Читать книгу Die Rabenringe - Odinskind - Siri Pettersen - Страница 13
Ein Rätsel
ОглавлениеEin Rabe glitt durch den nächtlichen Wald, nur eine Armlänge von Rime entfernt. Den Flügelschlag fühlte er auf seinem Gesicht wie einen Atemhauch, bevor der Vogel in der Dunkelheit verschwand. Rime machte das Zeichen des Sehers.
Ein Stück weiter lag eine Gestalt auf dem Boden. Rime blieb stehen. Seine Hand umfasste den Schwertknauf, während er sich vergewisserte, dass sich niemand anderes im Wald verbarg. Der Mond war eine schmale Sichel, die mit Licht geizte. Er konnte Bewegungen erahnen, Wind, der mit den Zweigen spielte. Eine Nachtlomme stieß einen langen Klageruf aus, der unbeantwortet blieb. Sonst gab es keine Anzeichen von Leben. Rime war allein. Abgesehen von der Gestalt, die reglos vor ihm im Moos lag. Er ging näher heran. Schmächtig. Rothaarig. Ein aufgeschürftes Knie lugte durch einen Riss in der Hose. Hirka.
Das versetzte ihm einen Stich der Beunruhigung, er ging in die Hocke und legte ihr die Hand auf den Rücken. Sie atmete ruhig. Furchen im Moos verrieten, dass sie gestolpert und ausgerutscht war. Ihr Gesicht war schmutzig und das Strickhemd zerrissen, doch das war noch nie ganz gewesen, solange er zurückdenken konnte. Sie schien unversehrt. Bis auf die Hand, aber die hatte sie sich schon früher am Tag verletzt. Rime strich mit dem Finger über die Schramme in ihrer Handfläche. Sie zuckte leicht zusammen. Verrücktes Mädchen. Ein Herz wie eine Wölfin.
Sie hatte Vetle höchstwahrscheinlich das Leben gerettet. Vielleicht hatte sie das mehr erschreckt, als ihr anzumerken war? Und war sie darum hierher zurückgekehrt, um der Angst zu begegnen? Aber das sah Hirka nicht ähnlich. Rime schaute sich um. Ganz in ihrer Nähe lag ein umgeworfener Korb. Sie war gelaufen. War vor irgendetwas oder irgendwem weggelaufen.
Wusste sie es? Hatte sie ihn gesehen?
Nein. Natürlich nicht. Er war vorsichtig. Er übte in der grasbewachsenen Senke auf dem Gipfel des Vargtind. Die Gabe war dort am stärksten. Nicht allzu viele trauten sich dort hoch und wenn wider Erwarten doch jemand käme, würde er es schon von Weitem hören. Außerdem würden sie nicht begreifen, was sie da sahen. Ein Leibgardist, der sich in Kampfkunst übte. Ein Krieger. Ein Schwertschwinger. Nichts Ungewöhnliches. Das Sicherste wäre es natürlich, sich unauffällig zu verhalten, während er hier war, aber er hatte Verpflichtungen. Er musste die Zeit nutzen, um stärker zu werden. Um …
Um Ilume aus dem Weg zu gehen.
Ilume war heute Abend von ihrer Reise zurückgekehrt, die seiner Erwartung nach der letzte halbwegs freundschaftliche Handschlag zwischen Ravnhov und Mannfalla war. Zwischen Norden und Süden. Er hatte die Ankunft der Wagen gesehen, hatte aber weitergeübt. Hatte den Heimweg aufgeschoben, bis der Mond aufging. Bis er sicher sein konnte, dass seine Großmutter zu Bett gegangen war. Das war schwach von ihm. Unwürdig. Die Gewissheit, dass er feige gewesen war, lachte ihn aus.
Der Klageruf der Nachtlomme erscholl abermals. Rime musste Hirka nach Hause bringen, bevor die Kälte sie krank machte. Sie lag auf der Seite, so konnte er sie problemlos auf die Arme nehmen. Er tastete nach dem Schwanz, bis ihm wieder einfiel, dass sie ihn als Kleinkind eingebüßt hatte. Aber das machte es nur einfacher. Der Korb wog fast nichts, sodass er leicht an seinen Fingern hing. Sie gab eine Art Knurren von sich und ihr Kopf fiel auf seine Brust, aber sie wachte nicht auf.
