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Mühsam ernährt sich das Murmeltier

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„Bist du aus dem Bett gefallen?“, necke ich Chiara, die für gewöhnlich nicht vor neun Uhr eintrudelt.

„Haha!“ Eine Wirkung der einmaligen Schlaf-Einbuße ist nicht ersichtlich, freudestrahlend legt meine schöne Kollegin den wertigen Lammfellmantel ab. „Ist heute nicht ein wunderbarer Tag, ihr Lieben?“

„So viel gute Laune ist ekelhaft“, äußert sich Morgenmuffel Andrea gewohnt nicht ohne eine Portion Griesgram. Wir schreiben Tag vier und ich denke jene gewisse Vertrautheit dem engen Kollegium gegenüber geht mit ersehntem Wohlbefinden keinesfalls konträr.

„Hach - ich bin so herrlich glücklich! Mir hat sogar das Aufstehen Spaß bereitet!“ Ungebremst lässt unsere italienische Frohnatur Glückshormonen freien Lauf. „Ich hab ein derbe gutes Gefühl bei der Sache - bald sag ich dem Puff hier winke winke!“

„Das freut mich für dich“, präsentiere ich mich gönnerhaft, obzwar ich in Wirklichkeit gehauchten Neid empfinde. Andreas Blick nach zu urteilen, bin ich damit nicht alleine.

„Ich will auch ein scheiß Vorstellungsgespräch!“, bestätigt sie verdrießlich meinen Verdacht. „Egal wo! Überall wird es besser sein…“

„Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied! Was unsere liebste Francesca wohl daraus basteln würde? Seines eigenen Glückes Handwerker?“, scherzt Chiara belustigt über ihre eigene Witzigkeit. „Oder Elektriker?“

Weitere kreative Mutmaßungen bleiben unausgesprochen - jemand drückt von außen die Türklinke hinunter.

„Da will man sich gedankenlos einen Cappuccino zubereiten und entdeckt eine Fata Morgana“, reckt unsere Chefin gleichermaßen humorvoll gestimmt den Kopf durch geöffneten Türspalt. „Warum bist du so früh hier? Ist was passiert?“

Cappuccino? Meine Ohren werden hellhörig. Acht Stunden Rechnungen abheften zuzüglich einer halben Stunde Pause könnten sich fortan um einiges besser ertragen lassen! Von den anderen Tätigkeiten, die ein Bordell erfordert, ganz zu schweigen.

„Nein, ich war bloß früher wach“, behauptet meine nicht auf den Mund gefallene Kollegin scheinheilig sowie plausibel.

„Den heutigen Tag werde ich mir rot im Kalender anstreichen!“ Amüsiert tritt Francesca hinein und wirft sich mit Schwung in Martins Stuhl.

Iron Man verweilt gegenwärtig auf den stillen Örtlichkeiten, was er übrigens jedes Mal ankündigt: „Wartet nicht auf mich, Leute! Könnte länger dauern…“ Interessiert es vielleicht irgendjemanden, wann er plant einen Bob in die Bahn zu legen? Männer! Den Primaten bisweilen verdächtig ähnlich. Anyways. Diesen Ausdruck habe ich mir nebenbei bemerkt von Joshua angewöhnt; er liebt dieses Wort und zu meiner Begeisterung eignet es sich fabelhaft, um von einem Thema zum nächsten überzuleiten. Anyways.

Francesca stellt ihre leere Kaffeetasse auf Martins staubigem Schreibtisch ab und gähnt ausgiebig. Als ich den Beutel in ringgezierter Hand entdecke, lösen sich sämtliche Hoffnungen auf eine schmackhafte Variante meines heißgeliebten Koffeins in Luft auf. Pulver-Cappuccino oder Filterkaffee. Vergleichbar mit der Wahl zwischen keinem oder schlechtem Sex.

Dennoch erwäge ich das Pulverzeugs auszuprobieren, es muss einfach genießbarer sein als diese grausame Plörre - wie Jana zu sagen pflegt - welche Tag um Tag signifikant das Risiko erhöht vor Erreichen der sowieso furchtgebietenden Dreißig an einem Herzinfarkt zu sterben. Zudem würde es die Beigabe dieser ekelhaften Kaffeesahne ausmerzen.

