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5. Ted

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Abgesehen von meinen Eltern gibt es noch jemanden, der mir zum Abschied zuwinkt. Dieser Jemand heißt Ted und ich kenne ihn, seit ich im Hafen liege. Ted lebt auf einem kleinen Plastik-Kajütboot, das am Anlegesteg gegenüber von meinem Boot an der Promenade liegt. Was ich erst sehr viel später erfahren werde: Teds Boot sinkt ganz allmählich und wird ihn mit sich nehmen. Jeden Morgen schöpft er das braune Wasser aus seinem Boot, während seine Lunge ächzt und geräuschvoll Luft verliert. Er versucht, sie mit dem Mund aufzufangen, doch sie entwischt jedes Mal wie lauter winzig kleine Silberfischchen.

Ted riecht echt übel, weil er tagaus, tagein dasselbe blau-rot karierte Flanellhemd trägt. Wenn ich ihn durchs Fenster sehe, wie er auf mein Boot zugelaufen kommt, eile ich ihm immer schnell entgegen, damit er nicht reinkommt und mein Laden hinterher ebenfalls riecht. Wenn Kunden auf dem Boot sind, ist das hinfällig, weil Ted fremde Leute nicht mag und sowieso nicht hereinkommt. Einmal, als an einem Donnerstagnachmittag mehrere Mütter samt Kleinkindern an Bord waren und ich ihnen aus Bilderbüchern vorlas, hielt er einen großen Batzen Kuhinnereien von außen gegen das Fenster gedrückt. Grinsend stand er da, das Fleisch, aus dem das Blut quoll, in einer durchsichtigen Plastiktüte. Als ich rausging, damit er die Mütter und ihre Kinder nicht noch weiter verstörte, erzählte er mir von dem Curry, das er damit zubereiten wollte. Ted redete leidenschaftlich gern übers Kochen und hielt das Fleisch erneut in die Höhe wie eine Trophäe.

Das Erste, was mir Ted je von sich erzählte, war, dass er einmal verhaftet worden war, weil er die Unterhosen seiner Freundin an einen Kirchturm in London gehängt hatte. Daraufhin klappte ich den Mund auf und zu, ganz wie es sonst seine Art war. Seine damalige Freundin traf sich heimlich mit einem anderen Mann und als er es herausfand, beschloss er, ihre ganze Slip-Sammlung aus Rache an den nächstgelegenen Turm zu hängen. Bald schon flimmerten die Blaulichter um die Kirche herum, aber Ted kletterte immer höher und höher. Es muss ausgesehen haben wie bei King Kong, sagte er. Immer mehr Schaulustige blieben stehen und beobachteten Ted, der an einer Schnur um die Taille eine Art Wimpelkette aus Tangas und eine durchsichtige Strumpfhose befestigt hatte. Auf dem Kopf trug er einen BH, der ihm jedoch alle paar Minuten über die Augen rutschte und ihn am Weiterklettern hinderte. Dann musste er sich in eine Nische hineinbeugen und mit der linken Hand loslassen, um die Körbchen zurechtzurücken und die um das Kinn gespannten Träger wieder festzuziehen.

Als Ted an der Kirchturmspitze ankam, bekam er kaum noch Luft. Die Höschenwimpelkette seiner Freundin in der Hand, reckte er die Faust in die Luft, ehe er losließ. Der Strick fiel jedoch nicht sehr tief, verhedderte sich und blieb hängen – all die winzigen Stringtangas, gleichsam als Banner des Zorns. Die Menge hielt kollektiv den Atem an, als Ted vornüberfiel und mit den Händen in der Luft ruderte. Unterdessen war die Polizei die Feuerleiter zu ihm hochgeklettert. Sein rasselnder Atem mahnte sie zur Eile. »Unten lagen bereits aufblasbare Matratzen aus, weil alle dachten, ich würde runterfallen«, sagte er. »Aber alles, was sie auffingen, war eins ihrer Höschen, woraufhin ein Junge hinrannte, es sich schnappte und es triumphierend in die Luft hielt, als ob er einen Riesenfisch gefangen hätte.«

Als mir Ted die Geschichte erzählte, lachten seine Augen, aber seine sich hebende und senkende Brust surrte lauter als die Wespe auf dem Fensterbrett meines Boots. Ich griff seine Erzählungen auf und zimmerte mir daraus meine eigene Geschichte, um sie Freunden zu erzählen. Jedes Mal schmücke ich sie mit noch höheren Türmen und noch mehr Unterwäsche aus. Und jedes Mal ist sein Asthma noch bedrohlicher. Manchmal erzähle ich sie auch ganz ohne jedes Publikum. Während der nächsten Monate allein auf dem Boot spiele ich die Geschichte immer und immer wieder gedanklich durch. Ted sagte, man muss sich manchmal eben zur Wehr setzen, wenn das Leben ungerecht zu einem war, und zwar auf die Art und Weise, die einem richtig erscheint.

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