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Ich bin kein bissiger Eislöwe

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„Auf in die Höhle des Löwen!“, gibt Martin die montägliche Marschroute vor, der ich schleppend nachkomme. „Avanti - euer Eifer lässt wahrlich zu wünschen übrig."

„Nicht schlecht, Herr Kollege!“, gluckst Chiara anerkennend. „Nur an der Aussprache müssen wir noch feilen...“

Können wir einstweilen über die nächste Art unserer Zusammenkunft verhandeln?

Ich liebe diesen Satz - und zwar aus dem Grund, weil er derart zauberhaft verschiedene Empfindungen in einer Frage vereint. Versteckt und gleichsam offensichtlich. Zuneigung, Lust, Begierde, doch auch Angst und Zweifel. Hätte der gute Alexander unverblümt ein Abendessen erbeten, wäre Emilias Zusage himmelsgleich, ihre Ablehnung aber vernichtend gewesen. Seine Art des Ausdrucks gewährte Spielraum. So konnte er durchaus eine gänzlich andere Intention gehegt haben, als schnellstmöglich die Laken miteinander zu teilen. Eine rasche Genesung zum Beispiel. Unverbindlichkeit lässt Raum für Phantasie.

Heidi Hagenbert hätte jenes Gesuch jedenfalls mit einer hohen Wahrscheinlichkeit nicht ausgeschlagen, denn sie hegt eine unverblümte Schwäche für derartige Charmeoffensiven. Unsere äußerst idealistische Romantikerin genießt männliches Umgarnen abgöttisch, womit sich wiederum der Kreis ins uncharmante Jetzt schließt.

Wo lassen sich heutzutage noch solche Männer wie Dr. Alexander Strauss finden? Etwa im Internet? Das erscheint mir nicht plausibel. Welche Frau mit Herz will sich schon fühlen wie eine Katalogware, die nach oberflächlichen oder zweckdienlichen Kriterien ausgewählt wird? Du bist zehn Zentimeter größer als ich? Klasse! Du hast auch eine ältere Cousine? Na, wenn das mal kein Schicksal ist! Ach `ne - wir spielen beide gern Volleyball! Perfect Match - lass uns ein Liebespaar werden!

Nein - ich glaube diese Art des Kennenlernens ist nichts für mich. Einstweilen kreativer Schaffenspausen der belletristischen Nachtschicht spielte ich zwar wiederkehrend mit dem Gedanken, mir ein Profil zu erstellen, aber am Ende war ich zu misstrauisch und unmotiviert.

Der einzig verlockende Grund, welcher diesen animalischen Zirkus interessant gestaltet, steht sowieso nicht auf mich. Und auf ein stumpfsinniges Rendezvous nach Fragenkatalog kann ich guten Gewissens verzichten. Und auf die Idioten, die nur an Sex interessiert sind, desgleichen. Um den haben zu wollen, kann ich genauso effektiv mein Adressbuch im Handy öffnen. Will ich aber derzeit nicht.

Jedenfalls muss ich zeitiger ins Bett wandern, die herzerwärmende, möglichenfalls geringfügig kitschige Liebesromanze kostete mich eindeutig zu viel meines heißgeliebten Schlafes. Aber wann könnte ich es sonst tun? Mir verbleiben nur die Abendstunden und das Wochenende. Tagsüber muss ich Rechnungen einsortieren, sowie spekulativ auf das Wunder hoffen, dass die versprochene Fortsetzung von Andreas Einarbeitung kein Luftschloss bleiben wird. Anyways.

Freitagabende sind perfekt zum Schreiben, da sehe ich sonst meistens eh nur fern. Hiermit berufe ich offiziell den Bestseller-Freitag ein! Und falls es mich unter der Woche nicht aushaltbar unter den Fingern jucken sollte, werde ich einfach darauf Acht geben, den Stift oder die Tastatur rechtzeitig beiseite zu legen. Die maximale Schreibzeit wird mithin auf Mitternacht festgelegt - danach ist Schluss.

Überdies sollte ich mir überlegen, welche der beiden Geschichten ich zuerst vervollständigen mag? Die mordende Hausfrau im seidenen Negligé oder Dr. Alexander Strauss? Zwei differenzierte Genres samt unterschiedlichen Schreibstilen. Die Erzählung des Psychothrillers lebt von kurz gehaltenen Sätzen und teils vulgärem Ausdruck, der Liebesroman hingegen besticht durch eine romantische Handlung, verpackt in blumiger, altmodischer Sprache.

