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Am besten malst du es ihm

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Frohen Mutes und mitsamt aufgeladener Batterie breche ich in früher Morgenstund auf. Obgleich von Peitsch-Hieben verschont, soll meine freitägliche Verspätung eine einmalige Ausnahme bleiben. Disziplin ist mir keineswegs ein Fremdwort.

Selbst das andauernde Novemberwetter, welches ich und meine Haare - die nach ein paar Schritten aus der Tür wie Sau aussehen - zu spüren bekommen, kann meinen Optimismus nicht trüben. Diese Woche wird bestimmt besser! Man soll mir nicht mangelnden Kampfgeist nachsagen. Ich und Mittelmaß? Nicht in diesem grauen Leben.

Beim Einsteigen in den Bus entdecke ich sogleich ein frisch bekanntes Gesicht.

„Huhu!“, winken die zugehörigen feingliedrigen Hände mir eifrig zu.

„Ich fahre jeden Morgen um diese Zeit“, klärt russische Anmut mich emsig ihrer Gewohnheiten auf. „Wenn du magst, kann ich dir einen Platz frei halten?“

„Danke, wenn ich nicht verschlafe, gerne.“

„Manchmal schaffe ich es auch nicht pünktlich.“ Natalja nimmt einen großzügigen Schluck aus ihrem Coffee to Go Becher. Muss man sich den Kaffee etwa mitbringen?

Nein, das kann nicht sein. Kaffeetassen schwarzen Inhalts habe ich bereits vielfach zur Kenntnis genommen. Das steht an Nummer eins meiner Prioritätenliste. Und wenn Francesca heute ans Kreuz genagelt wird - ich will und werde herausfinden, wo zum Teufel es mein begehrtes Koffein in seiner gelungensten Form gibt!

„Wie war dein Wochenende?“

„Viel zu kurz!“

„Kommt mir bekannt vor. Was hast du erlebt? Erzähl!“

In aller Ausführlichkeit erstatte ich meiner sympathisch wirkenden Neu-Kollegin Bericht. Von der Party, auf der Valeska und ich spaßbringend unsere Stimmbänder strapazierten; vom Samstag, der ein zweifelschürendes Geschenk hinsichtlich einer Stylisten-Laufbahn hervorbrachte - es fiel mir bedenklich schwer, die hippe Tunika beim sonntäglichem Geburtstagsbrunch an Sophie rauszurücken - und selbst mein abendliches Fernsehprogramm bleibt nicht geheim. Von „Schwiegertochter gesucht“ bis zum „Tatort“ lasse ich Natalja teilhaben. Doch komme ich mir vor wie eine Alleinunterhalterin, denn als ich mich nach ihrem Wochenende erkundige, reagiert sie kurz angebunden.

„Och, nix besonderes. Ich habe mich von der Arbeit ausgeruht.“

Ok, denke ich ein wenig beleidigt. Gucke ich eben den Rest der Fahrt aus dem Fenster. Ist auch interessant. Dicke Tropfen des Regens prasseln heftig gegen die Scheiben, was die Sicht erschwert, manches ist dennoch klar und deutlich zu erkennen. Wir passieren diverse Wohngebiete. Vereinzelt sind kahle Bäume zu verzeichnen. Der Himmel färbt sich beklemmend dunkel.

„Wir müssen mal zusammen shoppen gehen!“, unterbricht meine introvertierte Kollegin die melancholische Stille erst, kurz bevor wir aussteigen.

„Können wir gerne machen. Momentan sind meine Beratungsdienste auch noch kostenlos zu haben.“

„Da kann ich mich ja glücklich schätzen“, lacht sie.

Durchnässt betrete ich mein Büro. Von Chiara und Michael keine Spur, stelle ich mit gemischten Gefühlen fest. Erhöht oder verringert das die Chancen eines guten Tages?

Martin und Andrea scheinen Frühaufsteher zu sein - sie sind schon fleißig zugange. Seit wann sitzen sie hier, frage ich mich, ehe ich einen vergewissernden Blick auf die Uhr werfe. Viertel vor acht. Sicher waren sie vor dem zeitigen Dienstantritt bereits eine Runde joggen, den sportlichen Outfits sind sie jedenfalls treu geblieben. Einmal um die Firma und zurück.