Man konnte überlegen, was ihr zugestoßen sein mochte, aber darüber zu grübeln, das hatte Rime schon lange aufgegeben. Hirka war drei Jahre jünger als er und sie lief überall dort herum, wo sonst niemand hinging, machte Dinge, die sonst niemand tat. Sie brauchte nur selten einen Grund, um im Streitwasser zu schwimmen. Oder unten an den Landungsbrücken von Hausdach zu Hausdach zu springen, durchzubrechen und stecken zu bleiben, sodass die Männer sie von innen befreien mussten.
Rime lächelte. Hirka wusste nicht, was sie ausgelöst hatte. Sie hatte kaum einen Winter in Elveroa gewohnt, als Rime mit Ilume dorthin kam. Er war gerade zwölf Winter alt und noch nie jemandem wie ihr begegnet. Er war in Mannfalla aufgewachsen, im Haus des Sehers, unter Seinen Fittichen. Er hatte natürlich andere Kinder kennengelernt, aber sie kamen immer mit ihren Eltern und waren so ausstaffiert, dass sie sich kaum bewegen konnten. Stumm und mit großen Augen hatten sie ihn angestarrt – einen gleichaltrigen Jungen, der mit geradem Rücken zwischen den Wächtern des Rates saß, um ihnen die Hand aufzulegen. Als hätte jemals einer aus dem Grund länger gelebt. Nicht einmal als Zwölfjähriger hatte er an seinen eigenen Mythos geglaubt, aber solange andere es taten, war sein Schicksal besiegelt. War sein Tun und Handeln unauflöslich mit den Wünschen des Volkes nach Segnung verbunden.
Nach Elveroa zu kommen, war die Flucht gewesen, die er nie für möglich gehalten hatte. Ein kleiner Ort, weit entfernt von den Korridoren in Eisvaldr. In Elveroa waren die Kinder schmutzig. Sie stromerten herum und verletzten sich. Bluteten. Und keins mehr als Hirka. Kolgrim hatte als Erster versucht, das neue Mädchen zusammenzustauchen. Als Antwort darauf hatte sie ihn windelweich geprügelt, was für Kolgrim eine neue Erfahrung war. Sie reichte ihm nicht einmal bis zum Hals, war aber flinkfüßig wie eine Wildkatze.
Rime hatte dem ein Ende gemacht. Schockiert von ihrem ungestümen Verhalten, hatte er sich zwischen die beiden geworfen. Hirkas Faust hatte seine Unterlippe erwischt und er hatte sein eigenes Blut geschmeckt. Das passierte allerdings nicht zum ersten Mal. Ein Sohn von Ratsleuten kannte die Wege des Schwertes und wurde von Kindesbeinen an darin unterwiesen. Doch zum ersten Mal hatte ein anderes Lebewesen jenseits von Eisvaldrs Mauern die Hand gegen ihn erhoben. Er hatte das Blut abgewischt und abwechselnd die rote Farbe auf der Hand und das genauso rote Haar des Mädchens, das ihn geschlagen hatte, angestarrt. Es hatte ihn schief angelächelt und mit den Schultern gezuckt, als habe er selbst Schuld.
Rime erinnerte sich, wie er sich ängstlich nach Kolgrim umgeschaut hatte. Wenn der Vorfall Ilume zu Ohren käme, würde es Hirka im besten Fall die Hand kosten, im schlimmsten Fall das Leben. Zweifellos würde man ihm dieses ungezähmte Wesen wegnehmen. So weit durfte es nicht kommen. Darum schlossen sie einen Pakt, feierlich und halb feindselig, so wie es nur Kinder können, und sie behielten es für sich. Das war der Tag, an dem der Kampf um die Kerben begann, und danach hatte dieses Bündnis sie beide beinahe erledigt, mehrere Male. Sie waren zusammen geschwommen, bis sie beinahe ertranken, sie waren geklettert, bis die Finger brachen, sie waren aus großer Höhe gesprungen, bis sie übel zugerichtet waren. Keiner wollte schlechter abschneiden als der andere. So viel Leidenschaft und so viele Schmerzen. Alles nur wegen der Kerben. Wertlose geritzte Striche, die die Stellung in einem immerwährenden Zweikampf anzeigten. Aber Rime konnte sich nicht entsinnen, sie jemals weinen gesehen zu haben.
