Читать книгу Der Regisseur. Mein Buch, dein Tod. - Sarah Markowski - Страница 10
ОглавлениеSamstag, 29.06.2019, 08: 00 Uhr
- Theo -
„Rührei mit Speck und Toast“, stellt Mia freudig fest, als sie die Cloche über ihrem Teller anhebt und neugierig einen Blick darunter wirft. „Und Erdbeeren!“
Dass Cloche vom französischen Wort für Glocke stammt und die korrekte Bezeichnung für diesen Deckel ist, den man wahrscheinlich am ehesten aus Restaurants der feinen Küche kennt, weiß Theo allerdings auch erst seit seiner Ausbildung zum Koch vor fast vier Jahren. Angefangen hat er direkt nach dem Abitur mit einem Studium im Fachbereich Ingenieurwesen. Dass das jedoch nichts war, was er sich auf Dauer vorstellen konnte, merkte Theo schon ziemlich früh. Abgebrochen hat er das Studium trotzdem erst nach vier Semestern. Was ihn so lange dort hielt, war lediglich die Angst davor, seine Eltern zu enttäuschen. Hätte er schon früher gewusst, dass sie ihm auch bei der Ausbildung jederzeit mit Rat und Tat zur Seite stehen, hätte er schon viel früher einen Schlussstrich unter das Kapitel Studium gezogen. Wobei er sich immer noch daran erinnern kann, dass es sein Vater gewesen war, der sich mit abschätzigen Kommentaren über seine damaligen Klassenkameraden geäußert hatte, die trotz Abitur nicht an die Uni gingen und stattdessen nur eine Ausbildung anfingen.
Im Nachhinein ist man immer schlauer, denkt Theo und beobachtet, wie sich Mia ausgehungert über ihr Frühstück hermacht.
„Schmeckt wirklich gut! Probier‘ doch mal.“
Theo zwingt sich zu einem müden Lächeln und schiebt sein Tablett in die Tischmitte.
„Hast du keinen Hunger?“
Die Scheibe Toast knackt, als sie hineinbeißt. Theo schüttelt den Kopf. „Schmeckt aber; vor allem die Erdbeeren.“
„Wenn du möchtest, kannst du meine auch noch haben.“
Er nimmt die Schale mit dem Obst von seinem Tablett und schiebt sie ihr entgegen.
„Echt?“ Das Mädchen strahlt. „Danke.“
„Unter einer Bedingung.“
Sie stockt mitten in der Bewegung, die Gabel mit der aufgepiksten Erdbeere schwebt in der Luft.
„Und die wäre?“
„Gib mir etwas von deiner guten Laune ab.“
Mia lächelt, ihre Gesichtszüge entspannen sich. Als sie das unnatürlich rot glänzende Stück Obst in ihren Mund schiebt, fallen Theo ihre beinahe symmetrischen, strahlend weißen Zähne auf. Ob das einer Zahnspange geschuldet ist oder nicht, dieses perfekte Gebiss stellt jedes Zahnpasta-Model in den Schatten. „Oder verrate mir wenigstens das Geheimnis, wie du es schaffst, trotz all dieser Umstände immer noch so positiv zu bleiben.“
Theo lässt seinen Blick durch das Zimmer schweifen, in dem sie seit Tagen zusammen eingepfercht sind. Ohne Fenster, ohne Türen, kein Tageslicht, nur diese grellen Scheinwerfer, die jeden Tag zur gleichen Zeit an- und ausgehen. Ab zwanzig Uhr verbleibt nur noch der fade Lichtschein der Nachttischlampen, die glücklicherweise selbst gesteuert werden können. Glatter Linoleumboden, Wände mit einer seltsamen Verkleidung, die Möbel sind alle aus demselben Material, weiß. Der Tisch mit den fünf Stühlen, die Betten, die Regale an der Wand – alles identisch, alles in reinweiß gehalten, und alles strahlt so sehr im kühlen Licht der Lampe, dass es Kopfschmerzen verursacht. Es gibt keine Ecken, alles ist rund. Sogar das kleine angrenzende Badezimmer hebt sich optisch nicht vom Rest des Raumes ab. Nur der Speiselift lässt darauf schließen, dass der Raum noch in irgendeiner Weise mit der Außenwelt verbunden ist. In regelmäßigen Abständen bekommen sie Nachrichten oder Anweisungen über einen Projektor, der auf die kahle Wand gerichtet ist. Wann die letzte Nachricht kam, weiß Theo nicht mehr. Ebenso wenig weiß er, wann und warum er hierher gebracht wurde. Warum gerade er, und was verbindet ihn mit den anderen vier Personen, die ebenfalls hier festgehalten werden? Nach Gemeinsamkeiten haben sie bereits gesucht, vergebens. Es gibt scheinbar nichts, was sie auch nur ansatzweise verbindet. Theo schwitzt. Wie lange soll es noch so weitergehen? Wie lange muss er das noch aushalten? Wie lange kann er das noch aushalten? Theo merkt, wie seine Hände anfangen zu zittern. Er versteckt sie unter dem Tisch und versucht, ruhig durchzuatmen. Früher hat das immer geholfen. Doch es ist nicht die Platzangst, unter der er seit seiner Kindheit leidet, es ist die Ungewissheit, die ihn psychisch kaputt macht.