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Gezeter


Das Herrenhaus von Gut Eulenstein lag am Ende einer Allee aus Hortensien. Türmchen säumten die Ecken, Wasserspeier die ziegelgedeckten Spitzdächer. In Minns Augen glich es einem Greis, der darüber nachbrütet, wohin die Zeit verschwunden ist, in der er hofiert und bewundert wurde. Aber wir putzen den Alten noch mal ordentlich raus, dachte sie und schob ihre Schubkarre unter einem mit Girlanden geschmückten Torbogen hindurch.

Bis vor Kurzem hatten Efeuranken den Innenhof dahinter überwuchert. Jetzt glänzte das blitzblank gescheuerte Pflaster unter Minns Füßen. Sie setzte die Schubkarre ab und ließ den Blick schweifen. Ein Dutzend Mägde schrubbte Wäsche, Teppiche und Vorhänge in Holzzubern, deren Dampfschwaden den Duft nach Kiefer verströmten.

Natürlich gab es einen Grund für den Putzfimmel. Der Purifikant samt Eskorte hatte sich angekündigt, dazu ein Gast aus Dimmgrund und die Ratsherrin des Ketzerreiches Freiholt, die abzuholen Kardinal Armengal persönlich aufgebrochen war.

»Guckst du wieder Löcher in die Luft, Minn?«, fragte eine der Wäscherinnen lachend. »Geh lieber schnell rein und hol das Bettzeug, ehe die Matrone dich erwischt.«

Minn winkte und hob die Schubkarre wieder an. War’s denn ein Wunder, dass sie ein klein wenig unkonzentriert war? Die Neugier pikte sie wie ein Steinchen im Schuh. Sie hätte zu gern gewusst, worum sich dieser – diese? dieses? – ominöse Konklave drehte. Dem Gesinde sagte natürlich keiner was.

Wir dürfen nur dafür sorgen, dass alles glänzt, dachte sie und zog eine Grimasse.

Zu tun gab’s dafür genug. In besseren Tagen hatte Gut Eulenstein vierhundert Höflinge, Rittmeister, Mägde, Köche und Wachen beherbergt. Heute war es grade mal ein Zehntel. Die umliegenden Bauernhöfe lieferten zwar noch Käse, Milch und Getreide, doch nach der Ankunft des Lichtbringers war viel Dorfvolk in die Städte gezogen.

Sie drückte die Tür des Wäschereigebäudes mit dem Hintern auf und zog die Schubkarre rückwärtsgehend hinter sich her. Dabei fiel ihr Blick auf das verblasste Wappen über der Innenseite des Tür­balkens – eine Eule über gekreuzten Schwertern, Symbol des ruhmreichen Adelsgeschlechts von Dalglen. Kardinal Armengal hatte das Haus in Besitz genommen, nachdem er den alten Grafen wegen Blasphemie ins Exil verbannt hatte. Angeblich hatte dieser einem verbotenen Götzen gehuldigt. Manch einer munkelte, Armengal habe seit Jahren danach gegiert, die altehrwürdige Residenz an sich zu reißen. Doch niemand sprach Derartiges offen aus.

Auf einem Holztisch türmten sich Berge blütenweißer Laken und Kissen. Minn seufzte und begann, Stapel für Stapel auf den Schubkarren zu hieven. Eine dröge Arbeit, bei der sie sich wie so oft in letzter Zeit fragte, was sie hier noch hielt. Sicher, der Lohn war ordentlich, das Essen vernünftig, und geschlagen wurde auch niemand – sofern man nicht den Fehler machte, dem Hausherrn vor die Füße zu stolpern.

Aber ich bin nun über zwölf Jahre auf Gut Eulenstein, überlegte Minn. Höchste Zeit für Veränderung. Denn ist das Leben nicht dafür da, neue Erfahrungen zu sammeln? Schätze, am Ende ist es doch Rynas Verdienst, dass ich noch hier bin. Oder ihre Schuld, je nachdem.

Minn zog die Nase kraus, griff sich ein Daunenkissen und schüttelte es zurecht.

»Minn. Minn!«

Sie blinzelte.

