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Treffen in der Nacht


Noch mal von vorn.« Nobu strich sich über den Schnurrbart und fixierte Toryan streng. »Wie verhältst du dich beim Konklave?«

»Ich antworte nur auf Fragen, die man mir stellt«, rezitierte Toryan, was der General ihm eine Stunde lang eingehämmert hatte. »Trinke nur etwas, wenn man es mir anbietet. Setze mich nur, wenn ich dazu aufgefordert werde. Und gehe erst, wenn man mich aus der Versammlung entlässt.«

»Richtig. Und?«

»Und vor allem halte ich mein freches Mundwerk im Zaum.« Toryan unterdrückte ein Augenrollen. Trotz der guten Ratschläge wäre er lieber einem Rudel ausgehungerter Widerborste gegenübergetreten als der Gesellschaft bei der Versammlung. Dummerweise ließ ihm niemand die Wahl.

Nobu fasste mit beiden Händen seine Oberarme und drückte sie. »Du bist bereit, Junge. Vorausgesetzt, du kannst das bis Morgen im Kopf behalten. Kommst mir etwas abwesend vor.«

Toryan rang sich ein Lächeln ab. Das fehlte noch, dass er dem General gegenüber erwähnte, dass er die ganze Zeit ein Mädchen im Kopf hatte.

»Jetzt geh und wasch dir den Staub von der Reise ab, putz deine Stiefel und sieh zu, dass du eine Mütze voll Schlaf bekommst«, sagte Nobu. »Wir sehen uns morgen.«


Toryan kratzte sich am Kopf. Verlaufen. In einem Herrenhaus. Manno­mann, war das peinlich.

Hätte er bloß besser aufgepasst, als die Matrone ihm den Weg von General Nobus Zimmer zu seinem Quartier erklärt hatte. Stattdessen musste er ständig an Minn denken. Jetzt, wo er sie wiedergesehen hatte, merkte er überdeutlich, wie sehr er sie vermisst hatte. Sie war mutig, humorvoll, hübsch …

… und sie ist schuld daran, dass du nun auf einem Korridor stehst und keine Ahnung hast, wo du hinsollst, Toryan Trottelkopf, schalt er sich.

Da rumstehen ihn garantiert nicht ans Ziel bringen würde, stapfte er weiter. Samtläufer dämpften seine Schritte. Durch die Seitenfenster fiel trübes Licht auf die Porträts blasierter Männer und sauer­töpfisch dreinblickender Frauen. Das war aber auch ein Riesenkasten! Zu düster für Toryans Geschmack, erfüllt von einer verblätternden Pracht, die ihn an einen Kater erinnerte, der einst ein stolzes Revier beherrscht hat und nun nur noch sein ergrautes Fell vor dem Kamin wärmt.

»Suchst du etwas, schöner Fremder?«

Er fuhr herum. Hinter ihm stand Minn, die Hände in die schmalen Hüften gestemmt. Obwohl sein Herz einen Hüpfer machte und er sie am liebsten sofort in die Arme geschlossen hätte, spielte er mit.

»Ähm, ja. Mein Zimmer.« Seine Ohren glühten. Blöde Ohren.

»Ich weiß, wo es ist.«

»Wunderbar«, entfuhr es ihm.

»Es liegt unterm Haus.« Sie tippte sich mit dem Zeigefinger gegen die Nase. »Wenn ich’s recht bedenke, ist es mehr ein Verlies. Mit Moos an den Wänden und allem.«

»Ein … wie bitte?«

»Heimelig, oder, für ein Soldatenschaf wie dich?« Ihre Katzenaugen funkelten.

»Ich bin kein Schaf«, protestierte er empört, »sondern Grenzwächter in Dimmgrund. Ich hab einen Engel sterben sehen.«

Ihre Augen weiteten sich. Toryan biss sich auf die Zunge. Zu spät. Er konnte sich seine Worte ja schlecht zurück in den Mund stopfen.

Minn hob einen Finger. »Vorschlag. Ich zeig dir den Weg, dafür erzählst du mir mehr davon.«

»Ganz schön neugierig, junge Dame.«

»Ich bin keine Dame. Frag deinen Freund Orlid.«

»Den hast du ordentlich versohlt.« Er musste lachen.

»Ich nenne das Frühsport.« Sie grinste. »He, ich hab mich noch gar nicht bedankt, dass du mir vorhin geholfen hast.« Sie ging zu ihm, stellte sich auf die Zehenspitzen, schloss die Augen und küsste ihn. Endlich. Er hätte es keinen Moment länger aushalten wollen.

»Nicht der Rede wert«, sagte Toryan kurze Zeit später.

»Nicht, dass ich deine Hilfe gebraucht hätte.«

»Auf keinen Fall.«

»Gut, dass wir uns da einig sind.« Sie umfasste seine Hände und lächelte. »Du trägst noch das Armband, das ich dir letztes Jahr am Weiher geknüpft habe.«

Er nickte. »Es ist ein wenig ausgefranst, aber es hat mir immer Glück gebracht.«

»Das ist schön.«

»Wunderschön.« Er streichelte ihre Handrücken.

