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Ich fahre dich umher

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Schon manches Mal wünschte ich mir, Männer verfügten über die Eigenschaften eines Weckers. Allenthalben auf meinen Wunsch hin klingeln - mitsamt den Signalen, welche eine sanfte Besinnung gewähren und unmittelbar eingestellt werden, sobald meine Lebensgeister genugsam Licht ertrutzen. Mein Wecker und ich pflegen eine Beziehung von Labsal geprägt und auch an diesem Morgen garantiert mein treuer Freund Verlässlichkeit.

Nach zügiger Erledigung morgendlicher Rituale wie duschen, schminken und Kaffee trinken, stellt sich mir die Kleiderfrage. Um auf der sicheren Seite zu sein, entscheide ich mich für eine schwarze Stoffhose kombiniert mit einer hellblauen Bluse. Die Haare binde ich zu einem locker geflochtenen Zopf. Mal sehen, was die anderen so tragen. Vielleicht sind Jeans, wenigstens dunkle, ja erlaubt.

Beim Verlassen der Wohnung laufe ich gegen Valeskas Begrüßungsgirlande. „Herzlich Willkommen!“ in großen, bunten Buchstaben. Ein gutes Omen für den Anfang.

Draußen ist es kalt und ungemütlich, typisches Novemberwetter. Ich bin froh, dass mein Arbeitsweg kurz ist, nach fünfundzwanzig Minuten mit dem Bus komme ich an. Die Dame vom Empfang ruft eine junge Frau herbei und indessen sie uns einander bekannt macht, stellt sich mir grübelnd die Frage, wieso jene Position in inakzeptabler Regelmäßigkeit mit repräsentativen Exemplaren weiblichen Geschlechts besetzt wird.

„Folge mir“, werde ich sogleich geduzt, „und entschuldige bitte meine Fahne, ich habe gestern zu viel gesoffen.“ Atemübungen weichen Ludmillas Art der Formlosigkeit - schlummernde Anspannung schwindet eilends.

„In welchem Bereich wirst du dein Praktikum machen?“, erkundigt sie sich neugierig, derweil uns der Fahrstuhl ins zweite Stockwerk befördert.

„Im Controlling.“

„Bei Francesca?“

„Francesca? Wenn es sich dabei um Frau Horst handelt, dann ja.“

„Volltreffer! Unsere herzallerliebste italienische Feuernudel. Na denn viel Glück!“ Trostspendend klopft Ludmilla mir auf die Schulter. „Das wirst du brauchen!“

Auf meinen befremdeten Blick hin, versucht sie sich näher zu erklären.

„Francesca ist sehr streng und stellt Anforderungen an ihr Team, die schier unmöglich sind zu erfüllen. Ich will dir keine Angst machen, aber sie kann eine richtige Furie sein. Niemand mag sie leiden…“ Klingt ja vielversprechend.

„So, da sind wir. Mal sehen, wie lange du bleiben wirst.“

Meine unverblümte Neukollegin beweist ein geschicktes Händchen dafür, wie man Leute an ihrem ersten Arbeitstag bestmöglich motiviert.

Beim Betreten des Bürotrakts trifft mich ein Schock anderer Art. Graue Tristesse!

Das schmucke Flair, was im Empfangsbereich zugegen war, ist verschwunden, registriere ich begleitet von einer steifen Brise Ernüchterung. Wo sind die Bilder an den Wänden? „Stromberg“ - Feeling übermannt mich, gleich trottet sicher Ernie entlang.

Ludmillas Büro liegt am Ende des Flures und sticht hervor, denn ähnlich wie die Panoramafront und der Fahrstuhl besteht es größtenteils aus Glas. Der Architekt schien eine Vorliebe für diesen Feststoff gehabt zu haben. Sämtliche Büros, die wir passierten, wurden mindestens mit einer Glastür versehen.