Er schaute die schmächtige Gestalt an, die in seinen Armen schlief. Hirkas rotes Haar war zerzaust und die Hände waren wund. Erde klebte auf den nassen Spuren in ihrem Gesicht. Rime trug sie lautlos durch den Wald. Das Einfachste wäre es gewesen, sie zu wecken, doch er sah sie gern schlafen. Ihr Gesicht war so offen. Ohne Maske. Er wollte, dass es möglichst lange so blieb. Außerdem wusste er, dass sie wütend werden würde, wenn sie aufwachte und feststellte, dass sie wie ein Kind getragen worden war.
Rime lächelte. Er ließ den Wald hinter sich und kam auf den Hügelkamm über Elveroa. Das schlafende Zuhause, das er bald für immer verlassen würde. Der Nebel schlängelte sich durch die Beerensträucher auf dem Weg hinunter in die Ansiedlung. Nur das ferne Rauschen des Streitwassers war zu hören. War es hier schon immer so schön gewesen?
Ich habe meinen Weg gewählt.
Hirka schmiegte sich enger an ihn. Wie sollte er es anstellen, Thorrald zu wecken, aber nicht Hirka? Er konnte doch nicht einfach in die Hütte gehen …
Rime entdeckte plötzlich einen Schatten, der sich weiter oben auf dem Hügel bewegte. Instinktiv hockte er sich mit Hirka im Arm hin. Was stellte er sich denn vor? Er war jetzt in Elveroa, hier gab es keine Feinde, keine Gefahr. Er erhob sich wieder. Der Schatten wurde zu einer breitschultrigen Gestalt mit … Rädern?
Thorrald. Hirkas Vater, in der seltsamen Vorrichtung aus Wagenrädern und Stahl. Ein Geniestreich des Schmiedes. Ein Stuhl, in dem er sich fortbewegen konnte, ohne Hilfe. Zumindest drinnen. Draußen war es schwieriger. Doch er hatte sich ein gutes Stück von dem kleinen Haus entfernt, obwohl er offensichtlich Probleme hatte, durch das Gras zu kommen. Seine Bewegungen hatten fast etwas Panisches. Rime ging auf ihn zu.
Thorrald sah erleichtert aus, als er sie sah. Doch das hielt nur wenige Sekunden an, dann verfinsterte sich seine Miene wieder.
»Gib sie mir!«, knurrte er und streckte die muskulösen Arme aus.
Rime war es gewohnt, Furcht und Begehren in den Augen anderer zu lesen, aber das hier war eine andere Art von Furcht. Eine, die er nicht kannte.
»Sie schläft«, flüsterte er. »Ich habe sie an der Alldjup-Schlucht gefunden.«
Er hatte es nicht als Frage gemeint, aber er hörte, dass es wie eine klang. Thorralds Blick fiel auf Hirka und seine Schultern entspannten sich. Er fuhr sich müde mit der Hand übers Gesicht.
»Sie hat … es schwer gehabt.«
Rime setzte seinen Weg zur Hütte fort, ohne etwas zu erwidern. Er hörte hinter sich die Wagenräder knarren. Die Nacht war kühl. Keiner sagte noch ein Wort. Die Umrisse der Blockhütte zeichneten sich auf dem Felsvorsprung ab. Die Kohlekate. Mehr als zwanzig Jahre hatte sie unberührt dort gestanden, seit Männer der Ratswache sie in Brand gesteckt und den rechtlosen Besitzer verschleppt hatten. Der Wind hatte die Hütte gerettet, aber niemand hatte sich hingetraut, weder um dort zu wohnen, noch um sie abzureißen. Der Seher habe ja schließlich gewollt, dass sie abbrannte. Rime seufzte. Der Seher hatte zwar viele Absichten, aber Häuser zu bauen oder abzureißen gehörte wohl kaum dazu. Das hatten Thorrald und Hirka offenbar auch so gesehen.