Als Antwort meiner freundlichen Begrüßung erhalte ich zwei grummelig gemurmelte „Guten Morgen“ zurück. Frühaufsteher und Morgenmuffel - keine optimale Kombination. Vielleicht sollten sie es mal mit einem anderen gemeinsamen Frühsport versuchen? Was soll`s! Habe ich eben als Einzige gute Laune. Fröhlich pfeifend entledige ich mich meiner triefenden Winterjacke und widme mich der übers Wochenende liebgewonnenen Ablage. Optimismus verwandelt in Gold, was immer er tangiert. Stupide Tätigkeiten gewähren Entspannung.

„Soll ich dir einen Kaffee mitbringen?“

Kaffee? Vorfreude steigt empor - die Wirkung der morgendlichen Dosis lässt allmählich nach. Allerdings ist Martins Frage nur an Andrea gerichtet.

„Den kann ich gebrauchen!“, reicht sie ihm seufzend ihre Tasse. Selbstverständlich wird er wissen, wie sie ihn trinkt. Er fragt nicht nach Milch und Zucker. Wenn da nicht dieses Foto einer üppigen, sehr weiblichen Frau auf Martins Schreibtisch wäre, könnte man meinen, die beiden seien ein altes eingespieltes Ehepaar.

„Nein, danke“, flüstere ich hinter vorgehaltener Hand, unterdessen Iron Man das Büro verlässt. „Ich möchte keinen. Nicht nötig, dass du mir auch einen mitbringst.“

Seine starken Arme hätten locker eine weitere Tasse stemmen können. Die Optimistin in mir redet sich ein, dass es keine böse Absicht war. Die Idealistin erkundigt sich interessiert nach Andreas Wochenende.

„Geht so“, lautet die präzise Antwort meiner fitnessbewussten Kollegin, an der jeder Muskel trainiert wirkt. Irgendeinen Frühsport macht sie. Ganz bestimmt.

Da meine sportliche Vorarbeiterin offensichtlich kein Interesse an meiner Freizeitgestaltung bekundet, lenkt die Opportunistin die Konversation in eine andere Richtung. „Kommen Chiara und Michael heute nicht?“

„Doch. Zumindest Chiara.“

„Michael nicht?“

„Der kann mich mal.“

„Aber muss er dich nicht weiter einarbeiten?“

„Scheiß was drauf! Der soll sich gefälligst erstmal bei mir entschuldigen.“

„Meinst du, das wird er tun?“

„Im Leben nicht, dafür ist die dämliche Giraffe viel zu stolz. Aber scheiß egal - irgendwie kriege ich das alles auch ohne ihn hin.“

Kurz darauf kehrt Martin mit den Getränken zurück und höflicherweise frage ich ihn ebenso nach seinem Wochenende, obwohl er es gar nicht verdient hat. Ich hoffe, sein Kaffee ist richtig schön heiß und er verbrennt sich die Zunge.

„Wie soll es gewesen sein?“ Misstrauisch schaut er mich mit weit aufgerissenen Augen an. „Es war wie jedes stinknormale Wochenende.“

Da soll nochmal einer behaupten, Frauen seien zickig. Meine Hoffnung auf eine bessere Woche gefüllt mit positiven, erkenntnisbringenden sowie motivierenden Ereignissen schwindet schneller als mir lieb ist.

„Ist schon ok!“, entgegne ich spöttisch. „Meinetwegen können wir uns auch den ganzen Tag über anschweigen.“

Kaum ausgesprochen bereue ich mein vorlautes Mundwerk. Andreas Blick lässt mich tot umfallen und Martin macht mir generell ein wenig Angst. Er sieht ziemlich stark aus, mit Iron Man legt man sich lieber nicht an. Blitzartig wendet sich das Blatt. Aus Angstschweiß wird Erleichterung, als sich Ansätze eines Lächelns auf den grimmigen Gesichtern meiner beiden Neu-Kollegen abzeichnen.

„Entschuldige, hast ja Recht!“, pflichtet Martin mir zwinkernd bei. „Die fünf Minuten hat man immer.“

„Sehr schön!“ Ich gewinne Zuversicht. „Wo ist denn eigentlich die Küche? Ich würde mir auch gerne einen Kaffee holen.“

„Das weißt du nicht?“, fragt Andrea glaubwürdig erstaunt.

„Nein.“

„Das gibt`s doch nicht.“ Ungläubig schüttelt sie den Kopf.

