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Ein Aufbruch ohne Abschied

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Das rumms-rumms-rumms einer Faust gegen die Zimmertür ließ Toryan aus dem Schlaf aufschrecken.

Sein Herz klopfte heftig, und als er sich das Haar aus der Stirn strich, war es ganz verschwitzt. Kein Wunder. Er hatte geträumt, dass er Hand in Hand mit Minn auf einer goldenen Straße Richtung Horizont schritt. Doch als er sich zu ihr drehte, um sie zu küssen, stand sie in Flammen. Ihr Gesicht schmolz, und eine Fratze mit Fangzähnen kam darunter zum Vorschein. Er wollte davonlaufen, aber Dunkelheit fraß die Sonne, bis die brennende Minn das letzte schreckliche Licht in der Finsternis war.

Die Matrone Ryna streckte den Kopf durch die Tür. »Entschuldigt, Herr Toryan. Ihr sollt schnellstmöglich in den Hof kommen. Befehl Eures Generals.«

Toryan wusch sich den kalten Schweiß von der Stirn, schlüpfte in seine Wächteruniform und gürtete sich mit seinem Schwert. Seine Gedanken schweiften zu Minn. Sie war vergangene Nacht nicht aufgetaucht. Spielte sie mit ihm? Hatte er sich nur eingebildet, dass da mehr als rein Körperliches zwischen ihnen war? Oder hatte er sie zu sehr bedrängt, sie mit seinem Vorschlag, ein gemeinsames Leben anzufangen, vergrault? Er versuchte das schale Gefühl der Enttäuschung zu verdrängen. Während er die Gänge entlang- und die Treppen hinablief, hielt er nach ihr Ausschau. Verschiedene Bedienstete huschten durchs Haus. Sie war nicht darunter.

Der Hof von Gut Eulenstein schien sich in einen explodierten Ameisenhaufen verwandelt zu haben. Krieger wuselten herum, sattelten Pferde, gürteten sich mit Waffen, füllten Vorratsfässer oder ölten die Kolben der Dampfkarren.

Toryan erblickte Nobu und eilte zu ihm.

»Fertig zum Aufbruch, Langschläfer?«, begrüßte ihn der General.

»Wieso Aufbruch? Wohin?«

»Ein Kriegstrupp der Altnacht ist in Daosam eingedrungen und belagert Kardinal Tadeeans Feste.«

»Was? Wie ist das möglich?«

»Der Phönixweidenhain ist gefallen.«

Toryans Herz schlug schneller als die Hämmer der Handwerker an den Proviantfässern. Vor Asgreals Ankunft, so wusste er aus den Historien­stunden in der Akademie, hatten Grenzwächter jene schmale Landzunge in Daosam gesichert, wo keine reißende Strömung und kein bodenloser Abgrund die Grenze zur Altnacht schützte. Nach Ankunft der Engel wurde in den Erfinderlaboren Servuls die Idee geboren, Netze aus Energie zwischen den Bäumen entlang des Grenzstreifens zu spannen, die alles pulverisieren würden, was sie zu durchbrechen versuchte.

Was genau schiefgegangen war, wusste heute niemand mehr. Von den Alchemisten hatte man vor Ort jedenfalls nur noch Asche­häufchen gefunden. Noch bizarrer war ihr Vermächtnis gewesen. Blitze zuckten ohne sichtbaren Ursprung zwischen den Ästen der Weiden hin und her und setzten die Stämme in Brand. Sobald ein Baum zerfiel, erhob sich aus der Asche ein neuer Sprössling, der binnen weniger Atemzüge zur stattlichen Brennweide emporschoss, und der Kreislauf aus Vernichtung und Auferstehung begann von Neuem. So hatten die Erfinder ihr Ziel letztlich doch erreicht, wenngleich sie ihren Triumph nicht mehr hatten genießen können.

»Der Seraph Egroger brachte die Neuigkeiten«, fuhr General Nobu fort. »Im Augenblick hält er Kriegsrat mit dem Purifikanten und Kardinal Armengal. Er wird unterwegs zu uns stoßen.«

Toryan saugte an seiner Unterlippe. Die Kampfkraft des Kriegsengels wog hundert Männer auf. Die Erinnerung an den Anblick Bahrakels bei den Sieben Söhnen verursachte ihm allerdings Unbehagen. »Was ist mit Purifikant Damian?«

»Seine persönliche Garde eskortiert ihn zurück nach Gorvul. Niemand weiß, wie sicher die Straßen noch sind, also werden sie wenig bereiste Nebenwege nehmen. Und jetzt mach dich nützlich.« Der General wuchtete ihm einen Sack mit Arkebusenkugeln in die Arme.

