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Alternative Erdgas
ОглавлениеGleichzeitig wird deutlich, dass auch die lange gefeierte Alternative Erdgas nicht unbegrenzt und billig zur Verfügung steht. Das Peak Gas, also der Scheitelpunkt der weltweiten Gasförderung, liegt allerdings weiter in der Zukunft als der Höhepunkt der Ölförderung. Viele Länder sind gerade erst dabei, Kraftwerke und Wärmeerzeugung von Öl oder Kohle auf Erdgas umzustellen. Erdgas hat eine Reihe von Vorteilen. Es verbrennt schadstoffarm und hat einen geringeren CO2-Gehalt pro Energieeinheit als Kohle und Öl. Viele Umweltpolitiker, die dafür eintreten, langfristig komplett auf erneuerbare Energien umzustellen, akzeptieren Erdgas als Übergangslösung. Für diese umweltpolitische Strategie stellen die neuerdings stark ansteigenden Gaspreise ein massives Problem dar.
Oftmals tritt Erdgas auf schon erschlossenen Ölfeldern auf, wurde bisher jedoch unzureichend genutzt. Vielerorts wird das austretende Erdgas weiterhin abgefackelt und erzeugt damit keine Energie, wohl aber das Treibhausgas CO2. Das Potenzial der Erdgasnutzung aus vorhandenen Quellen ist also erheblich. Seitdem die systematische Erkundung begonnen hat, werden außerdem jährlich mehrere große neue Erdgasfelder entdeckt.
Der Transport von Erdgas zum Kunden erfolgt in der Regel über Pipelines. Da es über längere Strecken immer aufwändiger wird, den Gasdruck in solchen Rohrleitungen aufrechtzuerhalten, gilt als Faustregel, dass Gaspipelines eine maximale Reichweite von 4.000 km haben. Deswegen gibt es bisher keinen globalen Gasmarkt, sondern nur regionale Netzwerke.
Das könnte sich mit dem zunehmenden Trend zur Verwendung von Flüssiggas (Liquid Natural Gas, LNG) ändern. Erdgas kann unter Druck und niedrigen Temperaturen verflüssigt werden. Der Vorteil liegt einerseits darin, dass so das Volumen des Erdgases reduziert wird. Außerdem kann es wie Öl mit Tankern zu seinem Zielort transportiert werden. Die größte Flüssiggasanlage der Welt wird momentan für den ostasiatischen Markt auf der russischen Pazifikinsel Sachalin errichtet. Von der arktischen Jamal-Halbinsel aus soll LNG mit Tankschiffen nach Nordamerika exportiert werden. Neben Europa und den ostasiatischen Staaten hätte Russland damit einen dritten Abnehmermarkt für seine Gasexporte. Auch Nigeria und Algerien setzen auf Flüssiggasexporte nach Europa. Japan und China interessieren sich besonders für den von Pipelines unabhängigen Zugang zum sauberen Erdgas.
Durch die unbegrenzte Transportfähigkeit von Flüssiggas per Tanker wird der Markt für Erdgas zum Weltmarkt. An den Küsten Nordamerikas und Ostasiens werden derzeit überall Flüssiggas-Terminals errichtet. Auf den Werften herrscht ein Auftragsboom für neue Tankschiffe.
Bisher bildet sich der Erdgaspreis nicht am Markt. Die meisten Lieferverträge sehen eine langfristige Preisbindung vor. Nur so waren die immensen Investitionen in das gigantische Pipelinenetz möglich, das beispielsweise Ost- mit Westeuropa verbindet. Enge Bündnispartner Russlands, beispielsweise das diktatorisch regierte Weißrussland, erhalten Preisnachlässe. Der Gaspreis für die Ukraine soll zwar stufenweise erhöht werden, wird aber weiterhin durch die Beimischung billigeren turkmenischen Erdgases niedrig gehalten. Ansonsten ist der an den weltweiten Spotmärkten gehandelte Gaspreis an den Ölpreis gekoppelt. Diese Koppelung wird, wenn beide Produkte zukünftig unabhängig voneinander gefördert und gehandelt werden, über kurz oder lang aufgehoben werden.
Erdgas ist wahrscheinlich der für politische Krisen anfälligste Rohstoff, der auf dem Weltmarkt gehandelt wird. Die festen Pipelines sind teuer, haben lange Bauzeiten und sind danach nicht mehr zu verlegen und umzuleiten wie ein Öltanker. Wer auf Gas setzt, setzt deswegen auf zweierlei: auf die wechselseitige Abhängigkeit von Produzent und Verbraucher sowie auf die Diversifizierung der Quellen. Europa hat das Glück, von erdgasexportierenden Ländern umgeben zu sein. Auch wenn einige osteuropäische Länder ihr Gas fast ausschließlich von Russland beziehen, so hat die EU insgesamt eine diversifizierte Versorgerstruktur. Die EU versucht außerdem, die sie umgebenden Länder nicht nur als Rohstoffimporteure zu betrachten, sondern sie Schritt für Schritt in den gemeinsamen europäischen Markt zu integrieren. Der Grundgedanke dabei ist, dass durch gegenseitige Abhängigkeit politische Zusammenarbeit und letztendlich Stabilität entsteht. Das außenpolitische Konzept der Europäischen Nachbarschaftspolitik, an dem die EU auch ihre finanziellen Hilfen für die Länder Osteuropas und Nordafrikas ausrichtet, stellt deswegen das gemeinsame Management der Energieressourcen in den Mittelpunkt.