»Was machst du denn schon wieder?« Ebenjene Ryna, Matrone und unangefochtene Herrin über das Gutsgesinde, stand vor ihr, die Hände in die breiten, beschürzten Hüften gestemmt, das von grauen Strähnen durchzogene braune Haar zum strengen Dutt zurück­gebunden. Die üppige Brust bebte und sie hatte jenen Blick aufgesetzt, mit dem sie ihrer Fassungslosigkeit Ausdruck verlieh, wenn ihrer Ansicht nach schlampig gearbeitet wurde.

»Wäsche aufladen, wie ich sollte«, verteidigte Minn sich.

Ryna deutete auf den Schubkarren. Die Ladefläche quoll derart über, dass sich ein Teil der Laken bereits auf dem Boden verteilte. Aus dem Kissen in Minns Händen regneten so viele Federn, dass es einem gerupften Huhn glich.

»Ups«, entfuhr es Minn.

Ryna schloss die Augen und atmete tief durch. »Bring das weg, dann geh dich umziehen. In einer halben Stunde ist Generalprobe für den Empfang der Gäste. Dazu hat das gesamte Gesinde im Hof anzutreten. Im besten Kleid.«

»Kleid? Pffft.«

»Ja, Kleid.« Ein gefährliches Glitzern trat in die Augen der Matrone. »Keine Hosen, kein Wams, keine Stiefel. Und dass du ja pünktlich bist.«

»Ich mach ja schon.«

Ryna fasste sie am Arm. »Wenn der Purifikant hier eintrifft, bleibst du unauffällig, hörst du?«

Minn runzelte die Stirn. Woher die Sorge? Hatte die Matrone solche Angst, vor den Gästen blamiert zu werden? Oder steckte etwas anderes dahinter? »Versprochen«, sagte sie.

»Gut.« Ryna entspannte sich. Sie brachte sogar ein kleines Lächeln zustande. »Jetzt lauf, Kind. Wir sehen uns im Hof.«

Auf dem Weg zu ihrer Kammer kam Minn ein Trupp Gutswachen entgegen, erfahrene Kämpen, von denen einige bereits im Spaltungskrieg gekämpft hatten.

»He, Mädchen«, rief ein kräftiger Graubart mit einer Narbe von der Schläfe bis zum Hals. »Pass auf, dass du nicht vor lauter Löcher in die Luft starren irgendwo dagegenrennst.« Seine Kameraden lachten.

»Pass du lieber auf, dass ich dir beim nächsten Zielwerfen mit dem Messer nicht wieder deinen Wochensold abknöpfe, Grimnur«, rief Minn zurück.

Das Lachen der Truppe wurde zum Grölen. Grimnur hob beide Hände. »Im Wortduell muss ich mich dir geschlagen geben. Aber ich freu mich auf meine Revanche an der Zielscheibe.«

»Bekommst du«, versprach Minn und winkte. Die Männer waren wie ihre großen Brüder, verbrachte sie doch seit Jahren unzählige Freistunden damit, mit ihnen Nah- und Messerkampf zu üben.

Kurz vor dem Dienstboteneingang zog raues Lärmen Minns Aufmerksamkeit auf sich. Ein paar Schritte von der Tür lag ein Stück Fleisch, eine frische Rinderlende, die vermutlich der Küchenmagd Schussel-Ann aus dem Tragekorb gefallen war. Drei Elstern hatten die Leckerei entdeckt und rissen Stücke heraus, die sie in Windeseile vertilgten. Der Fleischlappen war groß genug, dennoch gönnte eine der anderen den nächsten Bissen nicht. Ein ums andere Mal hopste ein Vogel zu seinen Mitfressern und hackte in blinder Gier auf das Fleisch ein, sodass sich die Schnäbel in die Quere kamen. Das Ganze resultiere in Gezeter, Flügelschlagen und Pickattacken. Aus irgendeinem Grund kroch bei dem Anblick eine Gänsehaut über Minns Arme.

Das Fleisch war nicht mehr zu retten, also sah sie zu, dass sie auf ihre Stube kam. Sie hatte wenig Lust, wegen drei dummen Vögeln die Generalprobe zu verpassen.

Schwingenfall

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