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Peak Oil – das Ende des billigen Erdöls
ОглавлениеEin Gespenst geht um in der Energiebranche. Es nennt sich »Peak Oil« und verkündet das Ende des Ölzeitalters – oder doch zumindest das Ende der Verfügbarkeit eines billigen, scheinbar unerschöpflichen Schmierstoffs für die Weltwirtschaft. In einer Zeitungsanzeige des amerikanischen Ölkonzerns Chevron hieß es unlängst: »Wir haben 125 Jahre gebraucht, um die erste Billion (1.000 Milliarden) Barrel Öl zu verbrauchen. Die nächste Billion werden wir schon in 30 Jahren schaffen.« Gemeint ist damit die Förderung der gesamten Branche, nicht nur der Firma Chevron. Die Frage ist nur, ob die nächste nicht auch die letzte Billion ist. Mit dem Zeitpunkt und den Folgen des Peak Oil beschäftigt sich ein veritabler neuer Wissenschaftszweig. Kjell Aleklett, Physikprofessor an der Universität im schwedischen Uppsala, hat die Association for the Study of Peak Oil and Gas (ASPO) gegründet und beschäftigt sich wissenschaftlich mit diesem Thema. Aleklett veröffentlicht Nachrichten und Zeitungsartikel, die belegen, dass es mit Öl und Gas langsam, aber stetig bergab geht. In seinem Blog www.peakoil.net, einem Diskussionsforum im Internet, diskutieren Geologen, Energiehändler und Ölexplorationsexperten über ihre gemeinsame Sorge, dass das Ende des Ölzeitalter näher sein könnte, als man denkt.
Peak Oil bezeichnet den Zeitpunkt, ab dem die weltweite Gesamtförderung von Rohöl ihren Höhepunkt erreicht hat und anschließend zurückgeht. Nach Angaben der Ölgesellschaft BP reichen die geschätzten Reserven an Rohöl weitere 40 bis 50 Jahre. Seit Anfang der achtziger Jahre wird mehr Öl gefördert als neues gefunden, und die Lücke öffnet sich immer weiter. Auf vielen alten Ölfeldern lohnen sich langfristige Investitionen nicht mehr. Die alten, maroden Förderanlagen und die rostigen Tanker werden deswegen weitergenutzt, bis die Quelle versiegt ist. Dann werden sie, da das Ölzeitalter ohnehin zu Ende geht, verschrottet.
Die Reserven der verschiedenen Hauptförderländer reichen unterschiedlich lange. Während Saudi-Arabien jährlich 1,5 Prozent seiner Reserven fördert, sind es in Afrika drei und in Russland fünf Prozent. Grob gerechnet werden Russlands Ölreserven deshalb in 20 Jahren aufgebraucht sein. Hinzu kommen weitere Ressourcen, die momentan nicht unter wirtschaftlich und technisch vertretbarem Aufwand gefördert werden können. Bei steigenden Ölpreisen kann sich das aber ändern. Schließlich gibt es noch die unkonventionellen Ölquellen wie Ölschiefer und -sande, die erheblich länger reichen würden.
Das üblicherweise zitierte Verhältnis von Reserven und statistischem Verbrauch ist allerdings irreführend, da damit fälschlicherweise suggeriert wird, dass man bis zur Erschöpfung aller Reserven eine konstante Förderung aufrechterhalten könne. Wichtig ist deswegen der Zeitpunkt, ab dem die Förderung abnimmt. Die oben erwähnte ASPO glaubt, dass dieser Zeitpunkt schon 2010 erreicht sein könnte. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften rechnet mit dem Peak Oil bis zum Jahr 2025. Spätestens ab dann steht Öl als billiger und scheinbar unerschöpflicher Rohstoff nicht mehr zur Verfügung, und es beginnt die Mangelwirtschaft – oder die Suche nach Alternativen. Wichtigste Folge des Ölmangels jenseits des Peak Oil sind steigende Preise, da das Angebot die Nachfrage nicht mehr befriedigen kann. Nicht alle können diese Preise bezahlen. Sie erleben eine neue Form der Armut, die so genannte »Energiearmut«.
Die verbleibenden Vorräte konzentrieren sich wie gesagt in immer weniger Regionen. Etwa 70 Prozent der konventionellen Erdöl- und 65 Prozent der Erdgasreserven befinden sich in einem relativ eng begrenzten Gebiet. Dieses Gebiet, die sogenannte strategische Ellipse, reicht vom Nahen Osten über den kaspischen Raum bis nach Nordwest-Sibirien. Auf diesen Raum konzentrieren sich deswegen auch die Überlegungen außenpolitischer Strategen in Washington, Moskau oder Peking. Hier findet das Große Spiel (Great Game) um die letzten Ressourcen des fossilen Energiezeitalters statt. Andere Regionen, vor allem das energiearme Europa, geraten in eine immer stärkere Importabhängigkeit, sollte es ihnen nicht gelingen, die fossilen Energien durch erneuerbare Energien zu ersetzen und die Effizienz der Energienutzung drastisch zu erhöhen.
