Читать книгу Nordmord - Sandra Dünschede - Страница 20
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ОглавлениеKommissar Thamsen hatte zunächst die Kollegen in Husum wegen des Wagens der Ermordeten informiert und sich dann auf den Weg zur Wohnung von Heike Andresen gemacht. Die Kollegen von der Spurensicherung hatten bereits mit ihrer Arbeit begonnen.
Auf den ersten Blick war da nichts Auffälliges. Die Zimmer waren zweckmäßig eingerichtet. Es herrschte eine gewisse Unordnung, von welcher er aber nicht sagen konnte, dass sie ihn störte. Das Badezimmer wirkte sauber. Keine zweite Zahnbürste, keine Bartstoppeln im Waschbecken, kein Aftershave. Heike Andresen schien Single gewesen zu sein.
Die Bücherregale waren hauptsächlich mit Fachliteratur gefüllt, daneben ein paar Romane von Martin Walser, Henning Mankell und Paul Auster. An der Pinnwand über dem Schreibtisch eine private Telefonliste, ein paar Fotos, darunter auch etliche, auf denen Marlene Schumann zu sehen war. Sein Blick fiel auf eine Landkarte, die neben dem Foto eines kleinen Jungen hing.
Wahrscheinlich eine Patenschaft, dachte er.
Er drehte sich um, als ein Kollege den Raum betrat.
»Herr Thamsen, die Vermieter warten auf Sie.«
Er ging hinüber ins Haupthaus. Ein Mann Ende 50 öffnete die Tür. Man hatte ihn erwartet. Er stellte die üblichen Fragen. Wie lange Heike Andresen bei ihnen gewohnt habe? Seit etwas länger als neun Monaten. Ob ihnen etwas besonders aufgefallen sei? Nein, die Mieterin sei sehr ruhig und äußerst anständig gewesen. Sonst noch was?
Das Ehepaar schüttelte gleichzeitig die Köpfe.
»So ein junges, hübsches Ding. Wer macht denn so was?«, fragte der Mann.
Dirk Thamsen entging der gehässige Blick nicht, den die Ehefrau ihrem Mann zuwarf.
»Wir wissen es leider nicht. Noch nicht.«
»So ein Mist!«
Haie und Tom saßen geduckt hinter einem Gartenzaun und beobachteten, wie Heikes Wagen gerade auf einen Abschleppwagen geladen wurde. Ein Polizist in Uniform überwachte den Vorgang.
»Aber selbst wenn wir vor der Polizei da gewesen wären, wie hättest du den Wagen öffnen wollen?« fragte Tom flüsternd den Freund.
Haie grinste.
»Das hätte ich schon hingekriegt.«
Er hatte schließlich Übung. Eine junge Lehrerin hatte bereits mehrere Male ihren Schlüssel verlegt. Da sie den Ersatzschlüssel immer im Handschuhfach aufbewahrte, hatte er ihr schon mehrere Male ausgeholfen.
»Im Handschuhfach? Wie dämlich ist das denn?«
Haie zuckte mit den Schultern, während er den Abschleppvorgang weiter beobachtete. Plötzlich hörten sie hinter sich ein Räuspern.
»Dürfte ich wohl erfahren, was die Herrschaften in meinem Vorgarten verloren haben?«
Ein älterer Mann war unbemerkt hinter sie getreten. Die Hände in die Hüften gestemmt, wartete er auf eine Erklärung von den beiden. Tom, dem die Situation äußerst peinlich war, schoss das Blut ins Gesicht, aber sein Freund antwortete wie selbstverständlich:
»Oh, entschuldigen Sie bitte. Wir haben da drüben einen alten Bekannten gesehen, dem wir nicht begegnen wollten, wenn Sie verstehen?«
Er zwinkerte mit seinem rechten Auge.
