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Samstag, 29.06.2019, 21: 12 Uhr

- Helena -

Helena hat keine Zeit, die Beule an Julius‘ Hinterkopf zu betrachten und ihn zu bemitleiden. Seinem Aufschrei und Verhalten nach zu urteilen, muss es sich um ein Monstrum handeln, doch ihr Blick gilt einzig und allein dem Schild im Lastenaufzug. Einmal in der Hälfte gefaltet steht es wie ein Platzkärtchen auf Geburtstagsfeiern in der Mitte es Aufzuges. Mia steht darauf, mehr nicht. Helena schluckt. Verunsichert schaut sie sich zu Manni um, doch seine Aufmerksamkeit ist gerade auf den zum Sterben verurteilten Julius gerichtet. Helena wünschte, sie hätte auch nur eine Beule am Kopf. Ihr Blick trifft den von Oliver; in seinen Augen spiegeln sich Sorge, Angst und Ungewissheit – jedenfalls deutet Helena das so, denn auch seine Mimik und Gestik gleichen nicht mehr der des starken, selbstbewussten jungen Mannes, wie sie ihn kennengelernt hat.

„Ich muss dann wohl…“, flüstert Helena. Ihr Herz rast, und vor lauter Angst füllen sich ihre Augen mit Tränen. Sie schluckt den Kloß in ihrem Hals herunter und strafft die Schultern. Mutigen Schrittes nähert sie sich dem Lift, doch als sie direkt davor steht, weigert sich alles in ihr dagegen, einzusteigen.

„Meinst du, du musst da wirklich rein?“

Olivers Stimme zittert. Jetzt ist Helena noch mehr verunsichert.

„Sieht alles danach aus, oder?“

In dem oder steckt so viel Hoffnung. Vielleicht malt sie sich die schlimmen Szenarien gerade völlig umsonst aus… Oliver nickt, weg ist die Hoffnung.

„Dann komme ich mit“, sagt er zu ihrer Überraschung. Helena fehlen vor lauter Erleichterung die Worte. Auf das kurze Glücksgefühl folgt die Ernüchterung.

„Da passen wir doch niemals zu zweit rein. Das Ding hat, wenn überhaupt, einen Quadratmeter Fläche, ich muss mich ja schon zusammenfalten, um alleine hineinzupassen.“

„Helena hat recht“, mischt sich nun auch Manni ein. „Das ist viel zu gefährlich. Solche Kleingüteraufzüge werden normalerweise im Gastronomiebetrieb eingesetzt und sind auch nur für eine bestimmte Gewichtsklasse zugelassen.“

„Willst du damit sagen, dass ich-“

„Nein, will ich nicht.“

Manni tritt einen Schritt näher an den Aufzug heran, um sich noch einmal von Nahem von der Größe des Innenraumes überzeugen zu können.

„Ja.“

Mit einem Nicken bestätigt er seine vorangegangene Aussage. „Das ist eindeutig zu klein für euch beide zusammen.“

„Ich bin trotzdem der Meinung, dass wir Helena nicht einfach so in dieses Teufelsding einsteigen lassen sollten.“

Teufelsding.

Wäre die Lage nicht so ernst gewesen, hätte Helena schmunzeln müssen.

„Aber irgendeine Entscheidung müssen wir treffen, sonst fährt der Aufzug ohne Passagier wieder dorthin zurück, wo er hergekommen ist.“

„Und was wäre daran so schlimm?“

„Ist das dein Ernst, Julius?“

Oliver schüttelt verständnislos den Kopf. „Was glaubst du denn, was passiert, wenn wir uns der Regieanweisung widersetzen?“

Julius nagt an seiner Unterlippe herum und zuckt kaum merklich mit den Schultern.

„Ich wage jetzt einfach mal zu behaupten, dass jemandem, der dazu fähig ist, fünf erwachsene Personen zu entführen, ohne dass sie sich im Nachhinein auch nur an eine klitzekleine Kleinigkeit erinnern können, und in einen fensterlosen Raum, wer weiß wie weit von der Zivilisation abgeschottet, zu sperren, noch ganz andere Dinge zuzutrauen sind. So etwas nennt sich Psychopath. Diese Menschen sind zwar unberechenbar, aber eins kann ich dir sagen: Leg‘ dich nicht mit ihnen an.“

Nach dieser ernsten Ansprache herrscht Stille. Nun ist Helena noch weniger bereit dazu, in den Lift zu steigen. Wer weiß schon, was – oder wer – sie am anderen Ende erwartet.

„Helena alleine gehen zu lassen kommt nicht in Frage. Allerdings fällt mir gerade auch keine andere Option ein.“

Plötzlich kommt Leben in den ältesten der Gruppe. Ehe sie sich versehen kann, wird Helena zur Seite gestoßen. Unsanft stößt sie sich den Ellenbogen, und landet dann zwischen Wand und Stühlen auf dem Boden. Manni zieht den Kopf ein und schwingt ächzend ein Bein nach dem anderen in den Aufzug.

„Manni!“

Oliver stürzt zum Lift. Helena hört nur seinen Schrei.

„Ich gehe.“

„Kommt gar nicht in Frage!“

Vom Boden aus muss sie zusehen, wie er vergeblich versucht, den schweren Mann aus dem Aufzug zu ziehen.

„Pass‘ gut auf die anderen auf!“

Mannis Worte klingen gedämpft hinter den geschlossenen Türen hervor. Mit einem Zischen setzt sich der Aufzug in Bewegung. Durch die Wand spürt Helena an ihrem Rücken ein leichtes Beben. Dann ist alles ruhig.

Der Regisseur. Mein Buch, dein Tod.

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