„Francesca kommt bestimmt gleich - sie ist immer eine der Ersten. Du kannst dich so lange an Janas Schreibtisch setzen.“

Ludmilla lässt sich durch meine Anwesenheit nicht stören. Routiniert fährt sie ihren Computer hoch und prüft die Anrufliste ihres Telefons. Es vergehen nur wenige Minuten, bis ich meine neue Chefin entdecke, die mich aufgrund der Glasfront desgleichen erblickt. Dynamisch und im Vergleich zu unserer letzten Begegnung nicht minder elegant gekleidet, steuert Frau Horst auf mich zu. Nach knapper Begrüßung äußert sie eine Frage, deren Sinnhaftigkeit mir nicht auf Anhieb einleuchten will.

„Warum kommen Sie erst jetzt?“ Ist sie nicht selbst eben erst gekommen? Außerdem ist es doch noch früh - gerade einmal kurz vor acht.

„Ich versteh nicht genau, worauf die Frage abzielt…“, stocke ich unbeholfen, bis Frau Horst mich energisch unterbricht.

„Wir hatten Sie vor einem Monat erwartet!“

„Wieso das denn?“, reagiere ich verdutzt mit einer Gegenfrage. „Herr Bach meinte doch, es ginge in Ordnung, wenn ich zuerst mein Praktikum in Hamburg beende. Aber ich habe auch den Vertrag dabei…“

Ich bin mir relativ sicher, dass es sich so verhielt.

„Nein, da täuschen Sie sich! Sie sollten ab Oktober bei uns anfangen.“

Es muss sich um ein Missverständnis handeln. Fragt sich bloß, für wen. Verunsichert krame ich den Vertrag hervor. Hoffentlich ist der Fehler nicht auf meinem Mist gewachsen - das wäre mir verdammt unangenehm und alles andere als ein gelungener Start.

„…absolviert ein Praktikum vom 01. November 2006 bis 31. Januar 2007.“

Schwarz auf weiß. Erleichtert zeige ich Frau Horst die Seite mit den Daten.

„Hm, das verstehe ich nicht. Egal!“ Blitzartig schlägt ihr schroffer Ton um. „Übrigens - wir duzen uns alle nach amerikanischem Vorbild. Wir sind eine große Familie. Ich bin Francesca.“

„Ok - Heidi!“

„Schön! Komm, ich zeig dir mein Büro!“

Francescas Arbeitsplatz erreichen wir innerhalb weniger Schritte. Graue Eintönigkeit und fehlende Bilder setzen sich fort. Ein veralteter Kalender mit Steinmotiven ziert kahle Wände, zwei vertrocknete Topfpflanzen die Fensterbank. Unzählige Aktenordner schmücken graue Regale, weitere pflastern den dunkelblauen Teppichboden. Kreuz und quer verteilt, sodass man Acht geben muss, nicht zu stolpern. Dem Chaos entgegen wirken zwei aufgeräumte Schreibtische, wobei die Anzahl flüchtiges Stutzen erwirkt. Ich nahm an, Abteilungsleiter besäßen das Privileg eines Einzelbüros.

„Darf ich dir unsere neue Praktikantin vorstellen!“, erhebt meine Vorgesetzte das Wort, als eine aschblonde Frau zielorientiert den Raum betritt. „Heidi kommt frisch von der Universität.“

Sich vorstellend heißt Rita mich willkommen - höflich reicht sie mir die Hand.

„Nett Sie kennen zu lernen!“, drücke ich fest zu.

„Dich!“, korrigiert Francesca eifrig. „Aber daran wirst du dich geschwind gewöhnen.“

Meine aufmerksame Chefin pickt eines der zahlreichen Hindernisse vom Boden auf, setzt sich an ihren Schreibtisch und blättert es im Eiltempo durch. Stehend schaue ich ihr über die Schultern. Jesus-Maria. Die schreiben aber ordentliche Umsätze, denke ich mit Ehrfurcht, als mir die horrenden Beträge ins Auge springen. Strebsam greift Francesca zur nächsten Barrikade, offenbar ist sie dringend auf der Suche nach einer bestimmten Rechnung.

Um mir die Wartezeit zu vertreiben, mustere ich Ritas auffälligen Kleidungsstil. Das verwaschene Batik-Top und die Glitzer-Jeans gedenken der wilden Siebziger und irgendwie reizt mich die Vorstellung, sie zeitgemäß umstylen zu dürfen. Insbesondere dieses enganliegende schwarze Samtband mit Herzanhänger am Hals ist mir ein Dorn im Auge.

