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3.4.1 Gemeindedualismus und abgestufte Gemeindeeinheit

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Der Entwurf für die Übergangsbestimmungen zum Niederlassungsgesetz vom Dezember 1874 hielt fest, es bleibe den bisherigen Bürgergemeinden überlassen, welche Massnahmen sie zur Wahrung ihrer Stellung treffen wollten. Im Grossen Rat wurde beantragt, den Artikel zu streichen, da «durch eine derartige Bestimmung die Schaffung und Erhaltung eines mit Geist und Zweck des Gesetzes im Widerspruch stehenden Dualismus ausdrücklich provozirt [sic!] werden».173 Dagegen wurde zu bedenken gegeben, dass für die «ihnen ausschliesslich reservirten [sic!] Competenzen und Funktionen» eine «gewisse korporative Organisation der Bürger unabweislich geboten erscheine».174 Das Niederlassungsgesetz schien also schon kurz nach seiner Annahme keine tragfähige Grundlage für die Ansprüche einer Einheitsgemeinde zu bieten. Die mit Datum vom 4. Dezember 1874 ausgefertigten Übergangsbestimmungen zum Niederlassungsgesetz schrieben den Gemeinden schliesslich vor, eine konstituierende Versammlung der Gesamtgemeinde einzuberufen. Für die «rein bürgerlichen Funktionen – nach Art. 16 des Gesetzes» war schliesslich festgelegt worden, dass «die Bürger, wo sie es notwendig finden, eigene Verwaltungsorgane auf[stellen]».175 Damit hatten die kantonalen Behörden von Anfang an die Saat des Gemeindedualismus in die Gesetzgebung gepflanzt – auch wenn diese Bestimmung noch dahingehend interpretiert werden konnte, dass damit einfach unselbstständige Organe innerhalb einer einheitlichen Gemeinde gemeint waren.176 Spätestens aber die Kantonsverfassungen von 1880 und 1892 sollten eine eindeutige Vorstellung eines institutionalisierten Gemeindedualismus etablieren. Beide Verfassungen erwähnten nämlich knapp Bürgergemeinden und ortsbürgerliche Korporationen, deren Befugnisse vom Gesetz bestimmt würden.177 Allein, ein entsprechendes Gemeindegesetz, das diese Befugnisse expliziert hätte, fehlte bis 1974. Das Niederlassungsgesetz leistete nicht das, was ein Gemeindegesetz zu leisten gehabt hätte: Es sprach nur von den Rechten der Niedergelassenen und deren Einschränkungen, an keiner Stelle aber von eigentlichen Einwohnergemeinden, Politischen Gemeinden oder eventuellen Bürgergemeinden.

Das Niederlassungsgesetz hatte zwar eindeutig festgelegt, dass das Verfügungsrecht am Armengut und an den Bürgerlösern sowie das Veräusserungsrecht am Gemeindevermögen nur den Gemeindebürgern zukam, die Nutzung beziehungsweise der Ertrag des Gemeindevermögens (mit Ausnahme des Armenguts und der Bürgerlöser) dagegen der ganzen Gemeinde. Die Frage aber, ob das Armengut, die Bürgerlöser und vor allem das ganze restliche Gemeindeeigentum immer noch den Gemeindebürgern allein gehörten, wurde 1874 gesetzlich nicht beantwortet. Dies sollte sich bald als Stolperstein einer einheitlichen Gemeinde herausstellen. Zudem ermöglichte der Wortlaut der Übergangsbestimmungen zum Niederlassungsgesetz und der Kantonsverfassungen von 1880 und 1892 die dualistische Ausgestaltung der Gemeindeorganisation und damit eine Doppelverwaltung. Somit setzte sich im folgenden Jahrhundert in über der Hälfte der Bündner Gemeinden eine institutionelle Abgrenzung durch. Diese Form der Abgrenzung soll im Folgenden zunächst im Detail für Chur, dann kursorisch bis um 1900 für den ganzen Kanton nachgezeichnet werden (siehe Anhang).

Gemeindebürger, Niedergelassene und Ausländer

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