Er zog den Kopf ein und ging hinein. Von Hirkas Gewicht schmerzten ihm die Arme auf angenehme Weise. Es glomm in der Feuerstelle. Schläft heute Nacht denn niemand?
Das Zimmer war klein und beinahe zu warm. Die Wände bedeckten Regale mit Kruken, Schachteln und Flaschen in allen Größen und Formen. Tees, wohin man auch blickte. Getrocknete Heilpflanzen hingen an Schnüren von der Decke und es duftete nach Minze und exotischen Kräutern. Etwas zu exotisch, wenn man den Gerüchten Glauben schenken wollte. Rime hatte gehört, dass Thorrald mit Gewächsen handelte, die auf der schwarzen Liste standen, hatte aber Ilume gegenüber nie ein Wort darüber verloren. Das war nur ein weiteres Beispiel für eine Sache, die der Rat kontrollieren wollte, von der er aber bezweifelte, dass der Seher daran überhaupt einen Gedanken verschwendete.
Thorrald bedeutete Rime, er solle in die kleinere Seitenkammer gehen, wo ein hübsches Holzbett stand. Das Kopfende des Bettes war wie eine Blumenranke geschnitzt, in der sich Vogelflügel von der Mitte bis zu den Seiten ausbreiteten. Thorrald war für mehr als nur heilende Tees und Glücksamulette bekannt. Er war auch ein geschickter Holzschnitzer. Das hatte ihn bei einem Unfall auf Glimmeråsen die Beweglichkeit seiner Beine gekostet.
Rime fiel auf, dass die Ecken des Bettes ohne Nägel zusammengefügt waren, sodass es auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt werden konnte. Vielleicht brauchten sie manchmal den Platz für etwas anderes? Rime beneidete sie. Wenn man doch nur so leben könnte! Zwei kleine Zimmer, alles, was man besaß, in unmittelbarer Nähe. Die, mit denen man zusammenlebte, nie mehr als nur ein paar Schritte entfernt. Das war eine ganz andere Welt als das Gut An-Elderin zu Hause in Mannfalla. Rime war sich sicher, dass es dort Räume gab, die er noch nicht gesehen hatte. Man konnte an einem Ende des Hauses schreien, ohne dass es am anderen Ende gehört wurde. Nur gut, dass immer jemand in der Nähe war, der dafür sorgte, dass man das hatte, was man brauchte.
Rime tröstete sich damit, dass er diesem Leben ein für alle Mal den Rücken gekehrt hatte. Jetzt war alles anders. Er hatte seit drei Jahren nicht mehr in Seide geschlafen und würde es auch nie wieder tun. Er würde dem Seher auf seine eigene Art folgen. Er war fertig mit dem Rat. Für immer.
Er stellte den Korb auf den Boden und legte Hirka ins Bett. Er überließ es ihrem Vater, ihr die Schuhe aufzuschnüren und sie zuzudecken. Es war schön, die Arme wieder bewegen zu können, erschöpft aber war er nicht. In den letzten Jahren hatte er Schwereres länger getragen.
Rime kam sich wie ein Eindringling vor, denn aus irgendeinem Grund schien dies eine schwierige Nacht für Thorrald und Hirka zu sein, darum ging er wieder zur Tür.
»Du bist also zurück, Són-Rime?«, fragte Thorrald hinter ihm.
Der Titel lastete Rime schwer auf der Brust. Són. Sohn des Ratsgeschlechts. Das kleine Wort, das einen Abgrund zwischen ihm und allen anderen schuf. Er drehte sich wieder zu Thorrald um.
»Du hast mir den Unterarm mit acht Stichen genäht, als ich zwölf war. Und du hast nie ein Wort zu Ilume gesagt. Damals war ich einfach Rime, heute bin ich einfach Rime. Und ich bin nicht hergekommen, um zu bleiben. Ich werde Ilume nach Mannfalla begleiten.«
»Richtig, sie verlässt uns ja …« Thorrald fuhr sich mit der Hand ein paarmal über den Schädel. Es hörte sich an wie Schmirgelleder.
»Die meisten anderen haben wenigstens so viel Anstand, enttäuscht zu klingen«, sagte Rime und lächelte.