„Worauf warten wir? Ich zeige sie dir!“

Gemeinsam machen wir uns auf den Weg und so gelange ich Gott sei Dank endlich an eine neue Dosis notwendigen Koffeins. Wenn auch nur in Form eines stark gewöhnungsbedürftigen Filterkaffees aus einer in die Jahre gekommenen Maschine.

Koffein ist Koffein, rede ich mir tröstlich ein, derweil ich sehnsuchtsvoll dem gewohnt leckeren Latte Macchiato hinterher trauere. Eine Investition in einen hochwertigen Kaffeevollautomaten erscheint mir lohnenswert, trautes Wohlbefinden ist der Produktivität förderlich. Anyways. Wir verweilen noch kurzzeitig bei belanglosem Small Talk, als eine aufgedonnerte Jana hinzustößt, um sich ebenfalls an dem frisch aufgebrühten Heißgetränk zu bedienen.

„Na, schmeckt scheiße, oder?“

Das Wort „Scheiße“ scheint sich hier großer Beliebtheit zu erfreuen.

„Lecker ist was anderes.“

„Irgendwann gewöhnt man sich an die Plörre...“

Irgendwann gewöhnt man sich anscheinend an alles.

Es hat einen bedeutsamen Nachteil, mit dem Rücken zur Tür zu sitzen. Erst sobald ich mich umdrehe, kann ich die hereinkommende Person identifizieren. Mit Ausnahme von Chiara, ihre Ankunft war nicht zu überhören. Den verfänglichen Flur-Flirt mit Oliver vernahm ich wachsam, was den eigenartigen Gedanken anstieß, mich als Spitzel bei den Geheimdiensten dieser Welt zu bewerben.

Gegen elf Uhr zehn reißt jemand so energisch die Tür auf, dass ich aufschrecke. Zielgerichtet steuert der Eindringling meine sportliche Vorarbeiterin an und knallt ihr ein Blatt Papier auf den eingestaubten Schreibtisch.

„Allora! Kannst du mir bitteschön dieses Scheusal hier erklären?“

Ohne eine Erklärung abzuwarten, schreitet die mahnende Ansprache fort.

„Die zahlen nichts! Mittlerweile sind zehn große Rechnungen überfällig. Du musst dringlichst Gerd informieren - der soll seinen Leuten gepflegt in den Hintern treten!“

Den Vorfall von Freitag erwähnt das Energiebündel mit keinem Wort.

„Kein Problem - wird erledigt!“ Zu meiner Verblüffung bestreitet unsere emotionale Kollegin diese Konfliktsituation gelassen als gleich aufgeweckt. „Zufällig weiß ich, dass Franz sowieso nächste Woche einen Termin bei denen hat.“

„Perfekt! Er soll die Übersicht mitnehmen, dann kann er richtig Druck ausüben!“ Andreas Vorschlag stimmt genügsam, siegessicher reibt Francesca sich die Hände. „Am besten malst du es ihm.“

Wiederholt scheint unsere Chefin selbst den unterhaltsamen Fehler nicht zu bemerken, aber wie sieht es mit dem eifrig rackernden Kollegium aus? Neugierig suche ich die Antwort in ihren Gesichtern und nach eindringlicher Analyse meine ich verräterische Anflüge von Schmunzeln ablesen zu können.

„Du meinst, ich soll es ihm mailen, oder?“ Grinsend verweist Andrea auf das sprachliche Missgeschick.

„Was soll der Zirkus? Natürlich meinte ich das!“, erwidert Francesca eingeschnappt. „Nichts anderes habe ich gesagt!“

„Na ja, nicht ganz…!“ Ich kann mich des Eindruckes nicht verwehren, dass meine vor kurzem geläuterte Kollegin den kleinen Moment der Rache ausschweifend zu genießen vermag. Genüsslich lehnt sie sich zurück. „Du hattest es ein wenig anders ausgedrückt...“

„Wie gesagt, die Angelegenheit ist von großer Bedeutung! Fließen keine Zahlungen seitens Sustal, wird jemand seinen Kopf hinhalten müssen!“, verschärft sich der Ton der Belehrten. Gut, dass ich mich bisher zurückgehalten habe, denke ich eingeschüchtert.

