Читать книгу Mein wunderbares Bücherboot - Sarah Henshaw - Страница 11
3. Garten
ОглавлениеMeine Pläne für die Reise sind eher vage. Schließlich weiß man nie so recht, wann der Gärtner endlich im eigenen Leben auftaucht, insofern will ich lieber nichts riskieren. Also konzentriere ich mich vorwiegend darauf, auf dem Dach des Boots einen 15 Meter langen Kunstrasen auszulegen. Außerdem stelle ich ein paar Topfpflanzen auf und eine orangefarbene Blume von meinem Freund Ali. Allerdings sterben mir sämtliche Pflanzen in den ersten Wochen weg, was vor allem daran liegt, dass ich vergesse, sie zu gießen. Trotzdem lasse ich sie stehen, da ich davon ausgehe, dass selbst vernachlässigte Vegetation das Herz eines Gartenliebhabers höherschlagen lässt.
Stu überlässt mir einen goldenen Blumentopf, in dem ich Sonnenblumen ziehen kann. Als wir vor zehn Jahren zusammenkamen, hat er mir eine Musikkassette geschenkt, auf die er den Songtext von Paul Wellers Sunflower geschrieben hatte. Dazu hatte er das Magnetband mit weißem Band ersetzt und wenn man es mit dem kleinen Finger abspulte, kam der ganze Text, mit Kugelschreiber verewigt, zum Vorschein. Früher saß ich oft in meinem Zimmer und spulte mich durch den Song. Mir gefiel besonders die Zeile, in der das Haar mit einem Weizenfeld verglichen wird. Als er mir jetzt den Topf für die Sonnenblumen schenkt, breche ich in Tränen aus.
Ich habe beschlossen, dass meine Reise im Mai beginnen und sechs Monate dauern soll. Vorgeblich dient diese Aktion dazu, meinen Buchladen, die Book Barge, zu retten. Wenn ich das Boot einfach hier liegen lasse, wäre es nur eine Frage weniger Wochen, bis ich gezwungen wäre zu schließen. Ehrlich gesagt gehe ich ohnehin davon aus, dass er schließen wird. Schließlich muss ich mir jetzt schon ständig Unmengen an Geld von meiner Familie, Stu und der Bank leihen, um ihn am Laufen zu halten. Aber wenn er schließt, will ich nicht, dass es vor den Augen jener Menschen geschieht, die ständig reinkommen, kostenlos Tee trinken, mir erzählen, was für eine Schande es doch sei, dass heutzutage niemand mehr Bücher kaufe – und dann hinausspazieren, ohne ein Buch zu kaufen.
Vor allem aber will ich allein sein. Einen ganzen Sommer lang allein, wie es eine andere Frau in dem Buch Einsamer Sommer bereits über hundert Jahre zuvor für sich einforderte. Elizabeth von Arnim war das Pseudonym von Mary Annette Beauchamp, einer britischen Schriftstellerin, die 1891 einen preußischen Grafen heiratete, den sie später wenig schmeichelhaft den »Grimmigen« nannte. Um ihrem Ehemann und ihrer Schar Kinder zu entfliehen, kam sie eines Abends auf die Idee, sechs Monate in Einsamkeit zu verbringen – soweit das möglich war, ohne gänzlich ihre Pflichten als Mutter und Ehefrau zu vernachlässigen. Nur durch eine derartige längere Phase stiller Kontemplation, so glaubte sie, würde sie »in die tiefsten Tiefen meines Lebens hinabsteigen«, über ihre Fehler nachdenken, sich dem Müßiggang hingeben, dem Lauf der Natur zusehen und »glücklich […] sein«, da niemand sie »mit seinem Trübsinn anstecken« würde. Das Buch, das daraus hervorging, ist mehr als nur eine hübsche Form des vornehmen weiblichen Protests. Es geht vielmehr um die allmähliche Entdeckung des eigenen Ichs und um die Frage, wie man ein erfülltes Leben führt. Und beides möchte ich ebenfalls für mich entdecken. Leider verfüge ich jedoch weder über ein kleines Vermögen noch über ein ausgedehntes Familienanwesen, um mir diese sechsmonatige Auseinandersetzung mit den philosophischen Fragen des Lebens zu gönnen. Aber ich besitze ein Boot und einen bescheidenen Bücherschatz. Das ist doch schon mal ein Anfang.
