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7. Teufelswerk Schleuse

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Was ich unterwegs schnell begreife, ist, dass das Büchertauschmodell zwar meinen finanziellen Engpass überbrückt, aber nicht meine Inkompetenz am Steuer eines Narrowboats verbergen kann. Bald schon wird mir klar, dass die Strategie, Passanten mit kostenlosen Büchern zu bestechen, damit sie mir beim Schleusen helfen, mich enorm teuer zu stehen kommt. Auf meiner Rundreise durch England und Wales erwarten mich über siebenhundert dieser höllischen Kammern. Wenn ich so weitermache wie bislang (ein Taschenbuch zu 7,99 Pfund pro Schleuse), werde ich am Ende der sechs Monate meinem Steuerberater einen Fehlbestand von 22.372 Pfund erklären müssen. Die Tatsache, dass ich mir seit Eröffnung des Buchladens noch keinen Steuerberater leisten konnte, ist dabei kaum ein Trost. So oder so werde ich es irgendjemandem erklären müssen. Und das wird extrem peinlich für mich.

Für all denjenigen, die mit der Funktionsweise von Binnenwasserstraßen nicht vertraut sein sollten – eine Schleuse lässt sich am besten wie folgt beschreiben: Es ist Teufelswerk. Schleusen dienen dazu, Niveauunterschiede zwischen zwei Wasserstraßen zu überwinden, und dazu, Menschen für ein ansonsten beneidenswertes Dasein auf dem Boot büßen zu lassen. Dabei verwende ich diesen religiösen Begriff keineswegs leichtfertig. Eine Schleuse einhand zu bedienen, ist gleichbedeutend mit körperlicher Selbstkasteiung. Genau wie beim Bußgürtel oder der Selbstgeißelung handelt es sich um eine überaus schmerzhafte Form, in aller Öffentlichkeit für Sünden, die die Natur so mit sich bringt, bestraft zu werden. In meinem Fall ist die Topografie die Sünderin.

Schleusen, diese eigentümlichen, schweren, langsamen Dinger, in denen man sich garantiert seine Klamotten so sehr einsaut, dass selbst die erlösenden Kräfte von Persil machtlos dagegen sind, sind eindeutig eine männliche Erfindung. Und wie man schon bald beim Befahren der Kanäle feststellt, finden nur Männer an diesem Sport Gefallen. Das hat gute Gründe: Abgesehen davon, dass ihr einer seltsamen Logik folgendes Gehirn absurderweise vom Mechanismus der Schleuse fasziniert ist (obwohl es für jeden, der schon mal gesehen hat, wie ein Bad eingelassen wird, eigentlich nichts Neues sein sollte), müssen sie die Schinderei selten selbst auf sich nehmen. Stattdessen lassen sie ihre Freundinnen und Ehefrauen die Drecksarbeit machen. Zuerst sieht man, wie diese armen, schändlich ausgenutzten Frauen bereits einen halben Kilometer vor der Schleuse von ihrem Partner eilig vom Boot geworfen werden. Nachdem sie über eine schier unüberwindliche Mauer aus Schlamm und Brennnesselgestrüpp zwischen Boot und Treidelpfad gesprungen sind, wischen sie sich die schlammverschmierten Hände ab, verziehen schmerzhaft das Gesicht ob des verstauchten Knöchels und trotten wenig elegant zu den am Horizont sichtbaren drei Tonnen schweren Toren.

Torschützen sind sauschwer hochzukurbeln und wenn man nicht die Pobacken eines Kugelstoßers hat, ist das Aufschieben der Tore mit dem Hintern ebenfalls ein mühseliges Unterfangen. Im Grunde sollte der Anblick von Frauen im Rentenalter, die quasi einen Baum durch die Gegend stemmen, um diese unheilvollen Barrieren zu überwinden, der triumphale Inbegriff der Befreiung der Frau sein. Endlich wackeln wir nicht mehr zu irgendeiner Renault-Mégane-Werbung mit dem Hintern, sondern leisten mit unseren Pobacken Männerarbeit. Holzstämme mit dem Hintern wegschieben? Schaffen wir!

