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Sonntag, 30.06.2019, 21: 32 Uhr

- Helena -

Es ist finster, die Fenster des Wagens sind mit Tüchern verhängt. Helena hat keine Chance, den Weg zu verfolgen, den sie zurücklegen. Sie reibt ihre Handgelenke aneinander, doch das Schiffstau ist zu fest, um es durch Scheuern lockern zu können. Sie rutscht auf ihrem Sitz hin und her, doch außer ein paar mickrigen Zentimetern nach links und rechts kommt sie nicht vom Fleck. Es ruckelt und rumpelt.

Vielleicht ein Feldweg, denkt sie, was sogar sehr wahrscheinlich ist, denn durch das Fenster waren vorhin ausschließlich Meer und Deich zu sehen gewesen, und rundherum sind erfahrungsgemäß selten befestigte Straßen. Helena versucht, sich auf Bewegungen und Geräusche zu konzentrieren, doch anders als in Filmen und Büchern kann sie sich leider nichts zusammenreimen. Lange sind sie noch nicht unterwegs, doch Helenas Handgelenke fangen schon an zu kribbeln und leicht bläulich anzulaufen. Vielleicht sollte sie sich bemerkbar machen, damit die Fesseln wenigstens ein klein wenig gelockert werden. Helena bringt sich in Position, denn zu ihrer Überraschung wurden ihre Füße nicht zusammengebunden. Auch auf einen Knebel und eine Augenbinde hat der Unbekannte verzichtet. Helena tritt mit voller Wucht gegen den Sitz vor ihr. Der Stoß lässt den Kopf des Fahrers an der Lehne abprallen. Verdutzt schüttelt er sich, zupft an seiner Maske herum, und fährt schließlich rechts ran. Das Auto kommt zum Stehen und der Unbekannte dreht sich zu Helena herum.

„Meine Hände.“

Sie streckt ihm auffordernd die Arme entgegen, doch er nimmt es lediglich zur Kenntnis und zeigt keine weitere Reaktion als eine vertröstende Antwort:

„Wir sind gleich da.“

„Wo?“

„Am Ziel.“

Helena verdreht die Augen.

„Was ist unser Ziel?“

„Das weißt du nicht, Mia?“

Sofort fühlt sich Helena in den Raum zurückversetzt, in dem sie das Skript zum ersten Mal gelesen und anschließend auswendig gelernt hat. Sie denkt an Manni, an seine Erzählungen von der alten Fabrik zwischen Greetsiel und…, Helena überlegt.

Akkens!

Zwischen Greetsiel und Akkens. Wenn das stimmt, ist sie gar nicht so weit von zu Hause entfernt. Helena hat Angst, doch die möchte sie nicht nur vor dem Mann mit der Maske, sondern auch vor sich selbst verstecken, und zeigt sich deshalb nach außen hin gefühlskalt. Mittlerweile hat sich das Auto wieder in Bewegung gesetzt. Wie lange sind sie schon unterwegs? Wenn Helena das wüsste, und sie wirklich in Richtung Akkens fuhren, könnte sie der Polizei später vielleicht die Suche erleichtern. Doch Helena kommt nicht mehr dazu, darüber nachzudenken, denn in diesem Moment kommt der Wagen erneut zum Stehen. Der Motor geht aus und eine unangenehme Stille entsteht.

„Wir sind da.“

Helena möchte etwas erwidern, doch ihr Hals ist so trocken wie der Sand in der Wüste Gobi. Alles, was sie von sich geben kann, ist ein heiseres Krächzen.

„Na, das muss aber noch werden“, stellt der Fahrer fest, als er Helena vom Gurt befreit und ihr aus dem Auto hilft. „Möchtest du etwas trinken?“

Helena nickt. Am liebsten hätte sie geschrien, um sich geschlagen und wäre weggerannt. Egal wohin, einfach fort. Doch irgendein Instinkt sagt ihr, dass das die falsche Lösung ist, dass sie sich mit dem Fahrer lieber gut stellen sollte.

„Wo ist Manni?“, fragt sie, nachdem sie das Trinken lieber doch abgelehnt hat – wer weiß schon, was da drinnen ist.

„Wer?“

„Manni“, versucht sie es erneut, doch in diesem Moment wird ihr klar, dass sie ihn nach dem Stand des Skriptes als Mia wohl nicht kennen durfte. Helena seufzt. Sie ruft sich den Text ins Gedächtnis und geht noch einmal die ersten Zeilen durch.

Sitzt.

„Warum bin ich hier?“, versucht sie es mit einer anderen Frage. Der Unbekannte schaut sie verblüfft an.

„Das weißt du nicht?“

Helena stutzt.

„Sollte ich?“

Aus dem Gesichtsausdruck ihres Gegenübers kann sie Unsicherheit lesen. Denkt er etwa, sie spielt ein Spiel mit ihm? „Also, warum bin ich hier?“

Er schüttelt den Kopf.

„Hör auf damit.“

„Mit was?“

Darauf bekommt sie keine Antwort.

„Da entlang.“

Obwohl es ihr ganz und gar nicht behagt, folgt sie der Zeigerichtung seines ausgestreckten Armes.

„Wohin gehen wir?“

„Da entlang.“

Während sie durch die Dunkelheit stolpern, überlegt Helena fieberhaft, was sie angeblich wissen müsste, doch ihr Kopf gleicht einem leeren, schwarzen Loch. Schon bald erscheint ein mächtiges Gebäude vor ihr, und sie hat keine Zeit mehr, noch länger vor sich hin zu grübeln. Bei Tag wäre es sicherlich weniger bedrohlich gewesen, doch im Dunkeln ist lediglich die Silhouette des Gebäudes erkennbar. Der Unbekannte bleibt stehen, Helena tut es ihm gleich. Mittlerweile ist es stockdunkel, doch er ist ihr so nahe, dass sie seinen auffordernden Blick nicht nur spürt, sondern auch sehen kann. Die winzigen Löcher, die gerade groß genug für seine Augen sind, lassen ihn noch viel angsteinflößender erscheinen.

„Mia, deine Show ist jetzt.“

Helena nickt und wiederholt seine Worte flüsternd – mehr zu sich selbst als zu irgendjemand anders.

„Meine Show ist jetzt.“

Der Regisseur. Mein Buch, dein Tod.

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