»Deshalb haben wir hinter Ihrem wunderschönen Zaun kurz Schutz gesucht.«
Der Mann blickte nicht besonders überzeugt, nickte aber, als die beiden sich erhoben und auf den Gehsteig traten. Haie blickte nach rechts und links, tat als vergewissere er sich, dass der angebliche Bekannte nicht mehr in Sichtweite war. Dann drehte er sich um.
»Danke und nichts für ungut!«
Schnell gingen sie die Straße entlang zurück zu ihrem Wagen.
»Hoffentlich ist Marlene nicht aufgewacht.«
Haie hatte vorgeschlagen, Elke zu bitten, bei Marlene zu bleiben. Tom hatte zugestimmt. Er wusste, dass es dem Freund nicht leicht fiel, seine Exfrau um einen solchen Gefallen zu bitten. Allerdings fragte er sich, ob Elke nicht doch ein wenig überfordert war mit der Situation, besonders wenn Marlene aufwachte und wieder einen Weinkrampf bekam.
»Ist die Apotheke am Markt?«
Sie hatten das Ortsschild Bredstedts passiert. Eine Apotheke hatte hier Notdienst, er hatte sich erkundigt.
Sein Beifahrer nickte kaum merklich. Während der Freund das Rezept einlöste, blieb Haie im Wagen sitzen.
»Echt schade, dass die Polizei vor uns da war. Wer weiß, was wir in Heikes Wagen gefunden hätten? Warum musstest du denn auch dem Kommissar bloß davon erzählen?«
Haie war sichtbar enttäuscht.
»Nu hör aber mal auf«, entgegnete Tom, während er den Wagen auf die B 5 lenkte. »Wir sind schließlich nicht die Polizei. Immerhin geht es hier um Mord.«
Er bereute es, dem Vorschlag des Freundes gefolgt zu sein, und hoffte nur, dass Marlene noch tief und fest schlief und seine Abwesenheit nicht bemerkt hatte. Nicht auszudenken, wenn sie aufgewacht und er nicht für sie da gewesen war. Marlene brauchte ihn jetzt, nur das war momentan wichtig. Er trat das Gaspedal bis zum Anschlag durch.
Kommissar Thamsen zögerte das Gespräch, welches er mit seiner Exfrau führen musste, absichtlich lange hinaus.
Er hatte den Bericht der Spurensicherung gelesen, an einer Lagebesprechung teilgenommen und dann beschlossen, noch einmal zur Lecker Au rauszufahren.
Die bisherigen Untersuchungen hatten zwar ergeben, dass der Fundort der Leiche mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht der Tatort war, aber vielleicht hatten sie ja doch etwas übersehen.
Er parkte den Wagen an der Bushaltestelle und ging auf die Brücke. Ans Geländer gelehnt, blickte er hinunter in das leicht gekräuselte, dunkle Wasser der Au, das beharrlich Richtung Meer floss. Das Schilf raschelte leicht vom Wind bewegt. Kaum vorstellbar, dass sich hier vor gar nicht langer Zeit ein Mensch einer Leiche entledigt hatte. Warum hatte er ausgerechnet diesen Ort gewählt? Er blickte sich um. Die Straße war verhältnismäßig gut einsehbar. Das konnte ein Vor- und gleichzeitig ein Nachteil sein. Obwohl, hier im Koog fuhren eigentlich sowieso sehr wenige Autos. Das war also wahrscheinlich nicht das Hauptargument gewesen. Ein weiterer Nachteil war natürlich der Hof, der sich ganz in der Nähe befand. Allerdings waren die hohen Bäume rings um das Haus noch recht stark belaubt, sodass man wahrscheinlich keine Einsicht von dort aus auf das Treiben hier auf der Straße hatte. Außerdem würden die Besitzer wohl kaum die ganze Nacht am Fenster stehen und nach einem Mörder Ausschau halten.
