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2.1.4 Die Zwänge der Öffentlichkeit: symbolischeDependenzsymbolische Auslagerung Auslagerungensymbolische Auslagerung

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Ich gehe aus methodischen Gründen davon aus, dass das, was die Interpretin zu ihrer interpretativen Aufgabe mitbringt, zunächst nicht mehr ist als ein genetisch ererbtesererbt (vs. erworben) und im Lebensvollzug ausgeprägteserworben (vs. ererbt) Know-howKnow-how zur Unterscheidung zwischen Dingen/Gegenständen auf der einen und Eventualitäten auf der anderen Seite. Eventualitäten sind Zustände wie das Blausein eines Buches, Prozesse wie das Erkalten des Bodens, Aktivitäten wie das Singen des Vaters oder das Lächeln der Mutter, oder Kombinationen aus diesen wie das Ereignis des Aufgießens von Earl Grey. Dieses beinhaltet beispielsweise die Aktivitäten des Hebens, Neigens, Gießens und den Prozess des Fließens. Bei dieser Charakterisierung von Eventualitäten ist bereits zu erkennen, dass Eventualitäten streng genommen nichts von den Dingen Unterschiedenes, nichts neben den Dingen sind, sondern diesen zugesprochen werden, um sie zu bestimmen. Die Interpretin kann aber weder auf das Blaue zeigen, ohne gleichzeitig auf das Buch zu zeigen, noch kann sie sich ein Singen vorstellenVorstellung, ohne sich jemanden vorzustellen, der singt. Das Blausein manifestiert sich für sie am Buch und das Singen am Vater, ohne etwas von dem jeweiligen Gegenstand Verschiedenes zu sein. Der Zustand des Blauseins und die Aktivität des Singens sind Bestimmungen, die sie an den Gegenständen vornimmt. Aus der übergeordneten Perspektive der Deutung von Eventualitäten hat unsere Interpretin, so wie wir alle, gute Karten, ihr Wohlergehen zu sichern, wenn sie beispielsweise in der Lage ist, Gegenstände als Steine zu erkennen und einen Prozess, in dem die Steine involviert sind, als ein auf-sie-zu-Fliegen.

Wenn der Schreiber nun auf konventionelle Weise spricht oder schreibt und dabei an die Eigenstruktur der Sprache gebunden ist, kann die Interpretin aber nicht davon ausgehen, dass diese Eigenstruktur in einem einfachen Verhältnis zu ihrem vorsprachlichen Umgang mit Dingen und Eventualitäten steht. Die sprachliche Eigenstruktur weist ihre eigenen Einteilungsschablonen auf, die sie den Vorstellungen bisweilen aufdrücken muss. Man sagt beispielsweise die Aufmerksamkeit auf etwas richten und die Aufmerksamkeit verlieren, als ob über einen Gegenstand geredet würde – die Aufmerksamkeit –, aber man käme sehr schnell in Verlegenheit, wenn man auf ihn zeigen sollte.

Der Schreiber von (4) hat zwei Gegenstände wahrgenommen und sie anschließend als Jünger beziehungsweise Mutter Jesu bestimmt, und er hat zwischen den beiden eine Eventualität des zu-sich-Nehmens erkannt. Aber diese vorsprachliche Tatsache hat zunächst keine zwingenden Konsequenzen für seine Äußerung. Sie zwingt ihn nicht, die als Jünger beziehungsweise Mutter bestimmten Gegenstände mit Substantiven und die Eventualität mit einem Verb und einer Präposition auszudrücken, wie deutsche Muttersprachlerinnen dies vielleicht als natürlich empfinden würden. Wir könnten uns nämlich sehr gut unabgeleitete Verben wie jüngern, muttern und jesussen oder unabgeleitete Adjektive wie jünger (hier nicht als komparativ zu jung), mutter und jesus vorstellen, die so etwas bedeuten würden wie ‚tun, was ein Jünger/eine Mutter/Jesus tut‘ beziehungsweise ‚jünger-/mutter-/jesushaft‘ und wir könnten uns ein unabgeleitetes Substantiv Nehm vorstellen, das ‚jemanden, der nimmt‘ bezeichnet. Nur gibt es diese Möglichkeiten im Dudendeutschen nicht. Das normierte Standarddeutsche weist hier lexikalische Lücken auf. Aber es könnte diese Möglichkeiten geben, wie es Spitze, spitzen und spitz gibt. Abseits vom Dudendeutschen wird beispielsweise tatsächlich das Verb muttern verwendet und in der Sprache der Yuma werden Verwandtschaftsbeziehungen generell durch Verben ausgedrückt.1

