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EINLEITUNG WAS IST ENERGIESICHERHEIT?
ОглавлениеWas ist Energiesicherheit? Die Bundesregierung und die Europäische Kommission verstehen darunter die Bereitstellung von preisgünstiger, verlässlicher und umweltfreundlicher Energie. Auf diese allgemeine Definition könnte man sich ohne Weiteres einigen. Doch der Teufel steckt wie üblich im Detail. Was eigentlich bedeutet eine verlässliche Energieversorgung? Welchen Preis, sowohl finanziell als auch politisch, sind wir bereit, dafür zu zahlen? Und wie wird sichergestellt, dass beim Zugriff auf Energieressourcen die Belange des Umweltschutzes, aber auch Transparenz, Menschenrechte und Demokratie nicht unter den Tisch fallen? Hierum geht es in der aktuellen politischen Debatte: welcher Weg zu mehr Energiesicherheit der richtige ist.
An der Energiefrage lässt sich aber auch zeigen, wie sich die Außenpolitik im 21. Jahrhundert verändert hat. Bei der Suche nach Öl, Geld und Macht scheint für die edlen Prinzipien des Völkerrechts und für das feinziselierte Instrumentarium der internationalen Diplomatie kein Platz mehr zu sein. Der Kampf um die letzten Ressourcen wird mit harten Bandagen ausgetragen; die Sicherung der nationalen Energieversorgung ist für jedes Land knallharte Realpolitik. Bündnisse werden nicht mit denjenigen geschlossen, die man mag, sondern mit denen, die man braucht. Das vorliegende Buch beschreibt, wie sich die Machtverhältnisse der Welt schon heute entlang der Frage verschieben, wer die verbleibenden Energieressourcen und den Zugang zum Weltmarkt kontrolliert. Es zeigt auf, wie die Politik reagieren muss, um die sich abzeichnenden Ressourcenkonflikte kooperativ und friedlich zu lösen.
Russland, China, die Europäische Union und natürlich die USA sind die vier Hauptakteure, die sich im Großen Spiel des 21. Jahrhunderts gegenüberstehen. Anders als beim »Great Game« des 19. Jahrhunderts, als Russland und England in den Wettlauf um die Kontrolle Zentralasiens traten, handelt es sich heute nicht ausschließlich um ein Ringen um politische und wirtschaftliche Einflusszonen. Es geht auch darum, welche Spielregeln auf den Energiemärkten im Besonderen und in der Welt von morgen im Allgemeinen gelten sollen. Dabei stehen sich zwei Philosophien gegenüber: eine neue Großmachtpolitik, wie sie die USA durch die militärische und politische Neuordnung des Nahen Ostens, wie sie Russland und China durch die expansive Politik ihrer staatlichen Energiekonzerne in Afrika und Zentralasien betreiben; oder eine Politik, die – um Ressourcenkonflikte zu entschärfen – auf Klimaschutz, Energieeinsparung, erneuerbare Energien und internationale Kooperation setzt.
Russland hat eine Schlüsselstellung für die zukünftige Energieversorgung Europas und Asiens. Deswegen ist es wichtig, zu verstehen, wohin Russland steuert und wer die Männer sind, die zurzeit im Kreml das Sagen haben. Russlands innenpolitische Entwicklung hat auch Auswirkungen auf sein Verhalten gegenüber seinen Nachbarn und dem Rest der Welt. Wie zu Sowjetzeiten gehen eine immer autokratischere Innen- und eine imperiale Außenpolitik Hand in Hand. Dabei setzt die neue russische Großmachtpolitik auf die Macht von Gazprom, nicht auf die Waffen der Roten Armee. Die Europäische Union muss sich entscheiden, wie sie mit dem unheimlichen Koloss in ihrer Nachbarschaft umgehen will. Wird Russland zum strategischen Partner, wie es in den wohllautenden Erklärungen europäischer Gipfeltreffen immer heißt, oder wächst im Osten ein Konkurrent und Gegner heran, gegen den Europa sich politisch und wirtschaftlich rüsten muss?
Auch für China und Indien, die beiden aufstrebenden Mächte des 21. Jahrhunderts, gehören Energie- und Außenpolitik eng zusammen. Die Region und ihr dynamisches Wirtschaftswachstum sind höchst abhängig von Energieimporten, sowohl aus dem Nahen Osten als auch aus Russland und Zentralasien. Die asiatischen Schwellenländer und ihre Ökonomien reagieren deshalb auf Krisen und Kriege in diesen Regionen höchst empfindlich.
Die meisten Öl- und Gasvorkommen in der Region selbst liegen unter dem Meeresspiegel. Die Oberhoheit über diese Gebiete ist heiß umkämpft und sorgt dafür, dass die Spannungen zwischen China und seinen Nachbarn steigen und regionale Kooperation auf anderen Gebieten erschwert wird. Chinas staatliche Ölkonzerne drängen zudem mit hoher Aggressivität auf den Weltmarkt, ohne Rücksicht auf Umweltprobleme und Menschenrechte zu nehmen.
