Читать книгу Mein wunderbares Bücherboot - Sarah Henshaw - Страница 8

Ein Wort vorweg

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Beinahe täglich fragen mich Kunden, wieso ich einen Buchladen auf einem Boot habe. Manchmal höre ich aus ihrem Tonfall aufrichtiges Interesse heraus. Normalweise dient die Frage ihnen aber nur als Aufhänger für ein Wortspiel, das sie für originell halten – etwa, dass ich mit dieser Idee bestimmt »eine große Bugwelle machen« werde oder »zu neuen Ufern« aufbräche. Einmal stellte mir eine Frau diese Frage in beinahe hysterischem Ton, spähte durch das hinterste Fenster und kreischte: »Wir sind ja tatsächlich auf dem Wasser! Maggie, wieso hast du mir nicht gesagt, dass das ein echtes Boot ist? Sie da, am Schreibtisch, wieso schwimmt dieser Laden?« Dann hielt sie inne, drückte sich ein Taschenbuch gegen die Brust, wie um sich gegen irgendeine mysteriöse Kanalmagie zu schützen, die sie selbst nur halb verstand, ehe sie sich besann: »Sind wir überhaupt auf dem Wasser? Jetzt wird mir alles klar, das ist alles wahrscheinlich nur eine 3D-Illusion. Auf Stelzen«, fügte sie nach weiterem Nachdenken hinzu.

Daraufhin ergehe ich mich dann in meinem viel erprobten und einigermaßen wahrheitsgemäßen Vortrag darüber, dass ein Laden auf dem Wasser im Vergleich zur Ladenmiete an einer Hauptstraße relativ kosteneffizient ist, dass ein ungewöhnliches Geschäftsmodell mehr Kunden anzieht und welche Vorteile es mit sich bringt, einfach weiterziehen zu können, wenn Flaute im Laden herrscht, und an Freitagnachmittagen, wenn ein paar Gläser günstigen Weins meine Zunge gelockert haben und ich mich zu peinlichen romantischen Geständnissen hinreißen lasse, erkläre ich, dass Bücher und Boote einfach zusammengehören. »Abenteuer!«, rufe ich, »Ausbruch aus dem Alltag!«, trällere ich. Und stürze mich daraufhin in eine chronologische Auflistung einschlägiger Literatur, beginnend mit: Das Leben und die seltsamen überraschenden Abenteuer des Robinson Crusoe aus York, Seemann, der 28 Jahre allein auf einer unbewohnten Insel an der Küste von Amerika lebte, in der Nähe der Mündung des großen Flusses Oroonoque; durch einen Schiffbruch an Land gespült, bei dem alle außer ihm ums Leben kamen. Mit einer Aufzeichnung, wie er endlich seltsam durch Piraten befreit wurde. Geschrieben von ihm selbst. »Denn das ist der deutlich längere Originaltitel von Defoes Klassiker«, lalle ich und zwinkere wissend. Sobald ich einen Sauvignon Blanc vom Co-op für 4,99 Pfund aus einem Plastikbecher schlürfe, kommt die Lehrmeisterin in mir durch.

Die Idee zur Book Barge nahm 2009 Gestalt an. Mein Freund und ich hatten bei mehreren Banken Kreditanträge gestellt, um das Boot zu kaufen. Allen lag zu diesem Zweck ein Businessplan vor, der, wie ich heute klar anerkennen muss, völliger Quatsch war. Die Unterlagen reichten wir in Buchform ein (meine Idee). Am Anfang stand das Titelblatt mit dem wortspielschwangeren, miserabel formulierten Untertitel: »Die Schleusen konnten ihr nichts anhaben. Alle Wasserwege standen ihr offen. Den Kanalkonventionen zum Trotz wurde sie zu … THE BOOK BARGE.« Bei der Erinnerung daran schaudert es mich. Seltsamerweise hielt ich es damals einfach für einen ausgefallenen Kreditantrag, mit dem wir selbst den unerbittlichsten Manager mit einem Taschenrechner statt einem Herzen in der Brust für unser Projekt gewinnen mussten. Heute ist mir klar, dass das eine vollkommen bescheuerte Idee war. Auf der Rückseite waren fiktive positive Kritiken vermerkt: »Absolut fesselnd! Ein wahres Meisterwerk der Business-Prosa!« – Finance Digest. »Mit einem Happy End ist fest zu rechnen!« – The Investor Times. Die in dem Dokument enthaltenen »Kapitel« hatten so dämliche Titel wie »Ein interessantes Vorhaben«, »Eine schicksalhafte Partnerschaft« (mit angeblichen Geschäftsreferenzen von Stu und mir) und das Kapitel »Eine große Zahl an Zahlen« enthielt eine Exceltabelle mit unseren höchst optimistischen Verkaufsprognosen, eingebettet zwischen Bildern von Cleopatra’s Barge und den beiden Kinderbuchfiguren Ratte und Maulwurf, die wild gestikulierend in einem blauen Ruderboot saßen. Ein interessantes Vorhaben? Wohl eher ziemlich unpassend. Unser Kreditantrag wurde entschieden – und mehrfach – zurückgewiesen, sodass wir gezwungen waren, das Geld von unseren Familien zu leihen.