In Anbetracht des Höllenspaßes, die mir sowohl die Mords- als auch Herzarbeit bereitet, kann und will ich mich nicht entscheiden. Waghalsig beschließe ich eine parallele Schreibarbeit, je nach Stimmungslage. Und dann werde ich ja sehen, welches Buch zuerst ein genugsames Ende heimsuchen wird. Und dann begebe ich mich auf Verlagssuche. Und dann werde ich reich und berühmt.

„Schön, dass ihr pünktlich seid“, begrüßt uns meine Chefin lobend. „Und das an einem Montagmorgen. Ich bin hellauf begeistert!“

„Wir können es halt kaum erwarten, wieder arbeiten zu dürfen…“

Sollte Francescas Landsmännin eine Zusage von Spaduna erhalten, werde ich sie - um es mit ihrem Wortschatz zu umschreiben - aller Voraussicht nach derbe vermissen. Unser Büro, der beiden wortkargen Roboter inbegriffen, erwacht jedes Mal zum Leben, sobald Chiara hineinplatzt. Ihre Lebensfreude ist ansteckend und das vorlaute Mundwerk garantiert Unterhaltung. So wie augenblicklich.

„Alles in Ordnung mit dir?“, werde ich unfreiwillig als Ablenkungsmanöver missbraucht. „Wieso schaust du so ängstlich drein?“

Interessant wie meine fidele Chefin mich wahrnimmt. Na ja, besser ein scheues Reh als ein wandelndes Faultier, wie welches ich mich gerade in Wirklichkeit fühle.

„Nichts eigentlich.“ Außer dass ich tierisch müde bin - ein fesselnder Bestseller schreibt sich nicht von alleine.

„Allora! Es besteht absolut kein Anlass, um nervös zu sein!“, versucht Francesca mich unnötigerweise zu beruhigen. „Martin zeigt mir die Bankenliste und Andrea informiert mich über unsere Forderungen, damit ich jederzeit auf einem aktuellen Stand bin.“

„Ok!“

„Künftig wird das dann deine, beziehungsweise Chiaras Aufgabe sein. Aber wie gesagt - das ist kein Grund, um Panik zu generieren!“

„Ok!“, entgegne ich abermals kurz und bündig.

„Wunderbar! Zuweilen werde ich zwar dazu genötigt, ein wenig zu schimpfen, aber bis jetzt hat noch jeder unversehrt mein Büro verlassen. Ich bin kein bissiger Eislöwe!“

Innerlich muss ich schmunzeln - verwies Martins Appell nicht exakt auf jene Analogie? Gut, bezüglich des Ortes ist eine Abweichung existent. Anstelle des südlichen Afrikas mit seiner Vielzahl an gewaltigen Höhlen führt der Ausflug in eisige Kälte. Sollte mir der Weihnachtsmann begegnen, werde ich ihn fragen, warum ich nie das bekomme, was auf meinem allseits bekannten Wunschzettel verzeichnet ist. Traumjob. Potenter Mann. Louboutins. Nada! Vielleicht klappt`s ja mit dem Bestseller.

„Angst ist demnach gänzlich fehl am Platz! Falls Probleme auftreten, werden wir gemeinsam eine Lösung erörtern“, besänftigt Francesca mich erneut, obzwar dazu nach wie vor keine Notwendigkeit besteht. „Ich bin auf ganzer Linie handzahm.“

„Ok!“, nicke ich zustimmend.

„Schön! Wer fängt an? Martin?“

Iron Man lässt sich nicht zweimal bitten. Zügig präsentiert er Zahlen und Fakten, trotz der entwarnenden Ansprache ziemlich kleinlaut. Vermutlich nicht ganz unberechtigt, denke ich angesichts der aufgesetzten Freundlichkeit seitens unserer mit Vorsicht zu genießenden Chefin. Als Nächstes ist Andrea an der Reihe. Auch sie startet gehemmt. Bereits vor dem Meeting fiel mir ihre Anspannung auf - meine sportliche Vorarbeiterin konnte nicht länger als fünf Minuten still sitzen bleiben und ein Kaffee-Inhalieren jagte das nächste. Die Summe der Forderungen schoss beachtlich in die Höhe und dieser Tatbestand findet gegenwärtig verunsicherte Rechtfertigung. Francesca muss sich sichtlich zusammennehmen, um nett zu bleiben. Moment mal - Stopp! Entspricht meine Wahrnehmung tatsächlich der Realität oder zeigt die dauerhafte Gehirnwäsche des lieben Kollegiums erste Erfolge?

