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Kapitel 4 - WEISSER WOLF

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MENDRICK.

Ich hatte mich von Madame Pau und Gwendolin verabschiedet und war gerade die Strickleiter hoch geklettert, als ich aus der Ferne hysterische Schreie vernahm. Mir lief ein Schauer über den Rücken. Das Dorf!, schoss es mir durch den Kopf. Mein nächster Gedanke galt Pauline und Kimama, und ich zog augenblicklich meinen Zauberstab aus der Mantelinnentasche und eilte in Richtung Teich und Fischerdorf.

Zauberer meiner Art benutzten keine Beschwörungsformeln oder Sprüche, wenn sie Magie anwenden. Mein Vater hatte es vorgezogen, mich nach der Zauberkunst Gandulfs zu unterrichten, dem größten Kampfmagier der Geschichte. Die Gandulf'sche Kunst bestand darin, magische Energie nicht etwa durch Zaubersprüche, sondern durch mentale Kraft zu erwecken und diese dann über den Zauberstab nach außen zu leiten. Es bedurfte jahrelangem Training, um dies zu erlernen, denn mental waren Zauberkräfte viel schwieriger zu kontrollieren als über Sprachformeln – man musste stets hochkonzentriert und mit sich selbst im Einklang sein, um den Status eines wahren Gandulf'schen Meisterzauberers zu erreichen.

Nun, ich war noch lange kein Gandulf'scher Meisterzauberer, so wie mein Vater Balthaszar. Aber meine Kräfte sollten ausreichen, um einigen Modorok-Soldaten eine Lektion zu erteilen.

Ich stürmte ins Dorf und war entsetzt beim Anblick der brennenden Hütten und wild durcheinander laufenden Menschen. Dazwischen tummelten sich die Modoroks auf ihren Rössern und unser Vieh, das großteils in den tieferen Wald floh. Ich atmete tief durch, um kurz in mir selbst Ruhe zu finden, und feuerte dann einen Schutzzauber ab, der sich daraufhin über einige, noch wenig brennende oder gar verschonte Dächer ausbreitete und die Feuerfackeln, die die Modoroks durch die Gegend warfen, eine Zeit lang abhalten sollte. Ich entdeckte Pauline unter den aufgebrachten Dorfleuten und lief auf sie zu. Sie schien über jemandem zu knien. Tränen brachen wie Wasserfälle aus ihren Augen hervor, als sie mich sah. "Mendrick! Schnell! Kimama!", rief sie. Ich erblickte Kimama, die Blut überströmt im Schnee lag. Erschrocken fiel zu Pauline auf die Knie. "Sie atmet noch", stieß Pauline hervor, "aber sie erwacht einfach nicht aus ihrer Ohnmacht!" Die Wunde auf Kimamas Stirn sah auf den ersten Blick sehr schlimm aus, aber als ich mit einem Ball aus Schnee vorsichtig das Blut wegwischte, war zu erkennen, dass es sich zum Glück um eine relativ kleine Platzwunde handelte, die sich zumindest nicht entzündet hatte. "Mendrick!", kreischte Pauline auf. Ich folgte ihrem Blick und bemerkte den Modorok, der sich uns hoch zu Ross näherte. Ich zückte meinen Zauberstab und schleuderte ihm einen Schockzauber entgegen, der für knappe zehn Sekunden sein gesamtes Nervensystem lahm legte und ihn wie einen Sack Kartoffeln von seinem Pferde herunterfallen ließ. "Verdammter Verräter", stöhnte er hervor. Ich verzog die Mundwinkel zu einem Grinsen. "Gestatten? Mendrick, Zauberer, Sohn des Balthaszar aus Abeytu, nicht wie die anderen meinesgleichen daran interessiert, sich der Kalten Hexe zu unterwerfen. " - "Schneekönigin", knurrte der Soldat und wand sich am Boden hin und her. "Ich pfeife auf deine Schneekönigin", gab ich zurück und versetzte ihm einen Tritt in den Magen. Er ächzte und blieb liegen. Zwei weitere Soldaten, denen unser Zusammentreffen nicht entgangen war, setzten zum Angriff an. Ich attackierte sie mit einem Glühwurm, einem Zauber, der sich blindschleichenartig in einem grellen Grün vor ihren Augen hin und her bewegte und ihr Sehvermögen behinderte. Ihre Versuche, den Zauber mit wilden Handbewegungen von ihrem Gesicht zu verscheuchen, führten nur dazu, dass sie die Kontrolle über ihre Pferde, die durch ihr Verhalten irritiert waren, verloren und die Tiere Hals über Kopf mit ihnen davon galoppierten. "Was... ist passiert?", erklang eine schwache, vertraute Stimme. Ich wandte mich um. "Kimama! Du bist wach!" Pauline schlang ihre Arme um ihre Großmutter. "Nicht so fest", stöhnte diese, "mir tut... alles irgendwie... weh... mein Kopf..." Wir halfen ihr auf die Beine und stützten sie. Hektisch suchte mein Blick die Umgebung ab. "Wo ist eigentlich Yuri?" - "Den hat der Anführer mit aufs Pferd genommen", stöhnte Pauline, "und ich hab sie aus den Augen verloren..." - "Die schnappe ich mir. Ihr beide versteckt euch. Da, hinter der Herrenhütte! Die ist durch meinen Schutzzauber geschützt. Ich kümmere mich um Yuri."