„Aber du wärst besser mal später gekommen…“, nimmt Chiara aufmerksam Notiz neuerlichen Gähnens. Wagemutig schiebt sie eine zweideutige Anmerkung hinterher. „Hast du letzte Nacht keinen Schlaf gekriegt?“

„Eine solide Frau enthält sich bei derartiger Thematik!“ Francesca errötet leicht, ehe sie rasch einen Themawechsel ersucht. „Ich war gestern mit Otto shoppen! Das Einkaufs-Center hatte bis zehn Uhr geöffnet, das haben wir bis zur letzten Minute ausgeschöpft.“

Unverhofft komme ich der Identität von Otto in großen Schritten auf die Schliche. Mögliche Anwärter sind: Francescas Ehemann oder Lebensgefährte.

„Klingt gut! Und habt ihr was Schönes gefunden?“, erfragt ihre Landsmännin mit vermeintlich aufrichtigem Interesse.

„Du wirst es nicht glauben! Ich habe bestimmt zwanzig Oberteile anprobiert und was habe ich schlussendlich gekauft?“ Francesca hält kurz inne. „Ein einziges!“

„Das ist nicht dein Ernst!“

„Wenn ich es doch sage! Mühsam ernährt sich das Murmeltier!“

Nun ist es amtlich - das Eichhörnchen hat ausgedient. Fleißig sammelte es jahrelang Nüsslein, damit sehnsüchtig erträumter Wunsch eines Tages reale Muße annehmen kann. Das Eichhörnchen ist alt und grau und erhält grenzenlose Freizeit.

Die Frage nach der Sinnhaftigkeit bietet Diskussionsstoff. Es mag ja dienlich sein, in jungen Jahren Leistung zu erbringen, aber weshalb das existierende Gleichgewicht zwischen Arbeit und Freizeit nicht ausgewogener gestaltet wird, will mir nicht sinnbringend einleuchten.

Unbesehen glaubt die jüngliche Frau, der Kuchen sei da, um genossen zu werden. Stattdessen soll man die leckersten Stücke mitsamt all den verlockenden Kirschen erst dann verzehren dürfen, wenn die Geschmacksnerven gebrechlichen Einschränkungen unterliegen. Was sogleich eine gewichtige Frage vitalisiert. Wie lange dauert es eigentlich noch, bis mein ehrgeizloser Jungbrunnen ungeniert schlemmen darf?

Derzeit bin ich vierundzwanzig und das durchschnittliche Eintrittsalter liegt bei fünfundsechzig oder siebenundsechzig. Das weiß ich nicht einmal genau und besäße mein Rechner eine Internetfreischaltung, würde ich es eben kurz googlen. Tut er aber nicht. In dieser Firma ist Vertrauen keine leere Worthülle - der einzige Computer mit Internetzugang weilt einsam auf dem Flur und wird innerhalb der Abteilung brüderlich geteilt. Momentan bin ich aber zu faul, mein knuspriges Gesäß in Bewegung zu setzen. So oder so, mehr als vierzig Arbeitsjahre liegen noch vor mir.

Vierzig Jahre! Im schlimmsten Fall durchweg Rechnungen sortieren, beziehungsweise abheften. Falls sich die Controlling-Aufgaben nicht als wesentlich anspruchsvoller entpuppen, sollte ich beizeiten ernsthaft die Ergründung eines Plans B durchdenken. Bis zu der eben gewonnenen Erkenntnis, gekoppelt mit bislang ödem Büroalltag, war diese „Reich heiraten-Nummer!“ eigentlich nie eine Option, aber vierzig Jahre?

„Schaut her!“ Francescas Augen funkeln wie die Sterne am Nachthimmel. Stolz präsentiert sie uns ihre Errungenschaft. „Von Rob Briefinger!“

Der Pullover, den sie trägt, ist orange-grün gestreift und kurzum gesagt nicht schön. Dass er von Rob Briefinger ist, ändert daran leider nichts im Geringsten und dieser Fehlgriff erstaunt mich - sonst ist Francesca stets elegant und mit Geschmack gekleidet.

Niemand sagt einen Ton. Eine komische Situation, die Erinnerungen an Tante Bertha weckt. Jedes Jahr schenkt sie mir zum Geburtstag mit Likör gefüllte Pralinen, für die ich diszipliniert Glücksgefühle heuchele, um meine sensible Tante nicht zu verletzen. „Vielen Dank! Du bist die beste Tante der Welt!“

„Er war von neunzig auf zwanzig Euro reduziert“, schwärmt unsere Chefin strahlend, derweil noch immer Stille den Raum einnimmt. „Wie gefällt er euch?“

Erwartungsvoll blickt Francesca ringsum, doch betretenes Schweigen setzt sich fort. Was ist die bessere Taktik? Ehrlich sein oder höflich? Würde Tante Bertha Verständnis aufbringen und mir künftig ein anderes Geschenk bereiten? Oder nie wieder eins?