Nachdem die Audienz beendet ist, sind meine zurückhaltenden Genossen jedenfalls wie ausgewechselt. Umgehend mutieren sie zu den gewohnt selbstsicheren, austeilenden Mitmenschen, welche ich mittlerweile nur allzu gut kennen lernen durfte.

Lautstark geht Chiara einer ihrer Lieblingsbeschäftigungen nach und selbst „das in die Wange kneifen“ wird in der lebhaften Vorführung nicht unterschlagen. „Das machst du supi! Du kümmerst dich so blendend um unsere Forderungen.

Die Reaktion des Publikums ist gespalten. Martins Grinsen wirkt gemeißelt.

„Sie hat sich nur wegen dir zusammengerissen“, mahnt Andrea dagegen ernst. „Es gibt Tage, da rastet sie wegen einer fälligen Forderung von hundert Euro aus.“

„Wie gesagt, schizo ist sie!“ diagnostiziert Chiara neuerlich das Krankheitsbild mitsamt einem schelmischen Grinsen. „Pah - Eislöwen! Gibt es die überhaupt?“

„Quatsch, nicht dass ich wüsste - mir sind nur Eisbären und Eismöwen ein Begriff.“

Andrea kennt sich aus im Reich der Tiere. Ich selbst bin mir unsicher. Existieren auf unserem Planeten Eislöwen? Irgendwie kommt mir der Name bekannt vor.

„Ha - ich weiß, wie sie darauf kam!“, verkündet Iron Man mit stolz geschwollener Brust. „Es gibt ne Eishockeymannschaft, die so heißt. Dresdener Eislöwen!“

Derartiges kann auch nur ein Mann wissen.

„Egal, auf jeden Fall haben wir einen neuen Spruch für die Liste!“

Nicht zum ersten Mal nehme ich ahnungslos als gleich gedankenvoll Notiz von dieser ominösen Liste. Schon bei meiner Brechattacke erwähnte das leutselige Kollegium etwas in der Art.

„Ich kann euch nicht ganz folgen!“, bringe ich Verwirrung zum Ausdruck. „Von was für einer Liste redet ihr da eigentlich ständig?“

Die drei Anwesenden tauschen erstaunte Blicke aus, indes der Vierte im Bunde eisern durch Abwesenheit glänzt. Arme Andrea - muss sich alles selbst beibringen.

„Sag jetzt nicht, dir hat noch niemand von der Liste erzählt?“, fragt Martin geschockt, ehe er mit flacher Hand Staub auf seinem Schreibtisch aufwirbelt.

Verneinend schüttele ich den Kopf.

„Das gibt`s ja nicht - wir werden ganz schön nachlässig…“ Scheint wohl sonst das Erste zu sein, wovon neue Mitarbeiter in Kenntnis gesetzt werden.

„Kann mich jemand aufklären?“

„Nichts lieber als das“, erledigt das Muskelpaket die Sache selbst. „Also: Kerstin führt eine Liste, auf der wir sämtliche Versprecher der Hexe festhalten. Sogar die Schleimer machen mit. Warte, ich hole sie!“

Von Tatendrang getrieben, stürmt mein trainierter Kollege hinaus, ehe er Minuten später in Begleitung von der in Erd-Töne gehüllten Kollegin aus dem Kreditoren-Büro zurückkehrt. „Wir haben schon vier Seiten voller Sprüche!“

Heroisch überreicht Martin mir die berüchtigte Liste - als sei es ein äußerst wertvolles Dokument. Eine Art wichtiges Abkommen, eine Verfassung oder ein Friedensvertrag.

„Ihr seid echt verrückt!“, stelle ich ungläubig fest. „Warum macht ihr das?“

„Weil es lustig ist!“, klärt unsere rein optisch unauffällige Kollegin mich der banalen Begründung auf. „Francesca strengt sich so dermaßen an, um sich ja bloß fehlerfrei auszudrücken - zudem möglichst hochgestochen …“

„Was ihr bestens gelingt!“, interveniere ich Partei ergreifend, derweil ich kritisch den beigen Leinenrock mustere. „Ich meine, Wörter wie erörtern sind nicht mal jedem Muttersprachler ein Begriff…“

„Das stimmt - sie ist bewandt, sich gewählt auszudrücken! Aber genau deshalb bereitet uns derartiges Unterfangen ja grenzenlose Erquickung. Um noch einen Tacken schlauer zu klingen, versucht sie andauernd Sprichwörter oder spezielle Redewendungen einzubauen und fast jedes Mal verhaut sie sich - das ist einfach witzig!“