»Dann folge mir in dein Zimmer, Schafskopf«, neckte sie.

»Jawohl, Määäähsterin der Wege.«

Sie knuffte ihn in die Seite. Aber sie zwinkerte dabei.


Minn hatte nicht bleiben können, aber versprochen, bei Toryan vorbei­zukommen, sobald ihre Pflichten erledigt seien. Nun fiel bereits Sternenschein durch das Fenster, der Docht der Tischlampe war beinahe heruntergebrannt. Aber keine Minn weit und breit.

Der Kardinal war am frühen Abend zurückgekehrt, zusammen mit der Delegation aus Freiholt. Hatte sie deshalb womöglich weitere Aufgaben aufgebrummt bekommen? Oder hatte sie schlicht keine Lust, Toryan zu sehen? Aber dann hätte sie es ihm doch gesagt. Ja, gewiss. Oder?

Toryan zwang sich, nicht länger auf und ab zu tigern oder in den Wandspiegel zu blicken, ob sein Wuschelhaar halbwegs glatt gekämmt lag. Stattdessen setzte er sich auf den quadratischen Holzklotz, von dem er nicht wusste, ob es ein Tisch oder ein Hocker sein sollte, öffnete eine Flasche Ingwerbier und schlug sein vom vielen Lesen zerfleddertes Exemplar von Die fünf Wege des Sieges auf. General Nobu hatte das Buch nach dem Krieg gegen Freiholt verfasst. Es galt als Meisterwerk in Kriegstaktik sowie für das Schmieden von Allianzen. Für gewöhnlich versank Toryan ganz und gar in der Lektüre, doch heute musste er jeden Satz dreimal lesen.

Er gab auf und klappte das Buch zu. Starrte auf den Einband. Trommelte mit den Fingern auf seinem Oberschenkel. Stand auf, öffnete die Tür einen Spaltbreit, linste hinaus. Keine Minn. Aber was war das? Da standen Nobu und die Matrone Ryna vor dem Zimmer am Ende des Flurs. Was führte sie hierher? Toryan überlegte noch, ob er sich bemerkbar machen sollte, da öffnete sich die Tür. Der Freischärler Rojin spähte auf den Gang, dann winkte er die beiden hinein.

Toryan kratzte sich am Kopf. Dass sich der General und der Freischärler am Vorabend des Konklave auf ein Gespräch trafen, nun gut. Bloß warum setzten sie sich nicht bequem ins Kaminzimmer? Und was machte die Matrone bei ihnen?

Rätsel über Rätsel. Und noch immer nichts von Minn zu sehen.

Frustriert kehrte Toryan zu seinem halb vollen Bier zurück. Er würde ins Bett gehen, sobald er es ausgetrunken hatte. Jawoll.

Nie zuvor hatte er derart langsam an einem Getränk genippt.

Als er den letzten Zug nahm und sich damit abzufinden versuchte, dass Minn ihn versetzt hatte, klopfte es. Mit angehaltenem Atem öffnete er die Tür. Da stand sie, in Hosen und Leinenbluse und mit diesem schalkhaften Lächeln, das Sterne durch seinen Kopf tanzen ließ. Am liebsten hätte er den Anblick für alle Ewigkeit eingefangen.

Sie streckte ihm einen grobborstigen Schrubber hin. »Da. Alles, was man für die Schaffellpflege braucht.«

»Phänomäääähnal«, gab er zurück.

Beide lachten.

»Alle meine Aufgaben sind erledigt«, sagte Minn. »Bis morgen früh habe ich frei.«

»Das freut mich.« Dämliche Antwort. Dämlich, dämlich.

Sie sahen sich an. Toryans Mund wurde sandsteintrocken. Und wieso bitte klopfte sein Herz so schnell, als sei er meilenweit gerannt?

»Weißt ja, ich bin neugierig.« Sie trat einen Schritt auf ihn zu. Ihr Haar glänzte und roch nach Hafermilch und Himmel.

»Was willst du denn wissen?« Bei Bimbadims Bart, jetzt war zu allem Überfluss seine Stimme rau.

»Wer du bist.« Sie berührte seine Schulter. »Ein Soldatenschaf, das nur hier ist, weil sein General es befiehlt? Oder der Mann, mit dem ich Geheimnisse und Träume geteilt und in den ich mich verliebt habe?«

»Ich bin verzaubert«, sprudelte es aus ihm heraus. »Und ich bin der Mann, der dich liebt. Ich wäre schon viel früher gekommen, wenn ich gekonnt hätte. Und ich wünschte, ich könnte bleiben. Aber wenn die Truppen weiterziehen, muss ich mit.«

Sie trommelte mit den Fingerspitzen auf seine Brust. »Was meinst du? Schaffen wir es, heute Nacht nicht an Morgen zu denken?«

Er nickte. Ihre Lippen berührten einander, sachter als Tau die Blüten. Sie fuhr mit dem Finger die Form seines Kinns nach. »Du hast ja wirklich eine große Klappe.«

»Und du bist und bleibst ein Frechdachs.« Er zog sie an sich und gab ihr einen Klaps auf den Hintern.

