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Was ist toxische Männlichkeit?
ОглавлениеToxische Männlichkeit beschreibt problematische Einstellungen, Denk- und Verhaltensweisen, die sozialisationsbedingt an die traditionelle Männerrolle gekoppelt und eng mit patriarchalen Strukturen und hegemonialer Männlichkeit verknüpft sind und mit denen Jungen und Männer anderen und/oder sich selbst kurzfristig, mittelfristig oder auch langfristig schaden, andere diskriminieren, ausschließen und benachteiligen.
Die bereits vorgestellten Aspekte männlicher Sozialisation bereiten den Nährboden für toxisches Verhalten von Jungen und Männern oder sind bereits toxisch. Zunächst eine gute Nachricht: Da Geschlecht vor allem eine soziale Kategorie ist, kann toxische Männlichkeit, also problematische Denk-, Verhaltens- und Präsentationsweisen, aufgrund männlicher Sozialisation auch verändert werden.
Zusammenfassend ist zu sagen, dass ein Teil toxischer Männlichkeit der übergriffige und gewalttätige Umgang mit anderen ist: Aus der Unterdrückung von Emotionen und dem daraus resultierend nicht gelernten Umgang mit diesen sowie aus dem häufigen Fehlen von gewaltfreien Lösungsstrategien resultieren Wut, Frustration und Ohnmachtsgefühle. Aus der Kombination mit Aggressionen und dem Wunsch, der männlichen Rolle zu entsprechen, Privilegien zu erhalten, die andere nicht haben dürfen, um sich selber aufzuwerten sowie alles Unmännliche abzustoßen, resultieren Übergriffe und Gewalt gegen Frauen sowie gegen alle anderen.
Zudem richten sich die Aggressionen auch gegen die Männer selbst und gegen andere Männer. Vermeintlich männliche Attribute, wie Härte, andere Menschen einschüchtern, Wettkampf, sich vergleichen und sich täglich mit anderen messen sowie ein stetiges Konkurrenzdenken, stehen im Mittelpunkt. Ziel für Männer ist es, permanent der Beste zu sein, Kontrolle zu gewinnen und diese zu behalten, nicht nachzugeben und keine Fehler einzugestehen. Dies wird versucht zu erreichen durch Leistungsfähigkeit, Belästigung und Grenzen ignorierendes Verhalten, Abwertung anderer, Raumaneignung, (sexuelle) Gewalt, risikoreiches Verhalten, Objektivierung und Sexualisierung, Bedrohung und Einschüchterung auch durch das Unterbrechen von Frauen, die eigene Präsentation als Allwissender oder das Ausgeben der Ideen von Frauen als die eigenen.
Guido Zurstiege (2001, S. 202) schreibt: „Einen Schritt weiter gehen einige Vertreter sowohl der angloamerikanischen als auch der deutschen Männerforschung, die die momentan vorherrschende Männerideologie als schädlich für alle Männer ansehen.“
Toxische Männlichkeit ist zu unterteilen in strukturelle sowie in individuelle Aspekte:
Strukturell bedeutet, dass die patriarchalen Strukturen hegemoniale Männlichkeit produzieren und somit Männer in allen Lebensbereichen bevorzugen, während Frauen strukturell benachteiligt werden.
Frauen verdienen weniger als Männer und erhalten ferner seltener die Möglichkeit, in eine Führungsposition zu gelangen oder werden am Arbeitsplatz diskriminiert, beispielsweise weil sie Kinder haben oder welche bekommen könnten.
Individuell bedeutet, dass Männer individuell übergriffig werden, Frauen (und andere marginalisierte Gruppen) abwerten, andere (sexuell) belästigen und benachteiligen, gewalttätig werden, sich nicht um sich und ihre körperliche und psychische Gesundheit kümmern, Raum einnehmen, der ihnen nicht zusteht oder (Ex-)Partnerinnen mit Kindern, Care-Arbeit und Haushalt alleine lassen. Es steht die individuelle Entscheidung und Tat des Einzelnen im Fokus.
