Читать книгу Schwingenfall - Simon Denninger - Страница 17
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Teestunde
Minn bekam das Grinsen kaum mehr aus dem Gesicht. Wann hatte zuletzt so viel Leben auf Gut Eulenstein gebrodelt? Dienstbare Geister wuselten umher, Vasen mit frischen Blumen bezauberten das Auge – und das Beste, Toryan war da, der Griesgram Armengal außer Haus. Selbst dass sie mit niemandem über ihre Sichtung des Nachtkrabblers reden durfte, konnte ihr die Laune nicht verderben.
Der Duft nach Brot und Zimt, Gebratenem und Gebäck hätte ihr selbst dann den Weg zur Küche gewiesen, wenn sie ihn nicht im Schlaf gekannt hätte. Die Küche lag ebenerdig und war anders als der Rest des Anwesens hell und freundlich. Der Boden hatte ein Schachbrettmuster, durch die Fenster konnte man Beete sehen. An den Wänden hing eine ganze Armada blitzblank geschrubbter Pfannen, Schüsseln und Töpfe, der ausladende Kochkamin verbreitete Wärme und Heimeligkeit. Stimmengewirr und hektische Betriebsamkeit verliehen dem Raum etwas von einem Bienenstock. Wundervoll!
Minn kam oft hier herunter, um einen Plausch zu halten oder die eine oder andere Leckerei abzugreifen. Allerdings immer kurz. Denn so gern sie naschte, Küchendienste mied sie wie ein Welpe den Waschzuber.
Ihre Nase zog sie zu einem Blech frischen Stollen, den der pausbäckige Wilbert eben aus einem der Öfen zog. Minn erschnupperte Marzipan, Rosinen und Nelke. Sie leckte sich über die Lippen und strahlte den Bäcker mit einem Lächeln an, neben dem selbst das auf Hochglanz polierte Silberbesteck verblasste.
»Aber nur ein Eck, Minn.« Wilbert säbelte ihr ein handbreites Stück Stollen ab. Sie biss hinein und stöhnte vor Wonne. Der Bäcker grinste bis über beide Ohren. »Wenn du ein wenig wartest, ist die Marmelade fertig. Damit schmeckt’s noch besser.«
»Kannich«, murmelte Minn mit vollem Mund. »Muss Ann mit’m Tee helfen.« Sie schluckte. »Wo steckt sie überhaupt?«
»Da kommt sie.« Wilbert deutete auf die Treppe, die aus der Küche zum Gästetrakt führte.
Die Stiegen waren schmal und steil. Minn hielt unwillkürlich die Luft an, als sie ihre Freundin ein Tablett voll mit Teeporzellan balancieren sah. »Ich helf ihr mal besser.« Sie stopfte sich den Rest Stollen in den Mund, schleckte die Krümel von der Fingerspitze und wandte sich Richtung Treppe.
»Hab’s schon«, rief Ann, den Fuß auf der vorletzten Stufe.
Der Teekessel auf dem Herd zischte unvermittelt wie ein Igel, dem jemand im Dunkeln auf die Nase tritt. Ann kreischte, das Tablett flog durch die Luft und das Teeporzellan … nun, Minn konnte nur hoffen, dass Scherben tatsächlich Glück brachten. Ann lag mit schmerzverzerrtem Gesicht am unteren Ende der Treppe und hielt sich den Knöchel. Sofort eilten die Umstehenden herbei, darunter Philem, der riesenhafte, strenge Küchenmeister.
»Alle zurück an die Töpfe«, befahl er. Fachkundig betastete er Anns Fuß. Als er unterhalb des Knöchels drückte, wimmerte sie leise.
»Verstaucht«, stellte er fest. »Du wirst vorerst kein Essen mehr servieren. Algensud und Wachtelei, ausgerechnet heute, wo ich keinen Koch und keinen Gehilfen entbehren kann.«
Sein Blick fiel auf Minn, deren Versuch, sich hinter Wilbert wegzuducken, kläglich scheiterte. Philems Augen blitzten.
»Du wirst den Gast bedienen.«
»Heute muss mein Glückstag sein«, grummelte Minn. Dann fiel ihr auf, dass es zur Abwechslung gar nicht schlecht war, einen Botengang aufgebrummt zu bekommen. Vielleicht konnte sie so mehr darüber rausfinden, was es mit dieser Zusammenkunft auf sich hatte. Sie strich sich ihr Kleid glatt, setzte ihre freundlichste Miene auf und knickste. »Es wird mir eine Freude sein, Euch auszuhelfen, damit Ihr in Ruhe weitere Köstlichkeiten zubereiten könnt.«
Philem kniff misstrauisch die Augen zusammen. »Dass du mir keinen Blödsinn machst.«
»Wer, ich?« Ihre Miene war reinste Unschuld. »Niemals.«
»Besser wär’s, Mädchen.« Er klopfte sich vielsagend mit dem Kochlöffel in die Hand. »Besser wär’s.«
Der Tee duftete himmlisch nach frischem Gras, Pfirsich und Jasmin. Minn hätte allzu gern gekostet, aber wenn sie dabei erwischt würde, wäre Schluss mit lustig. Eine Handvoll dieser Teeblätter kostete mehr als ihr Wochenlohn.
Ihre Schritte hallten von den Bodenfliesen in der Eingangshalle des Herrenhauses wider. Eine antike Rüstung bewachte die Tür zum Audienzzimmer. Minn streckte dem Blechmann die Zunge heraus. Weil sie beide Hände voll hatte, stieß sie die Tür mit der Fußspitze auf. Protestierend schwang diese auf und gab den Blick auf eine Sesselgruppe frei, die um Tischchen aus dunklem Holz drapiert war. Die Sitzmöbel bildeten einen scharfen Kontrast zum kühl glänzenden Chrom des Wandregals, in dem Armengal die Bücher und Folianten zur Schau stellte, die früher im Besitz von Graf Dalglen gewesen waren. Minn bezweifelte, dass der alte Knacker von Kardinal die Werke je gelesen hatte.