Toryan ging unter dem Gewicht leicht in die Knie. »Wohin damit?«

»Auf den Kolbenwaggon.« Nobu deutete auf eines der zahnradbewehrten Gefährte. »Und dann sieh zu, dass du was zwischen die Zähne bekommst. Wir brechen in Kürze auf.«

Toryan hoffte bis zum Schluss, dass Minn noch auftauchen würde. Selbst als die Waggons dampfzischend anrollten und die Pferde in Trab verfielen, spähte er noch zwischen die Hecken. Doch das Tor von Gut Eulenstein schloss sich hinter ihm, ohne dass sie sich hatte blicken lassen.

Seine Brust stach, und das Atmen fiel ihm so schwer.

Vermutlich wäre sie ohnehin nicht mit mir gekommen, sagte er sich. Ich hätte sie nie wiedergesehen, und eine Verabschiedung hätte alles nur schwerer gemacht. Es ist für uns beide besser so.

Doch egal, was er sich einzureden versuchte, der Schmerz im Innern blieb.


Minn erwachte, als ein langes, raues Etwas ihr Gesicht kitzelte. Eine Klaue? Sie riss die Augen auf. Nein, ein Grashalm, der halb in ihrem Nasenloch steckte. Was die Frage aufwarf, weshalb sie mit dem Gesicht voran auf dem Boden lag.

Die Erinnerung stürzte auf sie ein. Die Versammlung. Der Angriff der Blutsaugerin. Sie tastete sich panisch über Hals und Handgelenke. Keine Bissspuren. Dafür eine fette Beule überm Ohr, wo der Schlag sie getroffen hatte. Donnerkeil und Blitzgewitter, das Miststück hatte Kraft gehabt.

Minn zupfte ein Büschel feuchtes Gras ab und tupfte sich damit gegen die Schwellung. Was hatte die Vampirin hier gewollt? Ein Attentat begehen? Nein, wenn ein Mord passiert wäre, dann wäre längst jemand auf Spurensuche gegangen und hätte Minn gefunden. Also Spionage.

Woher weiß ein Wesen der Altnacht von dem Konklave? Und wie ist es aufs Gelände gelangt?

Benommen rappelte Minn sich auf, linste erneut in den Salon. Leer. Die Kerzen waren zu Stummeln herabgebrannt, der Tisch war mit Soßenflecken verspritzt, von Hühnerknochen hingen Haut und Fleischfetzen. Minn schaffte es noch so eben, sich von der Wand abzuwenden, ehe sie sich übergab.

Sie musste jemandem melden, was passiert war.

Aber dann wissen sie, dass ich gelauscht hab. Womöglich komm ich wegen Spionage in den Kerker. Bestimmt kann ich es Toryan sagen. Er wird wissen, wem er das anvertrauen kann.

Schwankend machte sie sich auf den Weg zum Haupthaus. Erst als sie aus dem Schatten der Bäume trat, fiel ihr auf, wie hoch die Sonne stand. Es war bereits Mittag. Sie hatte ihren Dienst verpasst. Und, weit schlimmer, die Verabredung mit Toryan. O dreimal vermale­deiter Donnerkeil!

Ihre Schläfen schmerzten, als stocherte ein Kobold mit einer Feuernadel darin herum. Gesenkten Kopfes schlurfte sie Richtung Haupthaus.

»He, da bist du ja«, rief der Pferdeknecht Foy, als sie auf den Kies­pfad neben den Ställen einbog. »Ryna sucht dich. Die ist fuchsteufels­wild. Du wirst ganz schön was auf die Ohren bekommen.« Seine Stimme verebbte, als sie ihn ansah. Rasch wandte er sich wieder seinen Strohballen zu.

Vor dem Gesinderaum holte Minn tief Luft, strich sich das Haar zurück und klopfte an.

»Rein, mit wem auch immer.« Die Matrone klang, als hätte sie Reibespäne gefrühstückt. Oh, oh!

