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Energiearmut

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Der neue Fluch, der auf den ärmsten Ländern der Welt liegt, heißt Energiearmut. Unter den 85 Prozent aller Länder, die Öl importieren müssen, befinden sich nicht nur die wohlhabenden Industrieländer oder die Wachstumsökonomien China und Indien, sondern auch die Ärmsten der Armen in Schwarzafrika, Lateinamerika oder Zentralasien. Steigende Preise haben auf diese Länder überproportional hohe Auswirkungen. Steigen die Energiepreise weiter, droht den ärmsten Entwicklungsländern eine neue Schuldenkrise. Nach Berechnungen der Weltbank kostet ein Anstieg der Rohölpreise um zehn US-Dollar die Industriestaaten ein halbes Prozent Wirtschaftswachstum. Für die ärmsten Länder, deren Energiekostenanteil an der Herstellung von Gütern in der Regel erheblich höher liegt, können die Einbußen bis zu dreimal so hoch sein.

Energiearmut trifft nicht nur die Wirtschaft dieser Länder, sondern auch ihre Bürger. Die Mieter in der Ukraine können angesichts steigender Gaspreise bald ihre Heizkosten nicht mehr bezahlen. Wer sich die teure Energie nicht leisten kann, muss frieren. Schulkinder in Afghanistan können abends nicht mehr lernen, weil der Strom abgeschaltet wird. Menschen in energiearmen Ländern, Stadtteilen oder Haushalten haben geringere Chancen, im Leben weiterzukommen. Viele Regierungen der ärmsten Länder müssen am Schul- und Gesundheitssystem sparen, um die Rechnungen für die Ölimporte zu begleichen. Energiearmut versperrt den Weg für Entwicklung.

In manchen Ländern, die auf dem Weltmarkt zu den Energieexporteuren zählen, leiden die eigenen Bürger trotzdem unter Energiemangel. Der Grund sind regionale und soziale Ungleichheiten. In Nigeria, dem größten Erdölexporteur Afrikas, bilden sich vor den Tankstellen der Hauptstadt Lagos lange Autoschlangen. Nigeria exportiert zwar Öl, hat aber keine ausreichenden eigenen Raffineriekapazitäten. Das Nigerdelta, in dem das meiste Öl des Landes gefördert wird, zählt gleichzeitig zu den ärmsten Regionen Nigerias. Die meisten Dörfer haben keinen Stromanschluss. Geheizt wird mit Holz.

Selbst in Russland, dem größten Erdgasproduzenten weltweit, sind zahlreiche Dörfer von der Moderne abgeschnitten. Im Winter stockt in den Städten der Nachschub. In manchen sibirischen Dörfern sieht man die Fackeln der Erdgasbohranlagen in der Ferne leuchten und muss trotzdem mit Holz heizen.

Energiearmut trifft nicht nur die Wirtschaft armer Länder und führt zu einem Verlust an Gestaltungschancen für die dort lebenden Menschen, sondern erschüttert auch die Stabilität fragiler Staaten und junger Demokratien. Die einseitige Entwicklung des exportorientierten Energiesektors geht auf Kosten anderer Sektoren der Volkswirtschaft. Dadurch wachsen bestehende soziale Unterschiede und steigen politische Spannungen. Dabei macht es meist keinen Unterschied, ob private multinationale Konzerne oder staatliche Energieunternehmen die Branche beherrschen. In Russland, dem Iran oder Venezuela ging die Verstaatlichung der Energieindustrie auch mit einem Abbau der Demokratie und einer aggressiven Außenpolitik einher.

Die beste Chance für arme Länder, der Falle Energiearmut zu entkommen, bestünde darin, ihren eigenen nachhaltigen Weg in der Energieversorgung zu gehen. Die ineffiziente Wirtschaft der am wenigsten entwickelten Länder verbraucht heute doppelt so viel Energie pro Einheit wirtschaftlicher Leistung wie die der westlichen Industrieländer. Das Energieeinsparpotenzial wäre enorm, wenn in die entsprechende technische Ausstattung investiert würde. Eine weitere Alternative zum Import teurer fossiler Energieträger wäre es, einheimische Ressourcen besser zu nutzen. In vielen landwirtschaftlich geprägten Entwicklungsländern kann Biomasse zum Heizen sowie zur Elektrizitätserzeugung und Äthanol aus Getreide als Benzinersatz genutzt werden. Wind- und Solarenergie sind vor allem für abgelegene Standorte, die durch das nationale Elektrizitätsnetz nicht erreicht werden können, eine gute Alternative. Moderne Entwicklungszusammenarbeit stellt deshalb den Zugang aller zu erschwinglicher Energie aus erneuerbaren Quellen in ihren Mittelpunkt.

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