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(2) Keine überraschende Klausel, § 305c Abs. 1 BGB

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Schließlich dürfte die Klausel nicht so ungewöhnlich sein, dass der Vertragspartner des Verwenders mit ihnen nicht zu rechnen brauchte, § 305c Abs. 1 BGB. Ob eine Klausel in diesem Sinne überraschend ist, ist nach den Erkenntnismöglichkeiten eines durchschnittlichen Vertragspartners zu beurteilen, wobei aber auch die konkreten Vertragsumstände zu berücksichtigen sind.[11] So führt der BGH aus: „Überraschenden Charakter hat eine Regelung dann, wenn sie von den Erwartungen des Vertragspartners deutlich abweicht und dieser mit ihr den Umständen nach vernünftigerweise nicht zu rechnen braucht. Die Erwartungen des Vertragspartners werden von allgemeinen und individuellen Begleitumständen des Vertragsschlusses bestimmt.“[12]

Zur Bewertung, ob die Klausel überraschend ist, muss diese zunächst ausgelegt werden, unter Heranziehung des Grundsatzes des § 305c Abs. 2 BGB, wonach eine mehrdeutige Klausel „zu Lasten des Verwenders“ auszulegen ist. Dies bedeutet, dass grundsätzlich die kundenfeindlichste Auslegungsmöglichkeit zu wählen ist. Diese Vorgehensweise erscheint paradox, ist aber dann im Ergebnis tatsächlich verwenderfeindlich, wenn auf diese Weise die Unwirksamkeit der Klausel herbeigeführt werden kann und die Unwirksamkeit für den Vertragspartner des Verwenders günstig ist. Für den Verbandsprozess i.S.d §§ 1, 3 UKlaG ist dies anerkannt; im Hinblick auf den Schutzzweck von § 305c Abs. 2 BGB, das Interesse einheitlicher Auslegungsergebnisse sowie den Schutz des Rechtsverkehrs vor mehrdeutigen Klauseln wird diese Vorgehensweise auch für Individualprozesse befürwortet.[13] Denn würde „nur“ die kundenfreundlichste Auslegung gewählt, durch die die Klausel weiter Bestand hat, statt kassiert zu werden, würde dies auf Seiten der Unternehmen und der Kunden einer betreffenden Branche wohl weniger zur Kenntnis genommen, auch wenn dem Einzelnen im Individualprozess in der Tat meist schon durch individuelle, kundenfreundliche Auslegung ausreichend geholfen wäre.[14] Erweisen sich alle Varianten als wirksam, so ist zwischen allen möglichen (und grundsätzlich zulässigen) Auslegungsmöglichkeiten diejenige zu wählen, die den Kunden am meisten begünstigt.[15]

Vorliegend bietet die Klausel zwei Interpretationsmöglichkeiten: Einerseits könnte die Klausel so zu verstehen sein, dass dem Patienten eine Zahlungspflicht nur dann auferlegt wird, wenn zwar grundsätzlich ein Versicherungsschutz besteht, die Krankenkasse aber aus einem bestimmten Grund die Kostenübernahme im konkreten Fall verweigert. Eine solche Auslegung der Klausel ist möglich, da schon der Begriff „Kassenpatient“ intendiert, dass vom Grundsatz her jedenfalls eine Krankenversicherung bestehen muss. Anderseits könnte sie bei einem weniger wörtlichen Verständnis des Begriffs „Kassenpatient“ nur die Fälle erfassen, in denen gar kein Versicherungsschutz besteht („Scheinkassenpatient“). Die Formulierung des § 8 lässt folglich beide Interpretationsmöglichkeiten zu. Zu prüfen ist also, ob die Unwirksamkeit der Klausel dadurch erreicht werden kann, indem ihr die Bedeutung beigelegt wird, wonach sie gerade den Fall der M bzw. der T, also den des „Scheinkassenpatienten“ erfasst, und die M damit mit einer Zahlungspflicht belegt wird. Dann könnte durch kundenfeindliche Auslegung erreicht werden, dass derartige Klauseln kassiert werden.

Als überraschend hat die Rechtsprechung eine solche Klausel jedoch nur dann bewertet, wenn sie einem „echten“ Kassenpatienten vorgelegt wird, bei dem grundsätzlich Versicherungsschutz besteht. In einem solchen Fall muss der Patient nicht mit einer Inanspruchnahme rechnen, sondern darf redlicherweise von einer Kostenübernahme ausgehen.[16] Das Risiko, dass das Krankenhaus die Krankenkasse nicht als Kostenschuldner in Anspruch nehmen kann, insbesondere weil die Kasse die Behandlung als nicht notwendig, unzweckmäßig oder unwirtschaftlich ansieht, kann nicht uneingeschränkt dem Patienten aufgebürdet werden.[17] Anders sei dies aber in Fällen wie dem vorliegenden, namentlich bei gänzlichem Fehlen einer Versicherung („Scheinkassenpatient“). In diesem Fall müsse der Patient, der gar keine Versicherung hat und dem die Klausel vorgelegt wird, damit rechnen, dass der Krankenhausträger ihn mangels sonstiger Rückgriffmöglichkeiten persönlich in Anspruch nimmt.[18] Teils wurde die Unwirksamkeit der Klausel aber auch im Fall von vollständig fehlendem Versicherungsschutz erwogen, wenn beide Parteien ungeprüft davon ausgehen, dass Versicherungsschutz besteht.[19]

Die besseren Argumente sprechen jedoch dafür, im Fall der M bzw. der T das Überraschungsmoment abzulehnen: Wer gar keine Krankenversicherung hat, darf nicht darauf vertrauen, Leistungen kostenlos in Anspruch nehmen zu können. Vielmehr muss der Patient dafür Sorge tragen, dass er überhaupt Krankenversicherungsschutz hat; dies fällt in seinen Verantwortungsbereich, sodass es aus seiner Sicht auch nicht ungewöhnlich und überraschend ist, die Kosten selbst tragen zu müssen, wenn er dies versäumt. Damit ist durch kundenfeindliche Auslegung keine Unwirksamkeit nach § 305c Abs. 1 BGB zu erreichen.

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