Ein illustratives Beispiel, wie das Ende des Ölzeitalters aussehen könnte, bietet das Nordseeöl. Nach dem ersten Ölpreisschock Anfang der siebziger Jahre half die Entdeckung neuer Ölvorkommen unter der Nordsee den Westeuropäern, von Importen aus den arabischen OPEC-Ländern unabhängiger zu werden. Auch wenn Öl aus der Nordsee erheblich teurer war als die Importe vom Persischen Golf, so wurde doch die Marktmacht der OPEC gebrochen. Dazu kamen neu entdeckte Ölvorkommen in Alaska. In den neunziger Jahren drängten außerdem Russland und die zentralasiatischen Staaten auf den internationalen Ölmarkt.
Heute geht die Förderung aus der Nordsee zurück. Bis 2020 werden die meisten Quellen erschöpft sein. Großbritannien ist heute schon wieder zum Nettoimporteur von Erdölprodukten und Erdgas geworden. Norwegen, die zweite Nordsee-Ölgroßmacht, erschließt Gasfelder in seinem arktischen Norden und möchte mit einer Pipeline entlang seiner Küste der Ostseepipeline und dem russischen Handel mit Flüssiggas Konkurrenz machen. Norwegen wird auf absehbare Zeit Westeuropas einziger Energieexporteur sein.
Die durchschnittlichen Kosten für die Förderung eines Barrel Rohöl sind zwischen 1995 und 2005 von fünf auf zehn US-Dollar gestiegen. Der Grund dafür ist, dass die meisten billig zu erschließenden, nah an der Oberfläche liegenden Ölquellen langsam versiegen und die Förderung in unzugänglicheren Regionen teurer ist. Auch die Kosten für die Förderausrüstung, etwa Stahl oder Bohrtürme, steigen weiter. Für die immer komplizierter und technisch anspruchsvoller werdende Ölförderung in den Tropen, unter dem Meeresboden (offshore) oder in der Arktis macht sich schon jetzt ein gravierender Mangel an Fachkräften bemerkbar. In Ländern mit schlechten Ausbildungssystemen, beispielsweise den ölexportierenden Staaten Zentral- und Südafrikas, nimmt dieser Fachkräftemangel dramatische Formen an. Dazu kommt, dass westliche Techniker und Experten wegen der schlechten Sicherheitslage nur ungern in diesen Ländern arbeiten. So werden in Nigeria Mitarbeiter internationaler Ölfirmen regelmäßig attackiert oder entführt. Die Folgen des Technikermangels sind Produktionsausfälle und eine steigende Zahl von Unfällen.
Auch die Politik hat erkannt, dass das Ölzeitalter langsam zu Ende geht. US-Präsident Bush forderte in seiner Rede an die Nation Anfang 2006 überraschend, Amerika aus seiner Ölabhängigkeit zu befreien. Bush gab sogar zu, die USA seien »süchtig nach Öl«. Das amerikanische Verteidigungsministerium lässt sich vom Papst der alternativen Energien, Amory Lovins, beraten, wie das Endspiel des Ölzeitalters gewonnen werden kann (»Winning the Oil Endgame«). Schwedens Regierung hat erstmals einen Plan vorgelegt, wie ein fortgeschrittenes Industrieland bis zum Jahr 2020 ohne Ölimporte auskommen kann. Der Energiekonzern BP nennt sich in einer Anzeigenserie nicht mehr »British Petroleum« sondern »Beyond Petroleum« – und gibt damit zu erkennen, dass er für seine Geschäfte auch jenseits des Erdöls eine Perspektive sieht. Mit Öl macht der BP-Konzern aber immer noch sein Hauptgeschäft.
Trotzdem wird weiter in die Fortsetzung des Öl- und Gaszeitalters investiert. Die IEA nimmt an, dass bis zum Jahr 2030 weltweit insgesamt 13 Billionen US-Dollar in die Zukunft der Energieversorgung fließen werden. Zu entscheiden ist nur, in welche Technologien diese Investitionen gesteckt werden. Eine der größten Ölfirmen der Welt, die britische BP, plant jährliche Investitionen von 15 Milliarden US-Dollar sowie weiteren zwei Milliarden durch ihre russische Tochterfirma TNK-BP. Mit diesem hohen Investitionsbedarf rechtfertigen die Energiemultis auch ihre Gewinnabschöpfung in Zeiten hoher Öl- und Gaspreise.
Kann der Peak Oil verschoben, kann das Ölzeitalter verlängert werden? Wenn man die ganzseitigen Anzeigen studiert, die Firmen wie Chevron und Shell zum Thema Peak Oil geschaltet haben, dann lautet die Antwort »Ja«. Die Frage aber ist: um welchen Preis?