Zur Antwort krallte sie ihre Fingernägel in seinen Rücken und saugte seine Lippen zwischen ihre, als wollte sie seine Seele inhalieren. Er löste sich, küsste ihren Hals, wanderte mit der Zunge aufwärts, knabberte an ihrem Ohrläppchen.

Minn vergrub den Kopf an seiner Schulter. »Ich mag das«, murmelte sie, während sie sein Hemd aufknöpfte. »Nur beiß mich nicht.«

»Entschuldige«, sagte er. »Ich wollte nicht …«

»Klappe, Schafskopf.« Sie stieß ihn aufs Bett, setzte sich rittlings auf ihn, vergrub ihre Hände in seinem Haar. Er spürte die Hitze ihres Körpers durch die Kleidung, ließ seine Hände unter ihr Wams gleiten, über ihren Rücken, ihre Taille. »Mach jetzt bloß nicht Mäh«, murmelte sie.

Er verschloss ihren frechen Mund mit Küssen.

Sie richtete sich auf, ließ ihr Becken kreisen, strich ihm übers Schlüsselbein, krallte beide Hände in seine Brust. Toryan hörte keuchende Atemstöße und stellte überrascht fest, dass es seine eigenen waren. Er fasste sie um die Hüfte und drehte den Kopf, sodass sein Hals frei lag. Er liebte es, dort geküsst zu werden.

Minn stieß ein halb lustvolles, halb gequältes Wimmern aus, leckte sich die Lippen, näherte sich mit offenem Mund seiner Kehle. Im nächsten Augenblick schüttelte sie den Kopf, als hätte irgendwer ihr etwas zugerufen. Statt seinen Hals zu liebkosen, umfasste sie sein Gesicht und drehte es zu sich. »Bleib so«, bat sie. »Sieh mich an.«

Er tat, was sie verlangte. Sie stieß ihn nicht mehr von sich, bis sie nackt und nassgeschwitzt in wohliger Erschöpfung nebeneinanderlagen.

»An diese Hitze könnte ich mich gewöhnen«, murmelte Minn, den Kopf an seine Brust gekuschelt.

»Wenn dir Wärme gefällt, solltest du nach Gorvul kommen, sobald die Grenze wieder sicher ist.« Toryan streichelte schläfrig ihre Wange. »Ich weiß, ich habe das viel zu früh gesagt, als ich das letzte Mal hier war, aber ich meine es ernst.«

»Ist es denn sonniger im Schatten der Zitadelle als hier?«

»Gorvul ist viel mehr als die Zitadelle und der Dom. Wir haben helle Plätze, lichtdurchflutete Parks, wundervolle Tavernen. Und selbst wenn dir mal kalt wird, ich würde dich wärmen. Überleg es dir wenigstens, ja?«

Anstelle einer Antwort beugte sie sich zu ihm und küsste ihn. Nicht wild und leidenschaftlich wie zuvor, sondern lang und voll Zärtlichkeit. Er erwiderte den Kuss, und obgleich sie einander sonst nicht berührten, hämmerte sein Herz wie wild.

Sie löste ihre Lippen von seinen und strich sanft über seine Seite. »Oha. Schon wieder neue Narben?«

Er verzog das Gesicht. »Widerborste haben fiese Krallen. Besonders wenn ihre Jungen frisch aus einem Kadaver geschlüpft sind.«

»Mhhh. Und wie willst du mich in Gorvul wärmen, wenn du Nachtkrabbler an der Grenze bekämpfst?«

»Ich könnte mich versetzen lassen«, sagte er hastig. »Zur Stadtwache, oder …«

»Schon gut«, unterbrach sie. »Ich wollte dich nur necken.«

»Oh. Ah. Ja klar.«

Beide schwiegen.

»Bevor wir Zukunftspläne schmieden, müssen wir erst mal sehen, dass wir überhaupt eine Zukunft haben«, löste Minn die Stille auf, eh sie drückend werden konnte. »Also halte morgen beim Konklave dein vorlautes Mundwerk im Zaum.«

»Vorlautes Mundwerk? Das sagt die Richtige. Außerdem klingst du jetzt wie General Nobu.«

»Wie lang bist du bei der Versammlung dabei?«

»Keine Ahnung.« Er unterdrückte ein Schulterzucken. »Schätze, sie stellen mir ein paar Fragen und das war’s.«

»Gut.« Sie räkelte sich und stupste seine Brust mit der Nasenspitze an. »Weil ich danach nämlich alles wissen will. In sämtlichen Einzelheiten.«

»Ich weiß nicht, ob ich darüber reden darf.«

»Ich bekomm’s schon aus dir raus«, nuschelte sie. »Versprochen.«

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