Ich fand den Anführer der Modoroks beim Dorfausgang. Er hatte gerade Peadir, unserem stärksten Krieger, der Yuri zu Hilfe kommen wollte, einen gewaltigen Schwerthieb verpasst. Peadir ging zu Boden. Yuri schrie. Ich attackierte den Modorok mit zwei glühenden Zauberfunken, die sich um seine Hand schlangen und ihn veranlassten, sein Schwert vor Schmerz fallen zu lassen. "Zauberer", stieß er hervor, beugte sich zu mir hinunter und verzog das Gesicht zu einer wütenden Fratze. Ich fuchtelte mit dem Zauberstab vor seinen Augen herum. "Soll ich weitermachen damit oder lasst Ihr und Eure Kameraden uns jetzt endlich in Ruhe?" Er sprang von seinem Pferd, verpasste mir mit seiner gesunden Linken einen Fausthieb. Ich taumelte, spürte einen gellenden Schmerz, der sich von meinem Unterkiefer bis zu meinem Schopfe hin erstreckte und schmeckte Blut. Die Hand, in der ich meinen Zauberstab hielt, lockerte sich für einen Moment; schnell fasste ich wieder zu und feuerte einen Schockzauber ab, der aber anstatt des Feindes Fuß den Boden erwischte und versiegte. Der Modorok lachte. Ich wurde wütend, schleuderte ihm einen weiteren Schockzauber entgegen. Er wich aus, warf den Schockzauber mit einer galanten Schwertbewegung auf mich zurück; ich konnte mich im letzten Augenblick ducken und mein Zauber zischte durch die Luft davon. Drei weitere Soldaten waren nun hinzu gekommen und hatten Yuri, der vom Pferd gesprungen war, in den Schraubstock genommen. "Sollen wir nun zum Schloss aufbrechen, Herr?", fragte einer von ihnen. "Hier sind wir eigentlich fertig." Der Anführer ließ seinen Blick nicht von mir ab. "Ich bestimme, wann wir hier fertig sind!", bellte er und holte mit dem Schwert in meine Richtung aus. Ich wich zurück, zückte den Zauberstab und mir gelang ein mittelschwerer Explosionszauber, der als gelbgoldner Sprühschwall aus der Zauberstabspitze entwich, mit einem leisen Knall explodierte und sich in viele raketenartige Feuerfunken zerteilte, die auf den Anführer hinab hagelten. Beim Aufprall gegen seine Rüstung sprühte und klirrte es; er taumelte unter der Wucht der hagelkörnergroßen Funken und blies das Horn, das er in seinen metallenen Hüftgurt gesteckt trug. Die Soldaten gehorchten seinem Ruf; sie ließen von unserem Dorf ab. Der Anführer schwang sich auf sein Ross zurück und verpasste mir dabei einen Hieb mit der Ferse seiner hackigen Stiefel. Ein kurzer, stechender Schmerz durchfuhr mein Kiefer. Der Modorok schnaubte zufrieden und glich dabei seinem widerlichen Ross. "Jetzt sind wir fertig." Aus den Augenwinkeln sah ich, wie die Fischerleute versuchten, aus ihren Hütten zu retten, was zu retten war, und mit einigen Eimern Regenwasser das Feuer zu löschen. Die Modoroks hatten sich nun rund um ihren Anführer eingefunden. Der warf mir einen verächtlichen Blick zu. "Willst du noch was, Verräter?" - "Gerechtigkeit!", schnappte ich und reckte meinen Zauberstab abermals in die Höhe. Der Modorok verengte die Augen zu schmalen Schlitzen. "Du elender..." - "Herr!", rief plötzlich einer