles verlief nach Plan.