„Keine Panik! Wie gesagt: Ich werde mich der Sache annehmen!“, erwidert ihre trainierteste Mitarbeiterin fortlaufend gelassen. Sorgsam geht sie weiter ihrer Arbeit nach. Martin und Chiara geben in derselben Weise vor, schwer beschäftigt zu sein.

„Sehr schön! Avanti! Wenn du es aufschiebst, vergisst du es nur wieder...“

Sobald sich die Tür hinter unserer aufgebrachten Chefin schließt, beherrschen sich meine Bürogenossen nicht länger gekünstelt.

„Hopp, hopp!“, kichert Chiara hemmungslos. Zu gern würde ich wissen, wo sie dieses adrette Oberteil aus schwarzer, blickdichter Spitze gekauft hat, das ihrem vollen Busen schmeichelt. „Mal ein schönes Bild! Aber zackig!“

„Mach ich glatt! Ich weiß auch schon was: Eine kleine dicke Frau mit gelben Haaren!“

„Das ist eine gute Idee“, begeistert sich Miesepeter Martin. Seine trübe Grundstimmung scheint erhellt durch den Vorfall. „Aber vergiss bloß nicht Otto!“

„Ja, der muss unbedingt mit drauf!“, amüsiert sich unsere italienische Kollegin gelöst. „Hehe! Am besten wie er vor der Alten wegläuft."

„Apropos!“ Voller Tatendrang springt Andrea auf. „Ich jump mal eben rüber zu Kerstin. Eine wichtige Mission erfüllen.“

Rasch verlässt sie uns mit einem Augenzwinkern.

„Was hat sie vor?“, will ich neugierig wissen. „Und wer ist Otto?“

Es ist wie verhext, Antworten bleiben mir neuerlich versagt. Meine stilsichere Kollegin zieht die Aufmerksamkeit durch ein Handytelefonat auf sich, das wir gespannt belauschen. „Ja, kann ich…Vielen Dank, gerne… das würde mich sehr freuen…an dem Termin lässt es sich einrichten…Danke nochmal! Auf wiederhörn!“

„Na, wenn das mal keine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch war!“, spricht Martin den naheliegenden Gedanken aus, der selbstredend auch meiner war.

„Was du kannst, kann ich schon lange!“, brüstet sich Chiara stolz.

„Also hast du gekündigt?“, hake ich bei Iron Man nach.

„Klaro! Was dachtest du denn?“, fragt er leicht verstimmt. „Und eins kannste mir glauben: Mehr Kohle war nicht ausschlaggebend...“

„Hm!“ Gemächlich entwickelt sich das zu meinem neuen Lieblingswort.

Herzlich zieht das Kraftpaket unsere zierliche Kollegin an seine muskulöse Brust.

„Ich drücke dir die Daumen, dass du den Job bekommst!“

„Danke!“ Wie ein Kind umschlägt Chiara die eine Hand mit der anderen. „Juhu, ich kann mein Glück gar nicht fassen! Das muss ich sofort meinen Freundinnen malen. In meinem schönsten Kleid und wie ich vor Freude in die Luft springe!“

So, so! Martin wird uns auf eigenen Wunsch hin bald verlassen und bei Chiara scheint es eine Frage der Zeit, ehe sie nachzieht. Den Ratschlag, welchen sie mir ans Herz legte, befolgt sie selbst entschlossen.

Irgendwie wirkt jeder Mitarbeiter, der unter Francescas Obhut werkelt, von Unzufriedenheit geplagt. Das kam bereits mehrfach zum Vorschein und die tägliche Mittagspause unterstreicht diesen Eindruck. Ein unseliger Trugschluss meinerseits, die erste nicht als Maßstab gelten zu lassen. Weder am Freitag noch heute konnte eine Besserung verzeichnet werden. Zufriedene Arbeiter schweigen nicht eisern das gesamte Zeitfenster über, was eigentlich gedenkt, den Zweck selbstbestimmter Erholung innezuhaben.

Aber worin liegt der Ursprung alldessen begründet? Hat ihn ein einzelnes Individuum zu verantworten? Ist unsere unbeliebte Chefin ein schlechter, bösartiger Mensch?

Womöglich könnte die Antwort der nächsten Frage - wenn man sie wüsste - zusätzlich Licht ins Dunkel bringen. Wer ist denn nun jener mysteriöse Otto und was für eine Rolle spielt er in dieser verschleierten Geschichte, die noch so manch Überraschung bereithält?

Otto hat Flick Flacks gekauft

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