seiner Männer dazwischen, "Der Knabe...!" Das zuvor so finstere Gesicht des Anführers wandelte sich schlagartig in einen Ausdruck des Schreckens. "Was?" Ich ließ verblüfft den Zauberstab sinken. Yuri schien bewusstlos geworden zu sein. Wie eine Puppe hing er inmitten der drei Modoroks, die ihn festhielten, und bei näherem Hinsehen wurde deutlich, dass seine Augen hinter den geschlossenen Lidern wild hin und her zuckten. Ich sah von einem Modorok zum anderen. Sie schienen Yuri nicht das erste Mal in diesem Zustand gesehen zu haben, was sie offensichtlich in eine gewisse Unruhe und Anspannung versetzte. Ich spürte, wie Vorfreude in mir hochkam. Vielleicht war Yuri gerade drauf und dran, zu transformieren? Damit würde sich nun endlich der Verdacht bestätigen, dass er tatsächlich der Auserwählte war! Aufgeregt hielt ich den Atem an, als plötzlich auch Yuris Beine und Arme seltsam zu zucken begannen. Die Modoroks hielten ihn eisern fest und starrten ihn ebenso gebannt an wie ich, allerdings weniger begeistert. Ich wartete darauf, dass sich Yuri jeden Moment verwandeln würde, aber mit jeder folgenden Sekunde, in der nichts geschah, wurde ich unsicherer. Schließlich hörte Yuri auf, sich zu bewegen, gab ein leises, schwaches Stöhnen von sich und öffnete die Augen. Er blinzelte und sah sich verwirrt um. "Was... ist passiert?" - "Gar nichts", brummte der Anführer erleichtert und zog die Zügel seines Pferdes fest, "packt euch zusammen, wir brechen auf. Sind wir vollzählig?" Tausende Gedanken schwirrten in meinem Kopf herum. Wenn Yuri also doch nicht transformieren konnte, weshalb waren die Modoroks so besessen darauf, ihn wieder mit ins Schloss zu nehmen? Verbarg er ein ganz anderes Geheimnis? Oder konnte er sehr wohl transformieren und hatte es aus irgendeinem Grund soeben einfach nicht geschafft? Das würde zumindest die Erleichterung des Anführers erklären. Ein gellender Schrei riss mich plötzlich aus meinen Gedanken. Ich wandte mich um. Der letzte Modorok kam auf uns zugelaufen, sein Pferd am Zügel führend mit der linken Hand, mit der rechten ein Mädchen hinterher schleifend, das ich sofort als Pauline erkannte. Schweiß trat mir aus allen Poren. "Was soll das?", zischte ich und zückte den Zauberstab. "Lass sie sofort los!" - "Hat sich mit ihrer Großmutter hinter der Herrenhütte versteckt. Die Alte war mir egal, aber mit diesem Püppchen hier ließe sich so einiges anstellen...!" - "Lass sie los oder ich fege dir deinen Kopf vom Hals!" - "Nicht so voreilig!" Der Modorok ließ die Zügel seines Pferdes los und nahm stattdessen sein Schwert zur Hand. Blitzschnell hatte er die Klinge an Paulines Hals gedrückt. "Komm einen Schritt näher und ich schlitze ihr die Kehle durch!" Meine Knie sackten mir weg. Ich taumelte, fing mich aber wieder und blieb wie angewurzelt stehen. "Wenn... du das tust... ist sie dir aber nutzlos", stieß ich hervor. Mein Kopf war blank, meine Hände schweißnass, meine Füße zittrig. Der Modorok lachte und seine Kameraden, allen voran der Anführer, stimmten