Ein hochgewachsener Mann mit von Silber durchzogenem dunkelblondem Haar stand vor dem Regal und strich mit den Fingerspitzen über einen Buchrücken. Schlank, aber breitschultrig, mochte er sowohl Gelehrter als auch Kämpfer sein. Der hellen Haut nach zu urteilen, bekam er nicht viel Sonne ab, was durch das Grau seines Wamses noch betont wurde. Die Hosen waren von tiefem Blau, am Gürtel prangte ein Schwert mit schwarzer Scheide und silberumwickeltem Griff.
Er wandte sich stirnrunzelnd um, als Minn die Tür aufdrückte. Die Fältchen an seinen Schläfen zeigten, dass er oft und gern lächelte, doch in den smaragdgrünen Augen lag Schwermut – die augenblicklich verschwand, als er den Tee schnupperte. »Mmh, dich schickt der Himmel.« Mit der Hand wedelte er den Dampf zu sich herüber. »Oder vielmehr die freundliche Matrone dieses Hauses, schätze ich.«
»Eigentlich war’s der Koch.« Minn musste lachen. »Wo darf ich den Tee hinstellen?«
»Einfach auf den seltsamen Tisch da, der aussieht wie das Hinterbein einer Riesenechse.«
Sie tat, wie ihr geheißen und sog dabei noch mal den verführerischen Duft ein. Draußen vor dem Fenster schoben sich Wolken vor die Sonne. Ein Sturm zog auf.
»Wie heißt du?«
»Hm? Ach so, mein Name ist Minn. Und Ihr seid Herr Rojin, richtig? Der Händler, Berater und Freischärler.«
»Sagt man das alles von mir?« Er zog eine Augenbraue hoch. »Na, dann wird wohl was dran sein. Setz dich. Nimm dir auch eine Tasse, wenn du magst.«
»Oh. Das wäre Herrn Armengal sicher nicht recht.«
Der schelmische Zug um die Mundwinkel des Freischärlers verbreiterte sich zu einem spitzbübischen Schmunzeln. »Erstens ist er nicht hier. Und zweitens wäre es sehr unhöflich, einen Gast allein trinken zu lassen.« Er imitierte die Stimme Armengals so perfekt, dass Minn unwillkürlich lachen musste. Dieser Besucher war so gar nicht wie die üblichen Gäste des Kardinals. Wobei, auch Toryan war ja ganz anders gewesen als seine Kameraden. Sie dachte daran, wie er in jeder Freistunde immer zufällig dort aufgetaucht war, wo sie gerade zu tun hatte. Wie er ihr geholfen hatte, das entlaufene Maultier wieder einzufangen, und wie sie ihn zum Dank zum Picknick an ihren Lieblingsplatz am Weiher an der Gutsgrenze entführt hatte. Wie sie sich das erste Mal geküsst hatten … Sie verdrängte sein Gesicht aus ihren Gedanken, ließ sich in einen der Ohrensessel sinken und nahm eine Tasse. Der Tee schmeckte noch besser, als er roch. Welch ein Göttergebräu. »Darf ich Euch was fragen?«, wollte sie zwischen zwei Schlucken wissen.
»Sag ruhig Du zu mir.« Der Freischärler griff mit beiden Händen eine Teetasse und schnupperte genießerisch den Dampf ein, ehe er trank. »Und klar, frag.«
»Ihr … ich meine, du kommst doch aus Dimmgrund?«
»Ja. Und?«
»Da ist es schummrig, und jede Menge seltsame Wesen streifen dort herum. Also – wieso?«
Seine Augen funkelten amüsiert. »Eigentlich hat meine Heimat viele schöne Seiten. Zum Beispiel den Silberschattenhain. Nichts von Übel kann dort bestehen. Kein Lärm kommt dorthin, keine Hast und kein Leid.«
»Warum lebst du dann nicht immer dort?«
»Es ist ein Ort, der Frieden schenkt, aber keiner, an dem man ohne Unterlass verweilt. Verstehst du, was ich meine?«
»Hm. Ist er so was wie ein Tempel?«
Rojin rieb sich das Kinn. »Im gewissen Sinne. Nur zum Glück ohne Vorschriften.«
»Was ist an denen schlecht?«, fragte Minn belustigt.
»Prinzipiell nichts.« Er lächelte wieder sein entwaffnendes Lächeln. »Aber man sollte sich stets fragen, wer sie macht und warum.«
»Ja, ich würd gern mal wohin, wo keiner mir predigt, was falsch und richtig ist«, rutschte es Minn heraus. Sie schlug sich die Hände vor den Mund. Was war mit ihr los, dass sie ihr Herz so auf der Zunge trug? Sie kannte diesen Mann kaum. Bestimmt die Schuld von diesem Toryan, der ihr ständig im Kopf rumspukte.
»Das kann ich mir vorstellen. Du kannst mich ja mal in Dimmgrund besuchen und dir den Hain anschauen.« Er trank seinen Tee aus. »So gern ich mit dir plaudere, ich fürchte, jetzt musst du mich entschuldigen. Das Konklave rückt näher, und ich muss mich noch vorbereiten.«
»Selbstverständlich.« Sie stand auf und knickste. »Hat mich gefreut, dich kennenzulernen.«
»Ebenso, Minn.«