Der Schreiber war also nicht gezwungen, der Jünger … nahm zu schreiben, es wären auch der Nehmer jüngerte oder Ähnliches denkbar gewesen. Seine Sprache erlaubt ihm, eine Bestimmung des Gegenstandes (Jüngersein) in das Substantiv einzulagern (Jünger), eine andere in das Verb und die Präposition (nehmen … zu) und eine dritte in das Adjektiv auszulagern (zum Beispiel langfüßig). Bei aller hypothetischen Unbeschränktheit ist aber auffällig, dass die Sprachen der Welt nicht zufällig darin variieren, welche Bestimmungen von Gegenständen sie in welche Wortartensyntaktische KategorieWortartWortart ein- oder auslagern. Darin ähneln sie sich sogar weitgehend.2 Ich möchte jede einzelne dieser Bestimmungen als eine konventionalisierte AspektvereinseitigungAspektvereinseitigung des betreffenden Gegenstandes auf Kosten anderer möglicher Aspektvereinseitigungen charakterisieren. Ein Gegenstand, dem das Jüngersein zugesprochen wird, ist niemals nur ein Jünger und sonst nichts, und wenn ihm außerdem zugeschrieben wird, dass er etwas nimmt, tut er immer auch etwas anderes als zu nehmen. Wir können aber möglicherweise sagen, dass ihm das Jüngersein länger zukommt und für uns eher als ein konstantes Unterscheidungsmerkmal dienen kann als sein Nehmen. Raumzeitlich konstante Eigenschaften wie Menschsein, Steinsein, Baumsein, Telefonsein, Jüngersein, Muttersein oder Jesussein, die für uns pertinentePertinenz Kriterien für die Unterscheidbarkeit, Erkennbarkeit und Handhabbarkeit von Gegenständen sind, finden wir eher in (unabgeleitete) Substantive eingelagert, während wir dynamische, variable Bestimmungen, die einem Gegenstand bald zukommen, bald nicht zukommen, wie zu greifen, zuzuhören, betrunken zu sein oder etwas zu nehmen, eher in (unabgeleitete) Verben ausgelagert finden.

Der Begriff der Auslagerung bedarf vielleicht einer Erläuterung. Während in der bestimmten VorstellungVorstellung eine Eventualität nichts von dem Gegenstand Verschiedenes ist, an dem sie sich manifestiert, müssen im sprachlichen Ausdruck manche Eventualitäten symbolisch in den Gegenstand ein- beziehungsweise aus dem Gegenstand ausgelagert werden, so wie das Jüngersein im Substantiv eingelagert und das Nehmen in das Verb ausgelagert ist. Wir bekommen neben Jünger (und Mutter) auch noch nahm.