»Ähm«, sagte Minn, während sie zögerlich die Tür aufdrückte. »Ich bin’s.«

Ein eierlegender Hund hätte Minn kaum mehr verblüfft als Rynas Reaktion. Die Matrone sprang von ihrem Schreibtisch auf, wobei sie ein Tintenfass bedenklich ins Schwanken brachte, raste zur Tür und schloss sie in die Arme. »Das Licht sei gepriesen. Ich dachte schon, der Purifikant hätte dich mitgenommen!«

Nun war Minn verdattert. »Wieso sollte er? Er hat doch genug Personal.«

»Was? Ja. Natürlich. Egal, egal.« Ryna flatterte mit den Händen. »Hauptsache, du bist da.«

»Jaaa, nicht wahr?«

Rynas Blick fiel auf die Dienstpläne an der Wand. »Du hättest heute Morgen Einkäufe in Eschgard erledigen sollen.«

»Tut mir leid. Ich hab verschlafen.«

»Du warst nicht in deinem Zimmer.« Rynas Blick bekam etwas Weiches. »Du warst bei dem Jungen, stimmt’s? Diesem Toryan? Ich hab gesehen, wie du ihn angesehen hast, vorgestern auf dem Hof. Und er dich. War er nicht vor einigen Monaten schon mal hier und hat mit dir den Ausflug zum alten Weiher gemacht, obwohl ich verboten hatte, auf die alten Koppeln zu gehen?«

Minn klappte den Mund auf. Klappte ihn wieder zu.

»Ist schon gut. Als ich in deinem Alter war, hätte ich ihn bestimmt ebenfalls … ähm … mitgenommen. Aber lassen wir das. Du wirst die Morgenschicht nacharbeiten. Klar?«

»Ja. Sicher.« Minn starrte ihre Zehenspitzen an.

»Gut. Als Erstes hilfst du Schu… hilfst du Ann, die Füllungen für die Pasteten in die Küche zu schaffen. Danach servierst du dem Kardinal seinen Tee.«

»Uh, kann das nicht einer der Dienstboten machen?«

»Übertreib’s nicht, junge Dame.« Über Rynas Brauen erschienen die senkrechten Falten, die immer dann auftraten, wenn sie kurz davor war, ernsthaft sauer zu werden.

»Schon gut. Ich mach’s ja.«

»Keine Sorge.« Die Matrone atmete tief durch. »Das Konklave ging bis spät in die Nacht. Er wird dir nicht lange Predigten halten.«

Wenn’s das nur wäre, dachte Minn.

»Woher hast du die Beule an der Schläfe?« Ryna kniff die Augen zusammen. »Hat dieser Toryan das getan? Dann kann er froh sein, dass er weg ist.«

»Was? Nein, nein, ich hab mir … Moment. Er ist weg?«

»Wie tief hast du denn geschlafen? Die Soldaten mussten nach Daosam, in den Krieg. Der gesamte Hof war in Aufruhr.«

Minn hörte die Worte wie durch Watte. Toryan war fort. Und sie hatte ihn versetzt. Vielleicht sah sie ihn nie wieder. Etwas Feuchtes rann über ihre Wangen. Ärgerlich wischte sie es weg. Sie hatte seit Jahren nicht geweint, und dreimal vermaledeiter Donnerkeil, sie würde es auch jetzt nicht tun. Stattdessen grub sie sich die Fingernägel so tief in die Handflächen, dass es wehtat, um die Leere zu verdrängen, die sich in ihr breitzumachen drohte.


Armengal hing mehr in seinem Sessel, als dass er saß. Obwohl es Spätnachmittag war, hatte er sich in einen Abendrock aus blau-silberner Seide gehüllt. Aus blutunterlaufenen Augen stierte er Minn an. Auf seinem Schreibtisch stand eine leere Flasche, aus einem Mundwinkel rann ein Speichelfaden über die Wulstlippen. Na toll. Nüchtern war er ein selbstgefälliger Griesgram, aber betrunken wurde der alte Bock unausstehlich.

»Euer Tee, Kardinal.«

»Ah, das Mägdlein Minn.« Armengal lallte leicht. »Komm her, komm. Wo hast du die letzten Wochen gesteckt?«

»Gartenarbeit. Ihr wisst schon.« Sie setzte das Tablett vor ihm auf dem Schreibtisch ab.