Als wir die Buchhandlung eröffneten, schien es anfangs, als hätte sich das Risiko gelohnt; das Geschäft brummte und die Veranstaltungen, die bei uns im Laden abgehalten wurden, waren gut besucht. Doch die Branche veränderte sich, und zwar rasant. Ein Jahr später beliefen sich die Verkaufszahlen für den E-Book- und Downloadbereich bereits auf elf Prozent des britischen Buchmarktes (eine Steigerung von zwei Prozent seit Eröffnung der Book Barge). Zeitgleich wurden die landesweiten Schlagzeilen von den Analysen der Wirtschaftsfachleute dominiert, die vor der schlimmsten Double-Dip-Rezession in Großbritannien seit fünfzig Jahren warnten. Plötzlich stöberten die Leute und liehen sich dann einen Bleistift, um sich die ISBN zu notieren, damit sie sich die Titel später günstiger online kaufen konnten1. Die Frage lautete nun nicht mehr: »Wieso haben Sie einen Buchladen auf einem Boot?«, sondern: »Wieso haben Sie überhaupt einen Buchladen?«

Frustriert und finanziell angeschlagen begab ich mich im Mai 2011 auf eine sechsmonatige Reise, um das Bewusstsein der Menschen zu schärfen, nicht nur für meine eigene Notlage, sondern für die ungewisse Zukunft des stationären Buchhandels insgesamt. Die Reise sollte mich so nachhaltig und wundervoll verändern, wie ich es nie erwartet hätte. In Maidens’ Trip, den Erinnerungen von Emma Smith an ihre Zeit als Kanalschifferin, heißt es an einer Stelle, das Dahinschippern auf den Wasserstraßen habe ihr erstmals ein Leben ermöglicht, das all ihren Erwartungen entsprach, und genauso ging es mir auch. Mehr noch, ich empfand vollstes Selbstvertrauen und tiefste Zufriedenheit. Es machte mich einfach unbeschreiblich glücklich. Den größten Anteil daran hatten die Menschen, die Bücher kauften, tauschten oder spendeten, die einer völlig Fremden nette E-Mails schrieben, um sie für ihr Vorhaben zu loben, die davon absahen, laut vor sich hin zu fluchen, wenn ich in ihre Hausboote hineinfuhr, die mir eine Tasse Tee kochten, die mir einen Victoria Sponge Cake2 vorbeibrachten, die sich als »Crew« ausgaben, um die altertümlichen Handelsgesetze in Bristol zu umschiffen, die ein Boot aus einer Schleuse in Yorkshire abschleppten, nachdem ich es fast versenkt hätte, die Frau, die anmerkte, ein Bücherbus wäre vielleicht weniger kompliziert gewesen, und die drei Schafe, die über eine Trockenmauer spähten, um nachzuschauen, woher der Lärm kam, als ich ebenjene Frau hysterisch anschrie, dass sie sich gefälligst um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern solle. Sich über Wasser zu halten, war, wie ich herausfand, nur die Hälfte der Miete.

1In Großbritannien gibt es im Gegensatz zu Deutschland keine Preisbindung für Bücher.

2traditioneller englischer Rührkuchen mit einer Schicht Erdbeermarmeladen-Buttercreme

Mein wunderbares Bücherboot

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