Den Hauptgrund für die Wahl dieses Ortes sah er in der kleinen Zufahrt zur Au. Mit dem Auto konnte man beinahe bis ans Ufer heranfahren. Und dass die Leiche von dort aus in den Fluss befördert worden war, davon ging er aus. Die Spurensicherung hatte jede Menge Reifenspuren gefunden. Und wenn er versuchte, sich in die Situation des Täters zu versetzen, er hätte wohl den gleichen Weg gewählt. Hier hatte er unbemerkt die Leiche aus dem Kofferraum heben, die kleine Anhebung hinauftragen und dann vorsichtig ins Wasser rollen können.
Und dort hatte sie dieser Angler gefunden. Von ihrem Mörder jedoch nicht wirklich eine Spur. Die Auswertung der Reifenspuren würde noch dauern und selbst dann hatten sie noch keinen wirklichen Hinweis. Er ging hinunter zum Gatter und öffnete es. Prinzipiell konnte hier jeder hereinfahren. Die Metallpforte war nicht verschlossen.
Den Blick fest auf den Boden gerichtet, stieg er die Böschung hinauf, welche die Au begrenzte. Die Spurensicherung hatte ganze Arbeit geleistet. Nicht ein Schnipsel Papier, Müll oder eine Zigarettenkippe waren auf dem Boden zu finden.
Er hörte ein Motorengeräusch, ein Auto näherte sich. Auf der Brücke hielt es an, ein Mann und eine Frau stiegen aus. Er zeigte mit der ausgestreckten Hand hinunter in den Fluss. Als sie ihn am Ufer stehen sahen, stiegen sie schnell wieder in den dunkelblauen Kombi und fuhren weiter. Schaulustige. Die Vorstellung, dass hier unten eine Leiche gelegen hatte, zog sie magisch an. Wieder fragte er sich, was genau die Menschen an solch einen Ort zog? War es der Hauch des Todes, der noch in der Luft hing?
Er drehte sich um und ging zurück zu seinem Wagen. Für ihn war es einfach nur ein Ort, an dem ein grausames Verbrechen geschehen war. Ein Verbrechen, das dringend nach Aufklärung verlangte.
Marlene hatte immer noch geschlafen, als sie wieder heimgekommen waren. Sie hatten zusammen mit Elke einen Tee getrunken, sich bei ihr bedankt und sie dann verabschiedet. Haie blieb zum Abendessen.
Da sie fast nichts im Haus hatten und Tom auch keinen Hunger verspürte, schlug er lediglich ein paar Spiegeleier in die Bratpfanne. Der Freund deckte den Tisch.
Sie sprachen eine Weile über Elke. Tom war der Meinung, sie käme wohl langsam über die Trennung hinweg, aber Haie widersprach ihm. Beinahe täglich rufe sie ihn an, wolle etwas zusammen mit ihm unternehmen. Er wusste ja, dass es schwer für sie war, aber er hatte seine Entscheidung nun einmal gefällt und daran gab es nichts mehr zu rütteln.
Tom verstand das.
»Meinst du, die Polizei hat etwas in Heikes Wagen gefunden?«, versuchte er, das Thema zu wechseln.
»Was ist mit Heikes Wagen?«
Marlene stand in der Küchentür. Er sprang auf, warf Haie einen warnenden Blick zu. Der verstand sofort.
»Setz dich doch!«
Er rückte ein Stück auf der Küchenbank zur Seite, während Tom einen Becher Tee eingoss.
Sie schüttelte den Kopf.
»Ich möchte lieber ein wenig an die frische Luft.«
Schweigend gingen sie den Weg vorbei an der Wehle entlang. Es wurde bereits dunkel. Sie hatte sich bei Tom eingehakt, Haie lief nebenher.
Sie liefen bis zur Grundschule. Hier hatte auch Tom als Kind den Unterricht besucht. Als sie über den Schulhof liefen, klingelte Marlenes Handy. Umständlich holte sie es aus ihrer Jackentasche hervor und blickte aufs Display. Sämtliche Farbe wich aus ihrem Gesicht, sie taumelte.
Auf dem Display stand Heikes Name.