„Könntest du mir wohl auf die Sprünge helfen?“, unterbricht Francesca ihre Suche nach geraumer Zeit. „In welchem Bereich solltest du dein Praktikum verrichten?“

Momente wie diese erfordern Contenance. Unverhohlen wird mir vor Augen geführt, wie weit unten ich mich in der Nahrungskette befinde.

„Im Controlling“, versuche ich dem fragenden Blick auszuweichen, keimender Frust soll Tarnung bewahren. Lieber stehe ich weiter wie bestellt und nicht abgeholt da.

„Im Controlling? Dann stehen wir vor einem gewaltigen Problem!“, verkündet meine aktive Chefin alarmierend, ehe sie den fünften Ordner mit einem Seufzer beiseite legt, um sodann hektisch ihren Schreibtisch zu durchwühlen.

„Vor welchem denn?“, hake ich beunruhigt nach.

„Allora - unter derartigen Umständen können wir dir keine Festanstellung offerieren! Wo versteckt sich nur diese diabolische Rechnung?“ Multitasking scheint Francesca kein Fremdwort zu sein. „Wenn du aber die Debitoren übernehmen würdest, gestaltet sich die Sachlage anders! Dann könnten wir sogar über eine Verkürzung in Verhandlung treten. Eventuell ein oder zwei Monate - abhängig davon, wie kompetent du deine Aufgabe meistern wirst!“

„Äh…ok…einverstanden“, antworte ich überrumpelt nach Sekunden an Bedenkzeit und begleitet von einem mulmigen Gefühl.

„Ausgezeichnet! Andrea ist ohnehin fehlbesetzt - der hellste Stern leuchtet in strahlenderen Farben! Einzig getoppt von ihrer Vorgängerin…“ Kopfschüttelnd lässt meine neue Chefin alte Erinnerungen aufleben. „Eine erschütternde Naturkatastrophe! Nicht eine Deadline war sie imstande einzuhalten…“

Francesca grinst mich ununterbrochen an, während sie mich im Detail über die kaum vorstellbare Unfähigkeit einer Person namens Doris aufklärt.

„Entschuldigung, wenn ich so direkt nachfrage“, fasse ich Mut zusammen und unterbreche meine leutselige Chefin in ihrem Redefluss, denn das Ganze klingt nicht so, als ob ich dieser Debitoren-Nummer in absehbarer Zeit entfliehen kann. „Es wäre schon wichtig für mich, irgendwann im Controlling zu arbeiten...“

Neben Unternehmensführung war das mein zweiter Studienschwerpunkt und der mutmaßlich realistischere, um Berufserfahrung zu sammeln.

„Keine Angst! Langfristig hegen wir andere Pläne mit dir!“, gelobt Francesca, derweil sie mir mütterlich die Wange tätschelt. „Alles zu seiner Zeit! Die Buchhaltung dient schlichtweg als Einstieg, nach und nach wirst du erste Controlling-Aufgaben übernehmen...“

Nickend signalisiere ich abermals mein vermeintliches Einverständnis.

„Schön!“ Beschwingt springt das quirlige Energiebündel vom Stuhl hoch. „Dann fahre ich dich nun umher, bevor mich diese mühselige Sucherei des Verstandes beraubt!“

Fieberhaft durchforstet Francesca ihre rote Furla-Tasche, indes ich ein geeignetes Transportmittel ersinne. Ein Auto? Hm, viel zu breit für die schmalen Flure. Ein Motorrad? Bei dem Lärm könnte ja niemand mehr arbeiten! Vielleicht ein Fahrrad? Nur wo soll ich sitzen? Auf dem Gepäckträger? Nein, ich kann mir nicht vorstellen, dass mir gleich am ersten Tag derart bittere Entehrung droht. Das ist viel zu unbequem, auch Grundhörige haben Grundrechte. Oder nicht?

