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Kapitel 12 - PAULINES GEHEIMNIS

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PAULINE.

Das erste, das ich sah, als ich aus meiner Ohnmacht erwachte, war das schmale, lange Gesicht von Mendrick. Er musterte mich sorgenvoll. "Wie fühlst du dich?", fragte er. Ich setzte mich langsam auf. Ein bisschen drehte sich noch alles. "Es geht schon", sagte ich. In diesem Moment durchfuhr ein stechender Schmerz meinen rechten Arm und ich ächzte auf. Erst jetzt riskierte ich einen Blick auf die Stelle, wo mich der Fluchzauber gestreift hatte. Die Haut rund um die Wunde herum wirkte abgestorben und grau. Die Wunde selbst war purpurrot und brannte entsetzlich. "Wo sind wir eigentlich?", brachte ich hervor. "Im Zigeunerlager", sagte die dunkelhaarige, zierliche Frau, die bei uns saß. "Ich bin Lundira, Shamandras Mutter." Sie wandte sich an Erwin und Mendrick. "Ihr solltet schleunigst zusehen, dass ihr irgendwo Zauberstäbe ergattert. Die Silberhirschfettsalbe hilft nur vorübergehend." - "Es gibt einen Zauberstabladen am Fuße des Wollhügels, so weit ich weiß", meinte Shamandra, "vielleicht findet ihr dort etwas Passendes." - "In unserem jetzigen Aufzug können wir allerdings nirgends hingehen", warf Erwin ein, "man würde uns womöglich erkennen." - "Zieht doch Kleider von uns an", schlug Lundira vor. So geschah es auch. Mendrick und Erwin sahen in den bunten Zigeunerklamotten wirklich fremd und ungewöhnlich aus. Erwin hatte man seinen Schnauzbart abrasiert, was ihn jünger wirken ließ. Die Schmerzen in meinem Arm hatten nachgelassen, bewegen konnte ich ihn aber immer noch nicht. "Lasst uns aufbrechen", sagte Mendrick, "je früher wir an Zauberstäbe kommen, desto besser. Die Zauberei im Kerker war mir nicht ganz geheuer." Ich sagte nichts. Shamandra begleitete Erwin und Mendrick, während Yuri im Lager blieb. Lundira brachte uns dicke Decken aus Gänsedaunen, denn es war kälter geworden. Schnee war am heutigen Tag aber noch nicht gefallen. "Wo übernachtest du mit deinem Mann und Shamandra, wenn wir euer Zelt haben?", fragte Yuri. "Keine Sorge", antwortete Lundira, "wir schlafen einfach bei meinem Bruder und seiner Frau im Zelt, das ist in Ordnung so. Wenn ihr etwas braucht, meldet euch." Sie ließ uns allein im Zelt zurück. Yuri trug noch etwas Salbe auf meinen verwundeten Arm auf und schien dabei jeden Blickkontakt mit mir zu vermeiden. Ich hatte das Gefühl, dass ihm irgendetwas auf dem Herzen lag. "Bedrückt dich etwas, Yuri?", wollte ich wissen. Die Salbe kühlte meine brennende Wunde. "Um ehrlich zu sein, gibt es da tatsächlich was, worüber ich die ganze Zeit nachgedacht habe", erwiderte Yuri. "Und das wäre?", fragte ich. "Du", sagte er, "ich habe über dich nachgedacht." - "Über mich?" - "Ja." Jetzt sahen mich seine türkisgrünen, mandelförmigen Augen direkt an. "Du warst das im Kerker", sagte er schließlich. Mein Gesicht wurde heiß. "Was meinst du? Ich weiß nicht, wovon du sprichst." - "Nicht Mendrick hat die Gitterstäbe des Fensters zum Bersten gebracht. Du bist das gewesen." - "Du redest Unsinn! Ich bin ja keine Zauberin, Yuri…" - "Nein. Eine Hexe." Mein Herz hörte für einen kurzen Augenblick auf zu schlagen. "Nein", beteuerte ich dann hastig, "das bin ich nicht." - "Ich weiß aber, dass du eine bist, Pauline." Meine Hände wurden schwitzig, so angespannt war ich. "Ich habe gesehen, dass du es warst, die den Zauber vollbracht hat", sagte Yuri ruhig, "es war deine magische Energie, die übergesprungen ist. Nicht Mendricks." - "Woher willst du das wissen?" - "Ich sah es in deinen Augen, Pauline. Augen lügen nicht." Ich wandte mich ab. "Das ist doch Unsinn." - "Sieh mich an und sag mir ins