Diese Notwendigkeit zur symbolischen Auslagerung ist einer der Kompromisse aus TreueTreue (vs. Sparsamkeit) und SparsamkeitSparsamkeit (vs. Treue), die die menschliche Sprache kennzeichnen und die zu durchschauen zum grundlegendsten sprachlichen Know-howKnow-how gehört. Denn was wäre die Alternative zu einer solchen symbolischen Auslagerung? Wir bräuchten einen Ausdruck, der die Einheit aus Gegenstand und Eventualität treu abbildet, aber so, dass er von anderen Ausdrücken für andere Gegenstände und deren Eventualitäten unterscheidbar wäre. Mit anderen Worten, wir bräuchten einen holistischen, das heißt in seiner Binnenstruktur ungegliederten Ausdruck für einen springenden Jünger, einen (völlig) anderen Ausdruck für einen sich duckenden Jünger, wieder einen (völlig) anderen für einen nehmenden Jünger, ja sogar für einen die Mutter Jesu nehmenden Jünger und so weiter. Und der Ausdruck für eine springende Mutter wäre natürlich ein (völlig) anderer als der für einen springenden Jünger. Es ist leicht einzusehen, dass sich ein solches kommunikatives Verkehrsmittel niemals durchsetzen könnte, aus dem einfachen Grund, dass es angesichts der erforderlichen Anwendungsbreite für Menschen kaum lernbar sein dürfte. Was wir tatsächlich haben, ist ein kommunikatives Verkehrsmittel, in dem Aspekte von Vorstellungen aus diesen Vorstellungen symbolisch ausgelagert werden. Wir erhalten ein trennbares sprachliches Nebeneinander, wo wir ein untrennbares Ineinander in der Vorstellung haben. Das führt nun aber zu einer bedeutenden Asymmetrie im sprachlichen Ausdruck: Für die VorstellungVorstellung von Eventualitäten auf der Basis von sprachlichen Ausdrücken ist es nötig, sich die Dinge, an denen sie sich manifestieren, mit vorzustellen, während es umgekehrt möglich ist, sich Dinge in so etwas wie einer Null-Eventualität vorzustellen, die meistens dem Ruhezustand entspricht. Das heißt, die Leserin muss sich, um sich auf der Basis von nahm eine Beziehung des Nehmens vorstellen zu können, etwas vorstellen, an dem sich das Nehmen manifestiert. Dazu gehören ein Nehmer und ein Genommenes.

Die Kompromisslösung der symbolischen Auslagerung führt somit zu DependenzDependenz in der Sprache: Um sich auf Basis eines Ausdrucks, zum Beispiel nahm, etwas vorstellen zu können, ist es nötig, sich etwas anderes vorzustellen – den Nehmer und das Genommene. Es kann natürlich sein, dass der in diesem Verhältnis abhängige Ausdruck (nahm) in Relation zu einem dritten Ausdruck wiederum der unabhängigere Teil ist. Um sich nämlich auf der Basis von zu etwas Gerichtetes vorzustellen, muss die Interpretin sich das, woran es sich manifestiert, und die räumlichen Bezugspunkte vorstellen. Da Gerichtetheit wiederum nur einen Aspekt einer Eventualität und nicht die Eventualität selbst bezeichnet, muss die Interpretin sich also auch noch eine Eventualität vorstellen, von der Gerichtetheit einen Aspekt darstellt. Nahm drückt eine solche Eventualität aus, nahm und zu sind zwei Bestandteile der gleichen Äußerung und sie befinden sich bei der Interpretation der Äußerung in relativer räumlicher und zeitlicher Nähe zueinander. Es liegt dann für die Leserin nahe, anhand beider eine komplexe Vorstellung eines gerichteten Nehmens zu konstruieren.

Was nach einer recht statischen Kompositionsleistung klingt, ist in Wirklichkeit hochgradig dynamisch. Denn je nachdem, welche anderen Vorstellungen und Vorstellungsaspekte zur Vorstellungskonstruktion auf der Basis von zu oder nahm verwendet werden, ändert dies die gesamte komplexe Vorstellung der Aktivität des Nehmens. Nehmen ist beispielsweise einer der wenigen Eventualitätsausdrücke (im Deutschen), die nicht nur die Art und Weise einer Aktivität ausdrücken, sondern in den auch gleichzeitig der Aspekt der Gerichtetheit schon eingelagert ist. Ein Nehmen ist – zumindest in der entscheidenden Endphase – auf den Nehmer gerichtet. Andernfalls wäre es kein Nehmen. Insofern kann die Leserin erschließen, dass die zusätzliche Angabe einer Gerichtetheit durch zu eine Modifikation der Vorstellung des Nehmens erfordert, so dass das Nehmen nicht nur auf den Nehmer gerichtet ist, wofür nahm auch ohne zu gereicht hätte, sondern dass der Nehmer und das Genommene zusätzlich in einer mitgemeinten zweiten Eventualität, zum Beispiel einer des Gehens oder Bringens, auf etwas gerichtet sind. Da nahm der Jünger die Mutter Jesu zu sich … bedeutet dann so etwas wie ‚Da nahm der Jünger die Mutter Jesu und brachte sie zu sich nach Hause‘ oder ‚… und ging mit ihr zu sich nach Hause‘.

Der Mensch und seine Grammatik

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