„Kommst du?“, holt meine neue Chefin mich in die Realität zurück, ehe es mir wie Schuppen von den Augen fällt! Ein Tandem!

Triumphierend hält Francesca den aufgespürten Lippenstift in der Hand und legt eine Schicht auf. Gegen einen Adonis zum Anhimmeln hätte ich nichts einzuwenden.

Zunächst radeln wir zurück in den Glaskasten, in dem inzwischen ein zweites Mädchen anwesend ist. Derselbe Typ Frau wie Ludmilla - attraktiv, aufreizend verpackt und blutjung. Neuerlich erwacht die schlummernde Stylistin, und mit Blick auf die Make-up Ränder am Hals sowie den fingerbreiten Lidstrich, ingleichen die Visagistin. Bislang konnte ich jene Passionen exklusiv privat ausleben, selbstredend stets von Erfolg gekrönt - mit Ausnahme eines Smokey Eyes Desasters bei meiner offenherzigen Freundin Isabel, das aber nicht zählt. Da hatte ich zwei Maß Bier intus.

„Ihr kennt euch ja bereits - Ludmilla durchläuft eine Ausbildung zur Bürokauffrau“, verschafft Francesca mir einen Überblick der Personalien. „Und unsere reizende Jana ist die Sekretärin von Karl und Erich.“

Ergrimmt verzieht Jana ihr Gesicht. Erstaunlicherweise werden weder Mimik noch Schönheit durch die dicke Schminkschicht beeinträchtigt.

„Assistentin - Francesca. Nicht Sekretärin.“

Die Umbenennung verbessert die Sache merkbar. Termine koordinieren, Reisen buchen, Taxen rufen. Oder gar Kaffeeversorgung. Nur mit Milch. Und einer Prise Zucker. Gehört solch schmähliche Denunzierung nicht längst verboten im einundzwanzigsten Jahrhundert? Analog zum Empfangsmetier vornehmlich weiblich besetzt, fühlt die emphatische Emanze mit meiner leidtragenden Kollegin. Francesca straft Jana mit Ignoranz, der Praktikantin währenddes schenkt sie Aufmerksamkeit.

„Karl hast du ja im Vorstellungsgespräch kennen gelernt“, erläutert sie. „Erich werde ich dir beizeiten vorstellen; vorausgesetzt, der Herr wird sich dazu herablassen können, ein wenig seiner kostbaren Zeit zu opfern…“

„Er hat eben ne Menge Arbeit auf dem Tisch…so was soll`s geben…“

„So zu tun als sei man schwer beschäftigt, diese Kunst sollte dir bestens vertraut sein!“, verteilt Francesca Nase rümpfend eine Spitze, ehe sie wiederum mich fokussiert. „Glaub mir - der Graf von und zu hält sich für was Besseres! Erst seit kurzem dabei und weiß schon alles!“

„Wenn er von nichts ne Ahnung hätte, hätten sie ihn wohl kaum eingestellt…“, wird der unbeliebte Adel mit Inbrunst verteidigt. „Erst recht nicht als Finanzvorstand!“

„Ach - papperlapapp! Ein Luftikus ist er!“ Francesca redet sich warm. „Ich wäre für seine Position prädestiniert gewesen, aber personelle Fehlentscheidungen stehen ja hier an der Tagesordnung. Wenn ich nur an diesen Primitivling Gerd denke - der wäre fantastisch auf einer Baustelle aufgehoben! Oder die nutzlose Larissa - die würde ich nicht einmal eine Putzkolonne leiten lassen! Aber spätestens wenn Karl in Rente geht, werde ich auf der Karriereleiter eine Stufe nach oben klettern…“

Meine neue Chefin spricht in einer Lautstärke, die jeden, nicht allzu weit entfernt, Wort für Wort mithören lässt. Beschleicht sie keine Angst, dass einer der freimütig bekundeten Feindbilder überraschend auftauchen könnte? Offensichtlich nicht. Ebenso offensichtlich sind ihr ungebremster Ehrgeiz sowie das Drangsal, dass ihr die Existenz des neuen Finanzvorstandes, den man ihr ungefragt vor die Nase gesetzt hat, missfällt. Und dass sie und Jana nicht die besten Freundinnen sind.