„Das war ja wirklich ein Schnäppchen“, bediene ich mich einer großartigen Allzweckwaffe. Diplomatie hat schon manch Krieg verhindert.

„Das kannst du laut sagen!“, berauscht sich die preisbewusste Jägerin rückwirkend. Gleichzeitig lässt sie nicht locker, ein Urteil der zwei stummen Fischlein zu erhaschen. „Wie findet ihr ihn?“

Andrea verdreht die Augen und enthält sich stur. Meine andere weibliche Neu-Kollegin hingegen beginnt enthusiastisch zu schwärmen. „Die Farbkombi ist toll! Steht dir richtig gut!“

Wie bitte? Braucht Chiara neuerdings eine Brille? Die stilsicherste Person unserer gesamten Abteilung, nach mir natürlich, kann diesen Pullover unmöglich schön finden. Andrea schweigt weiterhin beharrlich. Ich nun auch.

„Sicher?“ Francesca scheint Bedenken zu haben.

„Tausendprozent! Sieht echt schick aus!“

„Grazie mille! Otto mochte ihn auf Gedeih und Verderb nicht leiden!“ Wer immer dieser dubiose Mann faktisch sein mag, eins steht außer Frage: Er besitzt Geschmack. „Da lasse ich mir aber nicht reinreden - insbesondere nicht von ihm und seinen Holzfäller-Hemden…“

Dem achtsamen Leser entgeht nicht, dass ein neuerliches Indiz in Francescas Worten mitschwingt, welches mich jedoch in die Irre führt. Ist Otto nur ein Kumpan? Wenn er ihr Partner wäre, würde Francesca sicher Wert auf seine Meinung legen.

„Nur bin ich mir nun selbst unschlüssig! Bitte seid ehrlich! Noch kann ich von meinem Umtauschrecht Gebrauch machen…“

„Auf keinen Fall! Der Pulli ist super schön - ich würde ihn auch tragen!“

„Im Ernst?“

„Großes Ehrenwort!“

„Danke!“ Erleichtertes Durchatmen verheißt Zufriedenheit. „Wenn er dir gefällt, werde ich ihn behalten. Ich vertraue auf dein erlesenes Stilgefühl!“

Freudestrahlend nimmt Francesca ihre Tasse und zieht von dannen.

Keine gefühlte Minute später, sobald unsere Chefin außer Hörweite ist, prustet ausgerechnet die Person ungehalten los, von der ich es am wenigstens erwartet hätte.

„Boah, war der hässlich! Die Farben gingen mal gar nicht!“

„Das glaube ich jetzt nicht“, bringe ich Fassungslosigkeit zum sprachlichen Ausdruck. „Die Nummer habe ich dir voll abgenommen!“

„Im nächsten Leben werde ich Schauspielerin!“

Hey, das ist mein Traum! Nun ja, jedenfalls einer von vielen. Heidi Hagenbert in der Traumfabrik Hollywood. An der Seite von Johnny Depp in einem Road-Movie und wie das betörende Leben so spielt, entflammen während der Dreharbeiten feurige Gefühle, die zum Durchbrennen anregen. Johnny und ich verleben einen derart ekstatischen Sommer, der so unvergessen bleibt, wie der Moment eines gemeinsam durchzuckten Orgasmus.

„Solltest du drüber nachdenken!“, bestärke ich Chiara, ehe die Tauglichkeit meiner eigenen Person Durchleuchten findet. Mit reichlich Übung gelingt es mir bestimmt gut, in verschiedene Rollen zu schlüpfen, zudem wäre es meiner Schüchternheit förderlich.

„Danke für die Blumen!“, lächelt das Naturtalent geschmeichelt.