mit ein. "Das kann schon sein", feixte er dann, "aber eine junge Frau wie die zum Spaßhaben finde ich allemal wieder. Das kann aufgeschoben werden. Dich zu quälen allerdings nicht. Daran hab ich viel zu viel Freude." Er riss Pauline an den Haaren und fasste ihr an die Brust. Wut stieg in mir hoch und brachte mein Gesicht zum Glühen. Irgendetwas musste ich doch tun können! Noch bevor ich einen Entschluss gefasst hatte, packte mich der Modorok, der hinter mir stand, an den Armen und drehte sie mir auf den Rücken. Ein Stich fuhr meine gesamte Wirbelsäule entlang; mein Zauberstab fiel zu Boden. Ich zog und zerrte hin und her, aber der Griff des Modoroks war zu stark. Und plötzlich erhellte wie von Geisterhand ein Blitz aus Nebel und Licht für den Augenblick eines Herzschlags die düstere Umgebung; ein Raunen und Rufen ging durch die Modoroks und die Fischerleute; als ich die Augen wieder öffnete, konnte ich es nicht glauben: ein schneeweißer, Furcht einflößend knurrender Wolf hatte sich vor dem Soldaten, der Pauline festhielt, aufgebäumt. Er war etwas mager, aber sehr groß, und seine bloße Präsenz schien den Modorok so einzuschüchtern, dass er sein Schwert vor Schreck fallen ließ und Pauline die Gelegenheit ergriff, um sich loszureißen. Sie fiel in den Schnee. Der Wolf stieß ein drohendes Bellen aus und warf sich mit ungeheurer Wucht auf den Modorok, presste ihn zu Boden, die Zähne gefährlich gebleckt, die Tatzen mit voller Kraft gegen die Brust des Soldaten gedrückt. Niemand sagte oder tat etwas; alle waren zu entgeistert, um die Situation erfassen zu können. Yuri?, schoss es mir durch den Kopf, ich wandte mich zu den anderen Modoroks um und konnte von ihren Gesichtern ablesen, was ich mir die ganze Zeit erhofft hatte: Ja. Yuri konnte transformieren. Er war es. Er war der Auserwählte. Als der Modorok hinter mir seinen Griff lockerte, nutzte ich die Chance und stieß ihm den Ellenbogen in den Magen. Er stöhnte auf und ging in die Knie. Ich griff nach meinem Zauberstab und setzte anschließend den Anführer der Modoroks, der zum Angriff auf den Wolf angesetzt hatte, mit zwei kräftigen Stoßzaubern in den Magen außer Gefecht. Als die Modoroks bemerkten, dass ihr Anführer bewusstlos war, erwartete ich, dass sie zur Gegenattacke ausholen und es mir heimzahlen würden; stattdessen aber packten sie ihn mit aufs Pferd und traten den Rückzug an. Keiner schien es zu wagen, den wütenden Wolf anzugreifen. Das Tier ließ von dem panisch schreienden Modorok unter ihm ab und die Soldaten ergriffen auf ihren Rössern die Flucht. Gerade rechtzeitig, denn mein Schutzzauber war mittlerweile verflogen. Kimama kam aus dem Getümmel auf Pauline zugelaufen, stürzte sich zu ihr auf die Knie und starrte den weißen Wolf verworren an. Der Wolf, die türkisen Augen, die eindeutig Yuris waren, noch zu schmalen Schlitzen verengt, blinzelte kurz, schwankte, und sackte dann jaulend in sich zusammen.

Keiner von uns rührte sich von der Stelle.

Yuri

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