Gesicht, dass ich unrecht habe. Dann werde ich nie wieder ein Wort darüber verlieren." Ich schüttelte nur den Kopf. "Mach schon, Pauline", sagte Yuri, "du würdest mich doch nicht anlügen, nicht wahr?" Jetzt sah ich ihn an. "Nein", sagte ich. "Also", antwortete er, "ich denke, dass du eine Hexe bist. Ich denke, du hast die Gitterstäbe im Kerker zerbrochen. Ist es so oder ist es nicht so?" Mir war ganz flau im Magen. "Es ist so", wisperte ich schließlich. Danach senkte ich den Blick. Ich hatte es gesagt. Ich hatte es tatsächlich gesagt. Einen Moment lang schwiegen wir. Dann fragte Yuri: "Wieso hast du das nie erzählt?" - "Weil ich nie eine Hexe sein wollte." Yuri legte den Kopf schief. "Warum nicht? Du müsstest stolz auf deine Gabe sein." Meine Muskeln spannten sich an. "Nein", sagte ich entschieden, "ich will nicht stolz sein! Wozu denn stolz darauf sein, dass ich so bin wie sie?" Yuri zog die Augenbrauen hoch. "Wie wer?" Ich holte tief Luft. "Die Schneekönigin." Yuri schüttelte den Kopf. "Du bist nicht wie sie." - "Doch, das bin ich! Ich trage dieselben Hexenkräfte in mir! Es gibt Kräuterhexen, Lufthexen, Berghexen… aber ich, ich bin eine Eishexe, Yuri, verstehst du? Ich bin ebenso eine Kalte Hexe wie sie es ist." - "Du bist nicht wie sie", wiederholte Yuri sanft, "du gebrauchst deine Kraft im Gegensatz zu ihr nicht, um Böses zu tun." Mir schossen die Tränen in die Augen. "Trotzdem wollte ich nie eine Hexe sein! Ich habe mir geschworen, diese Kräfte nie einzusetzen!" - "Du solltest nicht verleugnen, was du bist. Wer du bist." Ich presste die Lippen aufeinander und drehte Yuri den Rücken zu. Stille. "Weiß Mendrick davon?", fragte Yuri dann leise. "Nein", erwiderte ich dumpf, "du weißt doch, wie schlecht Mendrick über Hexen spricht und was er von ihnen hält." - "Aber wieso verbrachte er dann so viele, lange Abende bei Kräuterhexe Pau?" - "Yuri, das war einzig und allein wegen der Waldnymphe." - "Was ist mit Kimama? Weiß sie von deinen Kräften?" - "Nein. Niemand weiß davon. Außer dir." Ich seufzte tief. "Ich glaube, ich habe die Hexenkraft von meiner Mutter Orenda geerbt. Sie starb bei meiner Geburt und gab sie an mich weiter. Das weiß aber nur ich. Nie hat jemand mit so etwas gerechnet, denn meine Mutter hat ihre Kraft nie einsetzen können, weil sie all die Zeit ihres Lebens an einer schlimmen Krankheit litt. Es war eine Art Knochenkrankheit... sie besaß Knochen wie aus Glas. Bei jeder zu schnellen oder zu großen Bewegung, bei jedem Stolpern, jedem Laufen, war die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass sie sich dabei etwas brach. Also musste sie äußerst vorsichtig sein, durfte sich kaum bewegen und verließ nur selten die Hütte. Aber sie trug wohl magische Energie in sich und hat sie bei meiner Geburt auf mich übertragen. Zumindest vermute ich das. Woher sonst hätte ich diese Kräfte bekommen sollen?" Ich seufzte noch einmal. "Na, jedenfalls habe ich irgendwann bemerkt, dass ich anders war als die anderen, schon als Kind. Ich wollte aber nicht anders sein, ich wollte normal sein. Also fing ich an, meine Kräfte zu verleugnen und zu unterdrücken, bis ich sie irgendwann überhaupt nicht mehr spüren und einsetzen konnte. Aber dann... kamst du." Ich sah Yuri nicht an, spürte aber deutlich in meinem Rücken, dass er mich jetzt anstarrte. "Wie meinst du das?", fragte er. "Nun", sagte ich leise, "irgendwie musste man dich ja aus dem Königsschloss rausholen..." - "Du bist also der Grund, warum ich entkommen konnte… du hast mich befreit…" Ich wagte nicht, ihn anzusehen. "Ja", erwiderte ich kleinlaut. "Wie?", fragte er, mit ebenso gedämpfter Stimme. "Kannst du dich denn wirklich gar nicht mehr daran erinnern?", antwortete ich. Yuri