„Na ja, ich weiß nicht“, zeige ich mich skeptisch. „Irgendwie ist es ja auch ganz schön fies von euch, eine Liste darüber zu führen…“

„Sorry, aber dein Mitgefühl teilt hier niemand!“, weist Kerstin mich bestimmend in die Schranken. „Die alte Bekloppte hat es nicht anders verdient. Wer stets betont, eine ach so kluge Akademikerin zu sein, sollte dem auch gerecht werden! Die erlauchte Königin hat sich gefälligst einer angemessenen Ausdrucksweise zu bedienen, wenn sie zum dümmlichen Volk spricht. Und dazu zählt nun mal nicht so ein Kauderwelsch wie: Das stellt ihr alsbald unter!

„Da hat sie sich halt einmal versprochen“, verteidige ich unsere impulsive Chefin mit Nachdruck. „Das passiert doch jedem Mal!“

„Mal ist gut! Wer meint, andere in einer Tour belehren zu können, sollte erstmal vor der eigenen Haustür kehren…“

„Wieso? Wie meinst du das?“

„Na, bei Chiara zum Beispiel. Oder Natalja. Da spielt sie gerne die Oberlehrerin!“

„Das ist mir neu! Außerdem ist es doch auch gar nicht nötig!“

„Das war leider nicht immer so“, gesteht Chiara. „Ich hatte anfangs derbe Probleme und Francesca ließ keine Gelegenheit aus, sich darüber zu erheben. Kaum habe ich einen falschen Artikel benutzt, hat sie mich schön vor versammelter Truppe bloßgestellt!“

„Das war total daneben von ihr“, pflichtet Kerstin ihr bei.

„Mehr als daneben! Erstens lebt sie schon länger hier und zweitens hat sie einen deutschen Ehemann. Da liegt es jawohl klar auf der Hand, dass sie mir im Vorteil ist - wir quatschen daheim oft Italienisch.“

Chiaras Worte verschaffen endgültige Gewissheit. Otto ist Francescas Gemahl - wie vermutet. „M“ wäre stolz auf ihre clevere Spionin.

„Vor mir brauchst du dich nicht rechtfertigen! Ich hätte niemals gedacht, dass du nicht hier aufgewachsen bist. Du sprichst einwandfrei!“, verteile ich ein ernstgemeintes Lob. „Seit wann lebt ihr beide denn in Deutschland?“

„Die Alte seit zwanzig und ich seit fünfzehn Jahren. Boah - das hat mich damals echt derbe aufgeregt!“ Offensichtlich tut es das noch heute. „Ich meine, wenn Kerstin mich verbessert, ist das eine Sache, aber mich von der Ollen belehren zu lassen, ging echt gar nicht. Selbst keine Muttersprachlerin, aber Hauptsache Klugscheißern!“

„Du kennst sie doch!“ Meine natürliche Kollegin verdreht die Augen. „Sie weiß halt alles besser. Wie gesagt: Deswegen bringt die Liste ja umso mehr Spaß!“

„Sie ist so dumm!“, verkündet Chiara triumphierend. „Wenigstens versuche ich nicht krampfhaft, irgendwelche Ausdrücke zu verwenden, die ich nicht sicher beherrsche.“

„Sie ist eben auch nicht so unfehlbar, wie sie gern vorgibt zu sein“, schlägt Kerstin in dieselbe Kerbe. „Ihr Überehrgeiz ist zum Kotzen! Uns bleibt gar keine Wahl - ihr elendes Versagen müssen wir für die Nachwelt festhalten!“

Klingt einleuchtend!

„Dann gleicht es ja quasi Heldentun, dieser Liste etwas beisteuern zu können!“, scherze ich belustigt. „Du nimmst kein Blatt in den Mund!“

Nachdem mein fideler Beitrag unter abflachendem Gelächter verewigt wurde, schaue ich interessiert besagte Liste durch. Ein paar Sprüche fesseln mich besonders, zum Beispiel „Polen gegen Äquator“. Bei diesem Spiel bewirtete ich wohlhabende Scheiche mit erlesenem Speis und Trunk. Demzufolge habe ich, nebst des frostigen Nordpols sowie meiner jungen erfolglosen Karriere zum Trotz, immerhin schon den Äquator erblickt! Zumindest deren Monarchie und Fußballmannschaft.

Otto hat Flick Flacks gekauft

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