Nachdem der Tratsch ein Ende fand, radeln wir in das nächste Büro, welches sich zwischen dem Glaskasten und Francescas Terrain befindet.

„Das ist meine Kreditoren-Abteilung. Wir arbeiten sehr eng zusammen“, erklärt meine fidele Chefin stolz. „Chiara, Kerstin und Natalja.“

Viele neue Namen und Gesichter auf einmal, alle geschätzt Anfang bis Mitte dreißig. Die schöne Chiara trägt ihr pechschwarzes Haar zu einem Bob und hat eine beneidenswerte Figur, grazil in Szene gesetzt von einer leicht transparenten Bluse. Italienerinnen beweisen ein geschicktes Händchen für Mode. Kerstin, anders ähnlich wie Rita, ein ungeschicktes. Formlose Schnitte, kein Make-up und brünettes Haar mit ersten grauen Strähnen lassen sie unscheinbar wirken. Im Geiste sprühen Ideen wie funkelnde Blitze eines lichterhellen Feuerwerks. Eine Karamell-Tönung. Den Hauch von Rouge und Lippenstift in Koralle. Ein knalliger Schal mit Punkten. Schwarze Lack-Pumps. Natalja hingegen stellt keine potenzielle Kundin dar. Ihr Markenzeichen ist ein frecher hellblonder Pixi-Schnitt, der ihre feinen Gesichtszüge ausdrucksstark betont.

Nach gegenseitiger Bekanntmachung treten wir wieder in die Pedalen und Francesca lenkt uns in ein weiteres Büro, in dem unvorhergesehen Männer zugegen sind. Zwei an der Zahl und bei einem könnte ich erwägen, meine Lippen in vorteilhaftes Licht zu rücken. Nicht für den zwei Meter großen Michael, dem zehn Kilo mehr schmeicheln würden. Wenn, dann für Oliver. Dem rötlichen Haar zum Trotz besitzt er etwas, an dem es häufig mangelt. Ausstrahlung. Freilich ist aber auch in diesem Büro ein Frauenanteil existent, wir befinden uns schließlich in der Buchhaltung. Caroline - blond, schlank und intensiv gebräunt. Ihre Lederhaut lässt nur bedingt Rückschlüsse auf ihr Alter zu; dafür erfahre ich, dass sie gerne Caro genannt werden möchte.

„Allora, nun zeige ich dir dein zukünftiges Büro.“

Endlich - ich bin gespannt. Direkt gegenüber dem Männer-Büro steigen wir ab.

Mein Büro besteht aus der üblichen Einrichtung an Schreibtischen, Computern und offenen Aktenschränken. Lassen die Reinigungskräfte es außen vor?

Obzwar mit Abstand am winzigsten, belegen zentimeterbreite Staubdecken das graue Inventar. Bilder und Pflanzen sucht man ferner vergeblich und die Fenster offenbaren einen sensationellen Blick auf den trostlosen Innenhof. Das Kollegium, mit Ausnahme des Glaskastens, genießt die Aussicht auf ein Gebäude aus König Gottfrieds Zeiten - idyllisch eingebettet in den angrenzenden Wald. Heute scheint mein Glückstag zu sein.

Alle drei Arbeitsplätze sind besetzt. Zerstreut frage ich mich, wo ich sitzen werde und hoffe inständig nicht durchgängig auf einem Tandemsattel. Francesca lässt sich von der gespiegelten Verwirrung meiner Augen keineswegs aus dem Konzept bringen.

„Hallo ihr Lieben! Ich möchte euch mit einer neuen Kollegin bekannt machen. Heidi wird bei uns ein Praktikum in der Debitorenbuchhaltung absolvieren mit der Option, übernommen zu werden.“

Begeisterung sieht anders aus - das freundliche Lächeln wirkt gezwungen.

Meine souveräne Chefin entsagt sich Beirrens kontinuierlich, energiegeladen stellt sie mir die Belegschaft vor. Der junge Student Rüdiger sammelt erste Praxiserfahrungen und Kraftikus Martin bucht die Banken. Zu guter Letzt lerne ich die aktuelle Besetzung der Debitorenbuchhaltung kennen.