Individuelle und strukturelle Anteile bedingen sich dabei gegenseitig und existieren in einer Wechselwirkung: Patriarchale Strukturen erschaffen eine hegemoniale, toxische individuelle Männlichkeit, jedoch sind es wiederum eben diese individuellen Anteile von Männern und die daraus hervorgehenden bewussten Entscheidungen – beispielsweise Männer in Einstellungsverfahren zu bevorzugen und Frauen zu benachteiligen –, die strukturelle patriarchale Bedingungen (re-)produzieren. Durch gesellschaftliche Vorstellungen und die tägliche (Re)Produktion von Geschlechterstereotypen, eingebettet in eine patriarchale Gesellschaft, wird männliches Verhalten, das dazu dient, Ambivalenzen und Unsicherheiten auszuhalten und zu kompensieren und von den mit Männlichkeit einhergehenden Privilegien zu profitieren, toxisch.
Simmel (1985, S. 201 in Döge/Meuser 2001, S. 11 f.) bringt es auf den Punkt: Er verweist auf den Zusammenhang zwischen Herren und Sklaven in Bezug auf Geschlechterverhältnisse. Es gehört „zu den Privilegien des Herrn, dass er nicht immer daran zu denken braucht, dass er Herr ist, während die Position des Sklaven dafür sorgt, dass er seine Position nie vergisst.“
Da toxische Männlichkeit Denk- und Verhaltensmuster von Männern negativ prägt und einen enormen gesellschaftlichen Schaden anrichtet, wird dringend eine psychologische und therapeutische Auseinandersetzung mit dem Thema benötigt. In den USA veröffentlichte im Jahr 2018 der nordamerikanische Psychologenverband „American Psychological Association“ (APA) erste Richtlinien für die Auseinandersetzung mit problematischen männlichen Geschlechterstereotypen (vgl. APA 2018). „Die Psychologen warnen darin: ‚Beschränkte Vorstellungen von Männlichkeit, die Aggressivität, Homophobie und Frauenfeindlichkeit betonen, können Jungs dazu veranlassen, einen Großteil ihrer Energie in schädliches Verhalten umzulenken, wie Mobbing, Spott gegenüber Homosexuellen oder sexuelle Belästigung – und nicht in gesunde schulische und außerschulische Aktivitäten.‘ Männlichkeit sei dann schädlich, so die Psychologen, wenn sie die eigene Stärke überhöht, Frauen und andere Männer, die nicht den Rollenklischees entsprechen, hingegen abwertet. Die Geschlechterforschung hat dafür den Begriff ‚toxische Männlichkeit‘ geprägt, was letztlich meint, dass die Art und Weise, wie Männlichkeit definiert und ausgelebt wird, allen schadet: Frauen, der Gesellschaft – aber vor allem auch Männern selbst. Männlich zu sein heißt in diesem Weltbild: keine Schwäche zeigen, Emotionen im Griff haben. Wut ist erlaubt, Fürsorge und Verletzlichkeit haben wenig Platz, stattdessen muss Männlichkeit immer wieder neu unter Beweis gestellt werden, körperlich und geistig, im ewigen Kräftemessen des Leistungskapitalismus – im Job wie im Privaten. Ein Mann muss risikobereit sein, mutig und stark.“ (Dörr 2019)
Robert Connell (vgl. 2000, S. 98) hat das Verhalten von Männern gegenüber anderen in vier Kategorien eingeteilt: Hegemonie (Männer, die Zugang zur patriarchalen Macht besitzen – dies sind in der Regel weiße heterosexuelle Männer), Unterordnung (Männer, die die hegemoniale Männlichkeit untergraben könnten, wie Männer mit vermeintlich weiblichen Eigenschaften oder homosexuelle Männer), Komplizenschaft (Männer, auch wenn sie nicht der aktuellen Norm männlicher Vorstellung entsprechen, profitieren von der patriarchalen Dividende – sie gehen aber daraus resultierend teilweise Kompromisse mit Frauen ein) sowie Marginalisierung (Männer, die zwar vom Patriarchat profitieren, selber aber auch Diskriminierungen beispielsweise aufgrund ihrer Hautfarbe erleben (Schwarze Menschen/People of Color).