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4 Die kurze Reaktion der 1890er-Jahre
ОглавлениеIn den 1890er-Jahren kam neuer Unmut über das kantonale Niederlassungsgesetz auf. Gleich zwei Mal wurde versucht, mit sogenannten «Bürgerinitiativen» die umstrittene Regelung zu revidieren. Treibende Kraft war ein prominenter Nachkomme der vormodernen Führungsschicht Graubündens: Theophil Sprecher von Bernegg, der spätere Generalstabschef im Ersten Weltkrieg.1 Das Kapitel zeigt, wie der Maienfelder als Teil der in der Schweiz im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts aufkommenden «neuen Rechten» versucht hat, den immer noch «unbewältigten Rechtszustand»2 der internen Organisation der Bündner Gemeinden zugunsten der Gemeindebürger zu normieren. Mit dem staats- und modernisierungskritischen Gestus dieser «reaktionären Avantgarde» veränderte sich der Diskurs um das Rechtsverhältnis von Gemeindebürgern und Niedergelassenen in Graubünden. Anstelle des Austarierens von Werten wie «Bürgersinn» oder spiessbürgerlichem «Eigensinn» rückten nun die bereits punktuell angesprochenen «alten Rechte der Bürger» in den Vordergrund, gepaart mit dem seit 1896 von katholisch-konservativer Seite rechtswissenschaftlich fundierten Fahnenwort der Gemeindeautonomie. Zwei weitere Merkmale tauchten mit Sprechers «Bürgerinitiativen» auf und trugen ebenfalls dazu bei, den politischen Diskurs um die Bürgergemeinde auf eine neue Ebene zu führen: Die Gegner des Niederlassungsgesetzes stellten nun nicht mehr nur dessen Nachteile für die Gemeindebürger infrage. Sie konstruierten vielmehr eine prinzipielle Frontstellung zwischen Altrepublikanismus und Etatismus, das heisst in diesem Fall zwischen autonomen Bürgergemeinden und einem als liberal-zentralistisch empfundenen Kanton – ein Spannungsverhältnis, das natürlich spätestens seit Mitte der 1870er-Jahre vorhanden, bisher aber nicht kontrovers debattiert worden war. Die Auseinandersetzung um den Wert und die Bedeutung der Bündner Bürgergemeinden wurde zudem zur scharfen Gegenreaktion, ja zu einem «Krieg der Bürger»,3 wie ihn die bisherige Auseinandersetzung um das Rechtsverhältnis zwischen Gemeindebürgern und Niedergelassenen in Graubünden noch nicht erlebt hatte. Die Diskussion im Vorfeld der Abstimmung um die zweite Bürgerinitiative Ende 1899 war mit ihren Metaphern des Kampfes der vorläufig letzte Höhepunkt in diesem Diskurs. Abschliessend kehre ich mit dem Abstimmungsergebnis von 1899 noch einmal zur Bedeutung der Gemeindeautonomie zurück. Dank der Konjunktur dieses seit dem ausgehenden Jahrhundert zwischen populärer und wissenschaftlicher Wissensformation zirkulierenden Begriffs fand die zweite «Bürgerinitiative» auch in katholisch-rätoromanischen Gemeinden Aufnahme, obwohl diese meist einen geringen Grad an Niedergelassenen aufwiesen und noch 1874 für das liberale Niederlassungsgesetz gestimmt hatten.