„Andrea - du wirst entlastet!“, verkündet Francesca euphorisch.

„Ähm!“, stutzt diese perplex. „Dass ich das noch erleben darf…“

„Du erledigst seit Wochen zwei Jobs - damit ist ab heute Schluss!“, zeigt sich unsere gemeinsame Vorgesetzte mitfühlend. „Ein derart unhaltbarer Zustand kann nicht ewig aufrechterhalten werden.“

„Na, das ist ja Spitzenklasse!“ Die deutlich erkennbare Ironie ist irgendwie belustigend. „Und wo soll sie bitteschön sitzen?“

Für den berechtigten Einwand wird rasch eine Lösung gefunden. Francesca verweist den scheuen Studenten unsanft des Büros - hinüber zu den Kreditoren.

Abschließend wendet sie sich Mut sprechend mir zu.

„Bei unserer gewitzten Andrea bist du in besten Händen. Sie wird dir alles erklären und dich in jeglicher Hinsicht unterstützen.“ Geschwind verabschiedet sich meine lebhafte Chefin. „Viel Erfolg!“

Hier werde ich also die nächste Zeit verbringen.

Mein Arbeitsplatz befindet sich vor Kopf, sodass ich mit dem Rücken zur Tür sitze. Seitlich von mir hantieren meine neuen Kollegen, mit denen ich von nun an ein Büro teilen werde - Martin zur Linken und Andrea zur Rechten. Die Outfits der beiden nehmen einer Sorge endgültig den Wind aus den Segeln, fürs Fitnessstudio bräuchten sie keinen Kleidungswechsel vornehmen.

Wie in den anderen Büros läuft im Hintergrund leise das Radio, was mir zusagt. Musik ist inspirierend und hebt die Stimmung. Sollte Andrea ähnlich empfänglich sein, bedarf es akut einer Endlosschleife ihres Lieblingsliedes.

„Echt stark, wie solche Sachen hier ablaufen!“, versteckt meine sportliche Kollegin ihren Groll nicht. Lautstark lässt sie über die informalen Umstrukturierungen Dampf ab. „Warum sollte man mich auch darüber informieren, dass jemand meine Dummheit ablöst? Die Art und Weise regt mich derbe auf, die Olle platzt hierein und stellt mich vor vollendete Tatsachen. Das ist mal wieder so typisch.“

Wortlos nehme ich das zur Kenntnis.

„Ganz großes Kino auch ihre Erleuchtung! Pah - zwei Jobs sind einer zu viel? Unglaublich, dass Francesca Horst das in diesem Leben nochmal bemerkt hat…“, macht sie ungebremst ihrem Ärger Luft.

„Jetzt freu dich doch lieber mal, dass du Unterstützung bekommst“, versucht der muskulöse Martin, sie zu besänftigen.

„Unterstützung? Sehr witzig! Zuerst muss ich sie einarbeiten - finde den Fehler! Außerdem sind wir mitten im Abschluss, da habe ich erst recht null Zeit, geschweige denn Muße. Und der ganze Urlaubskrempel ist auch liegen geblieben…“ Genervt verdreht meine gestresste Vorarbeiterin die Augen. „Na ja, ich habe zwar noch keinen blassen Schimmer wie, aber irgendwie werde ich das Kind mit ihr schon schaukeln.“

Anscheinend bin ich gut beraten, mich schnellstmöglich daran zu gewöhnen, dass ungeachtet meiner körperlichen Anwesenheit bevorzugt in der dritten Person von mir gesprochen wird. Jäher als gedacht bereitet Andrea dem ein Ende.

„Was gebe ich dir denn jetzt?“

Minuten an reiflicher Überlegung steigern die Spannung.

„Ach, du könntest den Stapel Ablage wegsortieren.“

„Klar, kein Problem“, entgegne ich wohlgesonnen.

So fühle ich mich wenigstens wie eine richtige Praktikantin.

Otto hat Flick Flacks gekauft

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