Tatsächlich finde ich die Lösung in ebenjenem Buch. Von Arnim war eine leidenschaftliche Leserin. »Was ist es doch für ein Segen, Bücher zu lieben«, schrieb sie. »Jeder liebt irgendwas und ich kenne keine anderen Liebesobjekte, die einen so wesentlichen und unfehlbaren Gewinn bringen wie Bücher.« Ganz offenkundig waren diese Zeilen nicht im geschäftlichen Sinn gemeint. Denn das Verkaufen von Büchern treibt mich in den Ruin. Aber »Gewinn« in einem weniger streng finanziellen und dennoch wirtschaftlichen Sinne? Das ließe sich machen. Ich nehme an, wenn ich es hinkriegen könnte, meinen Büchervorrat gegen Essen und Dienstleistungen zu tauschen, die ich unterwegs benötige, wäre das ebenso romantisch wie pragmatisch. Tatsächlich spricht mich dieses Konzept enorm an. Die letzten zwei Jahre habe ich über den unfairen Wettbewerb lamentiert, in dem unabhängige Buchhandlungen gegen den Onlinehandel und Supermärkte konkurrieren müssen, die es sich leisten können, massive Rabatte anzubieten. Inzwischen erwarten die Kunden Rabatte und fühlen sich regelrecht über den Tisch gezogen, wenn das Preisschild nicht ein Sonderangebot ausweist. Indem ich Waren anbiete, ohne dass dafür Geld von einer Hand in die andere wandert, könnte die Book Barge ein attraktives Angebot für diejenigen sein, die offen genug sind, eine nichtkapitalistische Organisation zu unterstützen. Und ich könnte vielleicht hin und wieder von einer Nacht auf der Couch profitieren.
Selbst wenn ich den Lesern lediglich verständlich mache, dass ein Buch so viel wert ist wie zum Beispiel eine Mahlzeit in einem Pub und die üblichen »3 für 2«-Marketingaktionen der Handelsketten den Wert des Buches unterminieren, ist die Sache schon für etwas gut. Vielleicht, aber nur vielleicht, kann ich die Leser sogar dazu bringen, sich mehr Gedanken darüber zu machen, wo und wie sie Bücher kaufen.
Für den Fall, dass die Kunden nicht mitspielen sollten, versuche ich zumindest meine Grundbedürfnisse abzusichern, bevor ich aufbreche. Vor allem mache ich mir Sorgen, wo ich pinkeln und mich waschen soll. Dass das Boot ursprünglich für beides ausgestattet war, erzeugt bei mir kurzzeitig Frust. Die originale Kassettentoilette und Dusche stehen noch immer bei meinen Eltern in der Garage, aber die Zeit und die Kosten, die nötig wären, um sie wieder einzubauen, lassen mich darauf beharren, dass es doch eine andere Möglichkeit geben muss.
Also bestelle ich im Internet eine tragbare Campingdusche und zur Sicherheit gleich fünf weitere, falls sie so minderwertig produziert sind, wie der Preis vermuten lässt. Außerdem kaufe ich ein Planschbecken als Auffangbecken beim Duschen. Schließlich möchte ich einen weiteren Wasserschaden an den Büchern vermeiden. Das Planschbecken ist ziemlich babymäßig und mit den Motiven einer Kindersendung namens In the Night Garden bedruckt. Das Pipi-Problem erfordert einiges mehr an Zeit und Überlegung.