»Nein, weiß ich nicht. Läufst mir kaum noch über den Weg. Dabei bist du recht ansehnlich geworden. Nicht mehr so ein Brett wie als junges Gör.« Er legte einen Arm um ihre Hüfte und zog sie zu sich. Armengal hatte ihr schon öfter im Vorbeigehen einen Klaps versetzt, was Minn zähneknirschend geschluckt hatte, aber zu viel war zu viel. Statt sich gegen ihn zu stemmen, tat sie, als stolperte sie nach vorn. Dabei stieß sie ihm beide Hände vor die Brust, getarnt als Versuch, sich abzufangen. Der Sessel kippte hintenüber. Armengal ruderte wild mit den Armen wie eine fette Ente, die versucht abzuheben. Vergebens. Es krachte gleich zweimal, als er auf dem Boden aufschlug und die Flasche vom Tisch fiel und neben seinem Kopf zersprang.

»Tollpatschiges Weibsstück.« Der Kardinal zog sich am Tisch hoch, puterrot im Gesicht. An seinem Hinterkopf wuchs eine hornförmige Beule. »Ich sollte dich …«

Die Tür wurde aufgerissen und Ryna stürmte mit wehenden Röcken herein. »Was ist passiert?«

»Dieser Tölpel ist auf mich draufgefallen«, lamentierte Armengal. »Nichts als Stroh zwischen den Ohren, das Mädchen.«

»Wer selbst Honig am Kopf kleben hat, sollte aus der Sonne bleiben«, murmelte Minn. Ryna warf ihr einen beschwörenden Blick zu.

Armengal hob den Flaschenhals auf und fuchtelte damit herum. »Bring mir Ersatz für die hier.«

»Herr, Ihr habt den letzten Rum gestern Nacht mit Seiner Exzellenz Damian ausgetrunken«, sagte Ryna.

»Dann soll Minn ihren Hintern gefälligst Richtung Stadt bewegen und neuen holen.«

»Es wird bald dunkel«, sagte Ryna betont ruhig.

»Mit ihrer guten Sicht wird sie den Weg von Eschgard zurück schon finden.«

Es stand Ryna ins Gesicht geschrieben, dass sie noch etwas erwidern wollte, doch Armengal wedelte mit der Hand, als wollte er eine Biene verscheuchen. »Raus jetzt. Ich habe zu arbeiten.«

Ja, daran, Platz für die nächste Flasche zu schaffen, dachte Minn. Laut sagte sie: »Sehr wohl, Herr«. Ryna sollte auf keinen Fall seinen Unmut wegen etwas auf sich ziehen, was sie verbockt hatte. Rückwärtsgehend und mit gesenktem Haupt zogen sie und die Matrone sich aus dem Studierzimmer zurück.

»Was hast du bloß wieder angestellt?«, fragte Ryna, als sie außer Hörweite waren.

»Dafür gesorgt, dass er mich nicht begrapscht.«

Ryna seufzte. »Manchmal vergesse ich, wie die Männer dich sehen. Für mich bist du noch das kleine Mädchen, das ich vor Jahren herbrachte. Vielleicht ist es an der Zeit, dass du woanders hingehst.«

»Seid Ihr böse? Ich wollte Euch keinen Ärger machen.«

»Nein, Kind. Ich bin nicht böse.« Ryna strich ihr übers Haar. »Ich will das Beste für dich. Du musst wissen, ich bin … Nein, das ist weder der richtige Ort noch Augenblick. Komm zu mir, wenn du aus Eschgard zurück bist. Dann reden wir. Es gibt vieles, was du erfahren musst.«


Verwirrt, traurig und missmutig suchte sich Minn ihren Weg durch Eschgards Händlerviertel. Sie versuchte sich einzureden, dass es besser war, im schwindenden Tageslicht umherzustapfen, als sich von Armengal betatschen zu lassen. Womöglich hatte der Vorfall ja sein Gutes, und der alte Suffkopf würde künftig die Finger von ihr lassen.

Andernfalls muss ich ihm eines Tages dahin treten, wo selbst das Licht Asgreals nicht scheint, überlegte sie. Dann sind alle Gedankenspiele, woanders mein Glück zu suchen, ganz ohne Rynas Zutun entschieden.

