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Unerwartete Besucher


Minn kletterte über ein verwittertes, efeuumranktes Zaunstück und sagte sich einmal mehr, dass nichts über ordentliche Hosen ging. Röcke, pffft. Das war was für alberne, brave Mädchen.

Eine Eidechse krabbelte aus dem Unkraut, blieb vor Minns Füßen stehen und starrte sie an. Sie ging in die Hocke und nahm das Tierchen auf die Hand. »Ich weiß schon, das ist dein Revier.« Behutsam setzte sie es auf einen Stein. »Aber nach der unsäglichen Probe in den unsäglichen Kleidern muss ich für mich sein.« Und dafür war dieser verwilderte Teil der Gutskoppeln im Nordosten des Anwesens nun mal perfekt. Wo einst Stuten grasten, hatten im Lauf der Jahre Disteln und Altfrauenkraut ihr Revier erobert, ungestört von Menschen, Maschinen oder Engeln. Genau deshalb kam Minn so gern her. Nirgendwo sonst kamen die Karpfen so furchtlos heran, um an ihren Fingern zu nibbeln, wenn sie die Hand ins Wasser des Flussarms steckte, der Gut Eulenstein im Norden begrenzte.

Nun, normalerweise. Doch seit einigen Tagen waren die Gewässer zu still, als tauchten die Fische auf den Grund, weit weg von der Oberfläche. Ob es etwas mit diesem seltsamen roten Stern zu tun hatte, der vor Kurzem erschienen und nicht mehr verschwunden war? Minn starrte in den Himmel. »Ich find schon noch raus, was du zu bedeuten hast«, drohte sie, was der Stern eher unbeeindruckt zur Kenntnis nahm.

Die Eidechse zwinkerte und huschte davon. Aus dem Augen­winkel nahm Minn eine Bewegung im Gehölz wahr, das die Ausläufer des Waldes jenseits der Gutsgrenzen markierte. Sie blieb in der Hocke und kniff die Augen zusammen.

Ein Wesen trat so lautlos aus dem Unterholz, als glitte ein Schatten über die Sonne. Es hatte die Größe eines Ochsen, grünbraune Stacheln säumten die Schnauze, spitze Knochenplatten Brust und Flanken. Alles in allem sah es aus wie ein Brombeerbusch, dem Beine gewachsen waren. Im Maul hielt es ein frisch gerissenes Kitz und auf seinem Rücken prangte ein Sattel in der Farbe von Raureif.

Minn hielt den Atem an. Das war nicht irgendein Nachtkrabbler. Das war ein Reittier. Wem mochte es gehören? Einem hochrangigen Wesen der Altnacht? Womöglich gar einem Blutfürsten?

Das Wesen verharrte. Seine Schnauze zuckte, als es Witterung aufnahm … Minn spannte alle Muskeln an, bereit, um ihr Leben zu rennen.

Das Stachelvieh legte den Kopf schief, als lauschte es einem Ruf.

Unvermittelt kitzelte der klare Geruch von Frost Minns Nasenflügel. Im Dunkel des Unterholzes vermeinte sie eine weitere Gestalt zu sehen, schlank, in eine Kutte gehüllt. Einen Wimpernschlag später machte das Stachelvieh auf dem Absatz kehrt und verschwand im Wald, zusammen mit dem Schemen. Die Nordkoppel lag so friedlich im Schein der Abendsonne, als sei nichts geschehen. »Donnerkeil und Blitzgewitter«, murmelte Minn. »Und ich dachte, der Kardinal bekommt spannenden Besuch.«


Zurück im bewohnten Teil von Gut Eulenstein, platzte Minn schier vor Aufregung. Sollte sie Ryna berichten, was sie gesehen hatte? Womöglich – ach was, bestimmt – würde die Matrone sie dafür ausschelten, dass sie auf eigene Faust in die Nähe des Waldes gegangen war. Andererseits, ohne ihre Abenteuerlust wüsste jetzt niemand, dass sich hier ein Nachtkrabbler herumtrieb. Minn beschloss, es zuerst Ann zu sagen. Die hatte vielleicht einen Rat, wie sie Ryna die Neuigkeiten am besten beibrachte.

Sie näherte sich der Rückseite des Gesindehauses, als sie Stimmen hörte. Grimnurs heiseres Organ und Rynas volltönendes. Die Matrone klang besorgt. Minn blieb stehen, konzentrierte sich und lauschte.

»… dass Minn ein Wildfang ist«, sagte Grimnur in einem Tonfall, der wohl beruhigend klingen sollte. »Aber das Mädchen lässt einige meiner besten Wachleute im Bodenkampf aussehen wie blutige Anfänger. Der passiert schon nichts.«

Minn grinste.