Trotzdem hat es etwas Beunruhigendes, ein gewisses Gschmäckle, wenn man dieser politisch korrekten Idylle beim Schippern um eine Flussbiegung im ländlichen Warwickshire zum zigsten Mal begegnet. Als ich mir südlich von Birmingham eine Schleuse mit einem Ehepaar teile, entschuldigt sich der Skipper doch allen Ernstes bei mir dafür, dass seine Frau so langsam beim Bedienen der Schieber ist. Besagte Frau steckt vom Fuß bis zur Hüfte in einem Gipsverband und wankt gerade gefährlich auf einer Torbrücke, die dreimal so schmal ist wie ihr eingegipstes Bein, über die halbgefüllte Kammer. »Gott sei Dank kommt der Verband nächste Woche ab. Vielleicht kommen wir dann endlich mal voran«, murmelt er.

Dass die meisten dieser Frauen darauf bestehen würden, lieber die harte Arbeit zu machen, anstatt gemütlich hinter dem Ruder zu sitzen, Chardonnay zu schlürfen und das Boot mit dem großen Zeh am Steuer auf Kurs zu halten, ist ein Trugschluss. Genau wie bei Autos wurde ihnen einfach nur lange genug eingeredet, Fahrzeuge in schmale Lücken zu navigieren, sei »schwierig« und deshalb solle man das lieber gleich lassen. »Nicht ganz leicht«, vielleicht. Aber relativ gesehen? Wenn die einzige Alternative darin besteht, sich Steroide ins Hinterteil spritzen zu lassen, um diese Plackerei zu überleben? Ich weiß, wofür ich mich entscheiden würde. Und nach einiger Übung ist es zwar immer noch keine Kleinigkeit, aber man nimmt zumindest eine bewährte »Achtung, fertig, los«-Stellung ein, wenn der Stahl gegen die Mauer donnert und die Weinflasche über Bord zu gehen droht.

Aber so weit bin ich noch nicht. Außerdem ist mir immer noch nicht ganz klar, wie man das Boot anhält. Sobald wir uns einer Schleuse nähern, springe ich, die Achterleine im Klammergriff, von Bord, wickele sie um den nächstgelegenen Poller und bange um mein Leben, während das Boot zitternd und mit einem Laut, als ob man an einer zu straffen Saite zieht, zum Halten kommt, nur um mit der Nase zum anderen Ufer zu driften und damit die Durchfahrt der Schleuse komplett zu blockieren. Nachdem man mir höflich mitgeteilt hat, dass, wenn ich die mittlere Leine verwenden würde, das Boot wenigstens parallel zum Kanal zum Stehen käme, lege ich bei diesem Manöver inzwischen etwas mehr Professionalität an den Tag, schaffe es aber trotzdem, das Fensterglas aus der Luke zu schlagen, als sich die Leine an einem offen stehenden Metallgitter verfängt, das zufällt. Als ich später Rückwärtsgang und Bugstrahlruder entdecke, sinkt die Rate von Fensterreparaturen und Fingerschnittwunden beträchtlich.

Sobald ich das Boot angehalten und vertäut habe (meine Knoten sind kunstvoll, aber größtenteils ineffizient), beginnt, die Winschkurbel aus Stahl in der Hand, mein Martyrium an der Schleuse. Dies ist der Auftakt zu einem mühsamen Prozess. Ich muss die Schleuse befüllen oder leeren, auf das Boot zurückspringen, es in die Schleuse navigieren, wieder runterspringen, um das Tor zu schließen, dann die Schützen öffnen, um Wasser hinaus- oder hereinzulassen, wieder aufs Boot hechten, damit es nicht von der Kraft der Wasserströmung gegen die Tore geknallt wird, dann wieder runter, die Tore öffnen, dann wieder rauf und mit dem Boot rausfahren, auf der anderen Seite anlegen und zurückrennen, um die Tore zu schließen. So wie ein Panda Bambus verschlingt, verschlingt die Schleuse Zeit: völlig ineffizient, gierig, aber glücklicherweise ohne vierzigmal Stuhlgang am Tag. Die längste Zeit, die ich je gebraucht habe, um eine Schleuse zu bedienen, waren 120 Minuten. In derselben Zeit laufen andere Leute einen Halbmarathon oder schauen einen Spielfilm.

Meine gesamte Reise mit der Book Barge über werden Schleusen für mich das sein, was für Ritter in altenglischen Ritterromanzen Begegnungen mit Drachen sind. Sie sind eine echte Prüfung.

Mein wunderbares Bücherboot

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