Warum wollte die Matrone sie plötzlich loswerden? Wo sie doch sonst um sie herumflatterte wie eine Glucke um ihr Küken? Hatte sie endgültig genug von Minns Flausen und Tagträumerei? Nein, es steckte mehr dahinter, das spürte Minn instinktiv. Nur was, was? Dinge nicht zu wissen machte sie verrückt. Und noch verrückter, wenn es dabei um sie ging.

Sie ließ die Werkstätten der Filzmacher, Schmiede und Schnitzer hinter sich und bog in die steil abfallende Gasse ab, in der die Speziali­tätenhändler und Destillerien ihre Geschäfte hatten. An den Seitenwänden der Häuser waren bereits die Gaslaternen entzündet und tauchten ihre Umgebung in schummriges Licht.

Vielleicht sollte ich tatsächlich nach Gorvul gehen, überlegte Minn. Bislang hatte die Hauptstadt mit ihren frömmelnden Bewohnern keine große Anziehungskraft auf sie ausgeübt. Aber was spielte das schon für eine Rolle, solange sie mit Toryan zusammen sein konnte. Seine Berührungen hatte sie sich gern gefallen lassen. Er war sanft, respekt­voll und leidenschaftlich. Er verstand sie und er brachte sie zum Lachen. So komisch das klang, sie hatte sich vom ersten Moment an bei ihm geborgen gefühlt. Und jetzt, nach ihrem Wiedersehen, wusste sie sicher, dass auch sie ihm etwas bedeutete.

Aber ich hab ihn versetzt, warf sie sich vor. Jetzt hält er mich bestimmt für eine dieser Dirnen, die von Bett zu Bett hüpfen wie Grillen von Halm zu Halm.

Sie wollte nicht, dass er so von ihr dachte. Sie wollte ihn wiedersehen.

»… ganz schön dreist, wenn du denkst, dafür drei Rindslenden zu bekommen«, riss eine Stimme sie aus ihren Gedanken. Sie kam vom Metzgerladen ums Eck.

Minns Neugier war geweckt. Sie ignorierte das Stimmchen im Hinterkopf, das sie daran erinnerte, was ihre Neugier ihr wenige Stunden zuvor eingebracht hatte. Stattdessen suchte sie sich einen Winkel in einem Hauseingang, von dem aus sie einen guten Blick auf den Laden hatte, ohne selbst gesehen zu werden. Unter der Eingangstür, in deren Querbalken ein Schweinekopf und zwei gekreuzte Beile geschnitzt waren, stand der Fleischer Haerns, die Arme über der fleckigen Schürze verschränkt. Seine Äuglein unter dem hellblonden Haar glichen denen der Säue, die er verarbeitete, die Wangen ähnelten Hundelefzen. Minn mochte ihn nicht. Der Kerl war grober als die Leberwurst, die als seine Spezialität galt. Vor allem Fremde konnte er nicht leiden. So wie den schlanken Mann, der vor ihm stand und ihn mit einer Mischung aus Spott und Fassungslosigkeit ansah. »Was ist das Problem?«, fragte Rojin der Freischärler.

»Deine Barschaft. So komische Münzen nehm ich nicht.«

»Also, ich bin der Letzte, der Streit sucht. Aber diese Münzen sind offizielles Zahlungsmittel. Auch in Eschgard.«

»Leg noch zwei von den silbernen drauf und ich erinner’ mich vielleicht daran«, feixte Haerns.

Rojins Augen verengten sich. »Ist das Fleisch mit Edelsteinen gesalzen, oder was?«

»Tu’s oder lass es.«

»Ich geb dir eine Münze mehr, und auch nur, weil ich weder Zeit noch Lust habe zu streiten.« Rojins Stimme wurde gefährlich ruhig. »Oder soll ich bei Kardinal Armengal erwähnen, wie ich hier bedient wurde?«

Das gehässige Grinsen wich aus dem Gesicht des Fleischers. Einen Augenblick schien es, als würde er handgreiflich werden, doch dann trat er beiseite und ließ den Freischärler eintreten. Kurz darauf verließ dieser den Laden wieder, unterm Arm ein Paket.

Im Nachhinein wusste Minn nicht zu sagen, was beim dreimal vermale­deiten Donnerkeil sie dazu gebracht hatte, ihre Pflicht aufzuschieben und ihm mit etwas Abstand zu folgen. Nur dass ihr Leben danach nie wieder dasselbe war.

Schwingenfall

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