»Du musst sie trotzdem finden, Grimnur. Bitte, für mich.«

»Was ist los mit dir? Du bist doch sonst nicht so eine Glucke. Seit dieser seltsame Stern aufgegangen ist, drehen alle durch.« Der Anführer der Wache spuckte aus.

Da hat er recht, dachte Minn. Für gewöhnlich war die Matrone so resolut und unnachgiebig wie ein versteinerter Besen. Seit Kurzem jedoch witterte Ryna hinter jeder Ecke Gefahr.

Seltsamerweise immer dann, wenn es um mich geht. Minn zupfte sich nachdenklich an der Unterlippe.

Minns Erinnerung an den Tag, an dem Ryna sie nach Gut Eulenstein gebracht hatte, war großteils verblasst wie ein Bild, das zu lange im Dunkeln gehangen hatte. Manchmal aber krochen Erinnerungsfetzen in ihren Kopf. Von Vater, der sich sterbend auf dem Boden wand. Von Mutter, die vergebens versuchte, die Blutung an seinem Hals zu stoppen. Die ihre rot verschmierten Hände anstarrte. Die davonrannte, den Turm hinauf, über die Zinnen …

Dann war Ryna aufgetaucht. Sie hatte Minn in den Arm genommen und versprochen, dass sie ab jetzt auf sie aufpasste. Dass alles gut werden würde. Und da Minn sonst niemanden mehr gehabt hatte, war sie mit der Matrone gegangen.

Die Frau war Mutters beste Freundin, rief Minn sich ins Gedächtnis. Sie hat ein gutes Herz und ich schulde ihr viel. Sie hat es nicht verdient, sich meinetwegen sorgen zu müssen.

Sie atmete durch und trat ums Eck. »Sucht ihr mich?«

Grimnurs Augen traten vor wie bei einem Frosch. »Woher … ach, egal, ich sollte langsam wissen, dass du dich an alles und jeden heranschleichen kannst. Du siehst, da ist sie, Ryna.« Er schüttelte den Kopf und stapfte von dannen.

»Heut Abend zum Freikampf auf den Strohmatten?«, rief Minn ihm hinterher.

»Wie üblich«, entgegnete Grimnur, ohne sich umzudrehen.

Ryna stemmte die Hände in die Hüften und schob das Kinn vor. »Dem alten Grummler mag’s egal sein, wo du wieder gesteckt hast, aber mir kommst du nicht so leicht davon. Sieh dich nur an! Das Haar voller Kletten und die Hosen – wo hast du bloß wieder Hosen her? – voller Grasflecken.«

»Ich war auf den alten Koppeln.« Minn hob beide Hände. »Bitte hör mir zu, bevor du schimpfst. Ich habe etwas beobachtet. Etwas Wichtiges.« Und dann berichtete sie, was sie nahe dem alten Wald gesehen hatte.

Minn hatte mit vielem gerechnet. Nur nicht damit, dass Ryna ruhig nickte. »Gut, dass du mir gleich Bescheid gesagt hast.«

»Ja. Und jetzt? Schickst du die Gutswachen los? Oder einen Boten zum Kardinal, damit er den Wächterengel ruft? Oder was unternehmen wir wegen des Nachtkrabblers?«

»Wir tun gar nichts.« Der Befehlston kehrte in Rynas Stimme zurück. »Ich kümmere mich darum. Und das Ganze bleibt unter uns, verstanden? Das Konklave ist von größter Wichtigkeit. Nichts darf es stören, nicht mal ein verirrter Nachtkrabbler.«

»Das Vieh sah mir nicht verirrt aus. Überhaupt, es trug einen Sattel

»Genug davon. Und noch was.« Die Matrone strich sich den Rock glatt. »Beim Empfang der Gäste bist du dabei. Aber am Tag des Konklave wirst du die Eibenhecke schneiden.«

»Die ist beim Teegarten«, protestierte Minn. »Da bekomm ich ja gar nichts davon mit, was sich in der Residenz tut. Außerdem erwarte ich dieser Tage Besuch.«

»Du schneidest die Hecke. Den ganzen Tag.«

Minn verschränkte die Arme vor der Brust und setzte zu einem ihrer gefürchteten Protestgeleier an.

»Versuch’s gar nicht erst«, warnte Ryna. »Mein Entschluss steht fest. Und wehe, du stampfst mit dem Fuß auf. Dann kannst du zusätzlich noch im Stall Mist schaufeln.«

Minn setzte die angehobene Stiefelsohle wieder auf dem Boden ab. Leicht fiel es ihr nicht.

Schwingenfall

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