Thorrald antwortete darauf mit einem breiten Grinsen und legte die Arme auf den Tisch. Sie waren stark genug, um einen Ochsen zu stemmen. Er hatte eine Tintenstichelei auf dem Unterarm. Eine kleine Blume, nicht größer als ein Fingerglied. Mit der Zeit war die blaue Farbe verblasst und die Konturen waren unscharf geworden.
»Willst du etwas essen? Wir haben Heilbuttsuppe. Sie ist einfach, aber frisch.« Thorrald drehte sich zum Feuer um und stellte den Topf über die Glut. »Die ist im Handumdrehen heiß.« Seine Stimme verriet, dass er eigentlich keine Gesellschaft haben wollte.
»Das ist nett von dir, Thorrald, aber ich muss zurück«, antwortete Rime und setzte sich dennoch.
Thorrald starrte ihn an. Rime konnte die gleiche Vorsicht in seinem Blick sehen wie in Hirkas. Eine neue Distanz. Sie kannten ihn nicht mehr. Er war keiner von ihnen.
»Also, was machen wir jetzt, Rime? Wir gewöhnlichen Sterblichen? Auf Krieg warten?« Thorrald beugte sich über den Tisch. Rime kratzte sich an der Nase, um ein Lächeln zu verbergen. Thorralds ziemlich freche Frage hatte die Distanz zwischen ihnen schrumpfen lassen und das Gefühl genoss er.
»Ravnhov und Mannfalla schlagen auf die Schilde. Das haben sie immer getan«, antwortete Rime und wusste, dass er sicherer klang, als er war.
»Schlagen auf die Schilde?«
»Davon wird niemand sterben, Thorrald.«
»Niemand von euch vielleicht.« Thorrald lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Die Kluft zwischen ihnen tat sich wieder auf. Rime erhob sich. Er hätte viel darum gegeben, für immer bleiben zu können. Sich über Wind und Wetter zu unterhalten. Am nächsten Morgen aufzustehen und vielleicht nach draußen zu gehen und die Brandschäden auf dem Dach gemeinsam mit diesem Mann zu reparieren. Aber auch in diese Welt gehörte Rime nicht.
Thorrald lächelte bedrückt. »Danke, dass du da warst, Rime. Für Hirka.«
»Sie war auch immer für mich da«, antwortete Rime.
Thorralds Augen weiteten sich genug, um Überraschung und Misstrauen zu verraten. Er hatte sich schon immer von Leuten ferngehalten und Hirka gehütet wie einen Schatz. Er hatte nie gewusst, wie oft Rime und Hirka sich getroffen hatten, und vielleicht wäre es besser gewesen, es dabei zu belassen. Aber es war nicht mehr von Bedeutung. Das war vorbei.
Rime ging nach draußen und schloss die Tür hinter sich. Seine Schritte führten ihn an den Rand des grasbewachsenen Felsvorsprungs, wo er stehen blieb und auf Elveroa hinunterblickte, das in der Dunkelheit lag. Die drei letzten Jahre hatten ihn gelehrt, mit der Vergänglichkeit umzugehen. Das war das erste Gebot des Sehers: Nichts ist vollendet, nichts währt ewig. Dennoch empfand er Trauer über das, was er hinter sich lassen würde. Er verließ mehr als den Rat. Mehr als die Familien in Mannfalla und mehr als Ilume.
Ein Rabe schrie vom Dach der Hütte. Es klang wie das heisere Lachen eines weisen Mannes. ›Was-sag-ich? Was-sag-ich?‹ Wer weiß, was der Rabe sagt, lautete ein altes Sprichwort aus Blossa. Dies war schon der zweite Rabe, den er diese Nacht gesehen hatte. Rime machte wieder das Zeichen des Sehers. Selbst nach einem Leben unter Seinen Fittichen war Rime nicht in der Lage, die Worte des Raben zu deuten. Hätte er es gekonnt, hätte der Vogel ihm vielleicht einen Rat gegeben. Morgen würde er Ilume An-Elderin gegenüberstehen, der Mutter seiner Mutter, einer der mächtigsten Frauen der Welt.
Er holte tief Luft, stieg über eine gefällte Birke und machte sich auf ins Tal.