Die Europäische Union ist die größte Wirtschaftsmacht der Welt, verfolgt aber bisher keine eigenständige Energiepolitik. Ohne eine gemeinsame europäische Energiepolitik kann es aber auch keine überzeugende EU-Außenpolitik geben. Sonst bleibt die EU in einer zentralen ökonomischen Überlebensfrage erpressbar. Da Europa auf absehbare Zeit von Energieexporten aus seiner südlichen und östlichen Nachbarschaft abhängig sein wird, darf die gemeinsame Energiepolitik sich nicht auf die EU im engeren Sinne beschränken, sondern muss die angrenzenden Länder Osteuropas sowie des Nahen und Mittleren Ostens einbeziehen. Entscheidend dabei ist das Verhältnis der EU zu Russland. So wie Russland den Doppelkontinent Eurasien geografisch verbindet, so verknüpfen der Energietransport und Handel Eurasien nicht nur wirtschaftlich, sondern zunehmend auch politisch miteinander. Weitere Schlüsselländer sind dabei die Ukraine, die Türkei und die Staaten des südlichen Kaukasus. Sie dienen als politische Brücke und Transitländer für den Energieimport in die EU. Deshalb müssen diese Länder politisch und wirtschaftlich stärker an die EU herangeführt werden.
Europas Energiepolitik muss aber auch Alternativen zu der wachsenden Abhängigkeit von Energieimporten aus seinen Nachbarregionen entwickeln. Dazu gehört, die Energieeffizienz der europäischen Wirtschaft weiter zu verbessern und die Führungsrolle des alten Kontinents bei den erneuerbaren Energien weiter auszubauen.
Auf der Suche nach den letzten Öl- und Gasvorkommen des Planeten geraten sowohl Umwelt als auch Demokratie unter Druck. In der Arktis, auf den Weltmeeren, in tropischen und nordischen Wäldern wird bisher unberührte Natur durch den Rohstoffabbau bedroht. Für den Transport von Öl und Gas werden neue Schneisen durch Gebirge, Eis und Wälder geschlagen. Giftige Abfälle und Unfälle bedrohen einheimische Tier- und Pflanzenarten und entziehen der einheimischen Land- und Jagdwirtschaft damit die Grundlage. Die Menschen vor Ort werden meist nicht gefragt, wenn das Energieministerium aus der Hauptstadt oder der multinationale Ölkonzern aus dem Ausland bei ihnen bauen und investieren.
Wo das Öl regiert, kommt die lokale Mitbestimmung meist zu kurz. Die Verletzung von Menschenrechten und die Störung traditioneller Lebensweisen der einheimischen Bevölkerung führen zu sozialen Konflikten und politischer Instabilität. Die Interessenvertretungen indigener Völker und internationale Umweltverbände werden bei ihrem Versuch, der Kolonisierung der letzten Naturparadiese durch die internationalen Energiekonzerne Einhalt zu gebieten, von den Regierungen oft alleingelassen.
Wenn das Zeitalter der fossilen Energien wirklich zu Ende geht, stellt sich – vielleicht schneller als gedacht – die Frage, was danach kommt. Nicht jeder Tropfen Öl, nicht jeder Kubikmeter Gas und nicht alle Kohle werden noch gefördert werden. Natürliche Herausforderungen und politische Krisen machen die Erschließung der verbleibenden fossilen Ressourcen schwieriger und teurer. Gerade die Ärmsten der Welt sind deshalb die Hauptbetroffenen. Sie werden ihre Öl- und Gasrechnung in Zukunft schlicht nicht mehr bezahlen können. Deswegen sucht die Energiewirtschaft mit Hochdruck nach Alternativen. Dabei stehen sich zwei Strategien diametral gegenüber: der verstärkte Ausbau der Atomenergie, eventuell ergänzt durch futuristische Fusionsreaktoren, einerseits sowie eine anspruchsvolle Klimaschutzpolitik, die auf Energieeinsparung und erneuerbare Energien setzt, andererseits. Im Zeitalter des internationalen Terrorismus steigt jedoch auch die Sorge vor der nuklearen Proliferation. Nicht nur aus umwelt-, sondern auch aus sicherheitspolitischer Sicht gehört den erneuerbaren Energien deshalb die Zukunft.
Doch die Wende »Weg vom Öl« erfordert nicht nur entsprechende betriebswirtschaftliche Weichenstellungen der einzelnen Energieunternehmen sowie eine volkswirtschaftliche Entscheidung jedes Staates über seinen Energiemix; sie kann letztendlich nur durch internationale Kooperation geleistet werden: durch eine internationale Energiediplomatie.
Die Menschheit steht vor der Alternative, ob die Entscheidung über ihre gemeinsame Energiezukunft friedlich fällt oder ob in naher Zukunft Ressourcenkriege drohen. Das Gefüge völkerrechtlicher Verträge und Institutionen, die den Bereich der internationalen Energiepolitik regeln, ist jedoch noch lückenhaft. Eine neue Weltumweltorganisation und eine Agentur zur Förderung erneuerbarer Energien könnten etablierte Einrichtungen wie die Internationale Energieagentur ersetzen.
Wie sieht also eine weltweite Energiepolitik aus, in der nicht das Recht des Stärkeren, sondern die Stärke des Rechts regiert? Wie können knapper werdende Ressourcen gemeinsam bewirtschaftet und Ressourcenkriege abgewendet werden? Wie kann verhindert werden, dass beim Zugriff auf die letzten Rohstoffe unberührte Naturräume unwiederbringlich zerstört werden? Und wie sieht letztendlich eine internationale Energiepolitik aus, die nicht nur sichere, preiswerte Energie zur Verfügung stellt, sondern auch die Menschheitsfrage des Klimaschutzes beantwortet?