„Aber was sollte die Aktion? Ich dachte schon, mein Farbensinn stimmt nicht mehr richtig…“, empöre ich mich nachhaltig, indes sich gleichsam wirre Ängste ausbreiten. Was mache ich, wenn irgendwann keine Angebote mehr hineinflattern angesichts meiner konsequenten Verweigerung der Schönheitsindustrie? Wird mein bisheriger Verdienst ausreichen, um mich entspannt zurücklehnen zu können? Erleichtert atme ich auf, als mir ein rettender Gedanke kommt. Falls alle Stricke reißen, verbleibt mir die Option Komödiant zu werden. Faltige Mimik wird zur Genüge vorhanden sein und den französischen Oberkellner hatte ich zweifellos bestens unterhalten.

„Mit Francescas Sinnen stimmt wohl eher was nicht!“, mutmaßt ihre Landsmännin. „Ihr Modegeschmack ist genauso scheiße wie ihr Charakter.“

„Komm - das war jetzt das erste Mal, dass sie etwas Komisches anhatte“, verteidige ich unsere modebewusste Chefin. „Jeder macht mal einen Fehlkauf.“

„Nicht Francesca!“ Energisch schüttelt Chiara ihr hübsches Köpfchen. „Sie hat den Pullover nur aus einem einzigen Grund gekauft - und zwar weil Otto ihn scheiße fand. Sie wollte bloß ihren Willen durchsetzen. Hat sie ja indirekt selbst zugegeben.“

„Das kann schon sein…“, stimme ich meiner aufbrausenden Kollegin zu. Trotziges Verhalten endet nicht zwingend mit Verlassen des Kindergartens. „Aber trotzdem kapiere ich nicht, warum du so getan hast, als ob er dir gefällt?“

„Ganz einfach - damit ich meine Ruhe habe! Wenn du dich privat gut mit ihr verstehst, macht sie dich nicht ganz so oft zur Sau.“

„Lieber würde ich sterben, als so zu schleimen!“, vertritt Andrea mit Fäusten in die Hüfte gestemmt eine spiegelverkehrte Ansicht.

„Ach was! Jetzt behält sie den Pulli und läuft schön hässlich durch die Weltgeschichte!“, verteidigt sich die Anklage samt Cleverness und Frohsinn. „Das ist doch lustig!“

„Na gut! Aus der Perspektive betrachtet, ist es genehmigt!“, findet meine fitnessbewusste Kollegin widerspenstig Gefallen an Chiaras unterhaltsamen Schauspiel.

Eine solide Frau enthält sich…“, trainiert der ungeschliffene Rohdiamant gekonnt das Handwerk der Nachahmung. „Ich hab`s immer gewusst. Die Olle lässt Otto nicht ran!“

Ein guter Agent sollte einen ausgeprägten Spürsinn haben - er muss eins und eins zusammen zählen können und das war ein zu eindeutiges Indiz. Tote Hose im Ehebett. Obendrein würde es den deutschen Nachnamen erklären. Francesca Horst.

Meine Bewerbung für den britischen Geheimdienst werde ich noch heute Abend in den Briefkasten befördern. Nebst authentischer Eignung verlockt die Zusammenarbeit mit James, selbstredend rein beruflich. Sollen andere das Volk unterhalten und zum Lachen bringen - ich werde es tollkühn vor Unrecht bewahren.

Otto Horst. Klingt irgendwie lustig der Name. Häme blieb ihm im Laufe seines Lebens vermutlich nicht erspart. Sollte Francescas Mädchenname klangvoller klingen, was mir nicht schwer erscheint, hätten die beiden besser der Emanzipation einen Dienst erwiesen. Zu spät.

„Iiih! Die verklemmte Alte will man sich gar nicht beim Sex vorstellen!“ Andrea schüttelt sich aufbrausend. „Da haben sich bestimmt schon Spinnweben gebildet!“

Gelächter erhellt das Büro, bis sich die Glastür erneut öffnet. Guter Dinge kehrt Martin von seinem Geschäft zurück.

„Weshalb starrt ihr mich so an? War ich diesmal so lange weg?“

„Nein“, kichert Chiara belustigt. „Hat nichts mit dir zu tun. Nur mit einer Frau, die nicht gevögelt werden will.“

„Muss ich das verstehen?“, hakt er irritiert nach.

„Nicht zwingend!“, grinst Andrea verschmitzt. „Aber ich kläre dich gerne auf!“

Verstört schreitet Martin zu seinem Platz.

„Nein!“, schreit meine feurige Kollegin lautstark auf, ehe sich Iron Man in den Schreibtischstuhl niederlassen kann. „Warte! Den müssen wir erst desinfizieren.“

Otto hat Flick Flacks gekauft

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