zuckte mit den Schultern. "Das letzte, woran ich mich erinnere, ist, dass einer der Wachen Alarm geschlagen hat, und dann hat mir irgendjemand mit einem Knüppel auf den Hinterkopf geschlagen - vermutlich, damit ich während des Aufruhrs nicht entwischen konnte. Ich wurde ohnmächtig und wachte in deinen Armen wieder auf. Das ist alles, was ich noch weiß." Er pausierte kurz. Dann sah er mich an. "Wie konntest du mich befreien, Pauline?" - "Ich... ich weiß nicht... ich meine, ich wusste ja nicht, ob meine Kräfte überhaupt noch funktionieren würden. Aber der Gedanke an dich… der Gedanke daran, dass hinter diesen weißen, kalten Mauern aus Eis die einzige Hoffnung unseres Volkes liegt… die einzige Möglichkeit, Sternland wieder zu einem Ort voller Frieden und Herzlichkeit zu machen... dieser Gedanke hat mich dazu gebracht, meine Kräfte hervorzurufen und die Kerkermauer zu durchbrechen. Zuerst hab ich einfach mit meinen Fäusten dagegen getrommelt. Das hat natürlich nichts gebracht. Also versuchte ich es mit einem Eisenstab, den Mendrick und ich zuvor einem Modorok-Soldaten abgenommen hatten. Das half auch nichts. Ich wollte aufgeben und fing aus Enttäuschung, aus Trauer und unbändiger Wut zu weinen an. Verzweifelt presste ich meine Hände und meine Stirn an die Mauer… und plötzlich war der Gedanke an dich ganz klar… und von da an ging alles ganz schnell. Ich weiß nur noch, dass es überall in meinem Körper gekribbelt hat… zuerst ganz kalt, und dann heiß… als wäre eine Welle durch jeden einzelnen meiner Muskeln gerauscht. Und plötzlich stand ich vor der aufgebrochenen Mauer." Wieder Schweigen. Mein Herz klopfte mir bis zum Hals. Ich zögerte kurz und wandte mich dann doch zu Yuri um. Seine Augen waren glasig. "Alles in Ordnung?", fragte ich vorsichtig. Er starrte ins Leere. "Niemand sonst hätte mich befreien können", sagte er, "nur eine Hexe, die dieselben Kräfte in sich trägt wie die Schneekönigin ist anscheinend dazu fähig, ihre Schlossmauern zu durchbrechen... ja, jetzt ergibt auch alles einen Sinn! Die Wachen sprachen von dem Bann, den die Schneekönigin über das Schloss gelegt hat… damit auch niemand ungewollt hinein oder hinaus kommt. Sie hat wohl vermutet, sie wäre die einzige Eishexe im Land…" Er erwachte aus seiner Starre und warf sich um meinen Hals. Ein Stich fuhr durch meinen Arm und ich biss die Zähne zusammen. "Du hast mich gerettet, Pauline… du bist dazu bestimmt worden, den Auserwählten zu befreien… deswegen musste deine Mutter sterben… damit sie ihre Kräfte an dich weitergeben konnte… denn nur durch ihren Tod war es möglich, die magische Energie aus ihrem kranken Körper in deinen gesunden übergehen zu lassen…" Tränen liefen über meine Wangen. Ich spürte Yuris Herzschlag und seine Finger, die sich in meinen Nacken krallten. "Ja", flüsterte ich, "vielleicht war es so bestimmt." Yuri ließ mich los und blickte mich mit großen Augen an. "Natürlich war es so bestimmt! So musste es sein, so und nicht anders! Und gerade deshalb solltest du deine Kräfte als Gabe ansehen und nicht als Fluch!" Ich wischte mir die Tränen vom Gesicht und erwiderte: "Bitte behalte mein Geheimnis trotzdem für dich." - "Pauline, was redest du da? Du musst Mendrick davon erzählen! Stell dir vor, wie gezielt ihr gegen die feindlichen Truppen vorgehen könntet, wenn ihr mit vereinten Kräften gegen sie kämpft!" - "Yuri, bitte, ich muss darüber nachdenken!" Ich senkte die Stimme. Mein Hals war staubtrocken. "Lass mich erst noch darüber nachdenken." Yuri nickte. "In Ordnung." Ich war geschwächt. Mein Arm hatte wieder zu schmerzen begonnen. Ich ließ mich auf die Daunendecke nieder und schloss die Augen.

Yuri

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