Читать книгу Der Archivar der Seelen - Soern Pohl - Страница 15

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Es sind der Schmerz und die Panik, die Erkenntnis in den Augen seines Opfers, die ihm die Befriedigung, die Mixtur aus Adrenalin und zugleich innerer Ruhe verschaffen.

Jeremiah lässt sich Zeit mit dem Mann. Er quält ihn, foltert ihn und zieht dessen Tod solange heraus, bis der Mann seinen Verstand verliert. Er erkennt es in den Augen, wenn etwas in dem Menschen zerbricht und der einzige Ausweg bleibt, die Welt um sich herum auszublenden, um vor den Qualen und Schmerzen zu flüchten. Es ist der Punkt, an dem es kein Zurück mehr gibt, keine Möglichkeit mehr gegeben ist, den Verstand wieder zu heilen. Es ist der Moment, in dem Jeremiah sein Urteil mit einem Kopfschuss final vollstreckt.

Jeremiah verspürt keine Gewissensbisse, keine belastenden Gefühle, die ihn in seinem Schlaf verfolgen oder ihn immer wieder heimsuchen. Vielmehr vollzieht er gewissenhaft, mit versteinerter Miene sein Werk. Er hat eine Aufgabe und die gilt es, zu Ende zu führen. Er schenkt keine Gnade, hatten diese Menschen doch ihren Opfern auch keine gegeben. Sie sollen durchleben, was sie anderen angetan haben, als Ausgleich für all die Schmerzen und Qualen, die sie verursacht haben. Und Jeremiah ist derjenige, der im Namen der Opfer Gerechtigkeit vollzieht.

Er blickt um sich. Eine kleine Jagdhütte außerhalb der Stadt. Es ist der Ort, an den der Mann die Frauen entführte, sie misshandelte und sich an ihnen immer wieder verging. Er hielt sie sich dort, bis er ihrer leid wurde oder er eine neue Trophäe für seine Sammlung auf der Straße entdeckte. Selbst den Tod der Frauen zelebrierte er auf brutalste Art. Immer in anderen Varianten, um sich nicht zu langweilen und kein Muster entstehen zu lassen, das Rückschlüsse auf einen Serientäter zuließ. Der Mann war intelligent und in der Gesellschaft bis zu einem gewissen Grad etabliert. Er lebte zurückgezogen, aber nicht als Eigenbrötler. Er pflegte einen gesellschaftlichen Umgang, ging aber keine tiefen Freundschaften ein. Er wurde wahrgenommen und war zugleich unsichtbar. Niemand hätte aufgrund der oberflächlichen Bekanntheit des Mannes erahnen können, welche monströsen Abgründe sich hinter seiner Fassade auftaten. Der Mann stellte es geschickt an. Er ließ immer wieder Zeit zwischen seinen Opfern vergehen, suchte sich Frauen, die keine Familie hatten oder neu in die Stadt gekommen waren und niemanden kannten. Für ihn begann die Jagd bereits mit der Auswahl der Frau, das Erforschen ihres Alltages, die Überlegungen, wie er am Ende zuschlagen würde, die Fantasien, was er alles an ihr ausleben konnte.

Jeremiah war es egal, was den Mann antrieb. Es interessierte ihn nicht, aus welchem Grund er die Taten beging. Er hatte das Buch nicht vollständig gelesen. Stattdessen suchte er die Kapitel, welche die Morde beschrieben, alles dazwischen las er nur flüchtig. Er sah keinen Grund, sich mit diesem kranken Menschen weiter zu beschäftigen. Nachdem er genügend der Gräueltaten gelesen hatte, war sein Urteil gefällt und er nahm die Verfolgung auf.

Wie in all den Jahren zuvor begann er damit, den Alltag seines Opfers zu erlernen. Wann stand der Mann auf, wo ging er hin, wo und wie lange arbeitete er, welche Läden besuchte er und wann ging sein Opfer selbst auf die Jagd. Jeremiah hatte jahrelange Routine, daher fiel es ihm nicht schwer, die notwendigen Informationen zu sammeln. Schnell fand er heraus, wie das Leben des Mannes funktionierte. Das Einzige, was Jeremiah noch fehlte, war ein Beweis dafür, dass er einen Verbrecher vor sich hatte. Das Buch, die darin beschriebenen Taten reichten ihm nicht aus. Dazu war sein Vertrauen in die Quelle zu wenig ausgeprägt. Sein Gespür bestätigte das Potential zu diesen Gräueltaten, aber er hatte keine Fakten. Zwei Wochen vergingen, dann erhielt er sie.

Der Mann hatte sich eine neue Frau ausgesucht. Maren arbeitete als Kellnerin in einem Café. Sie war Anfang zwanzig, gerade in die Stadt gezogen, um zu studieren und kannte niemanden. Anfangs besuchte der Mann immer öfter das Café, beobachtete Maren unauffällig, gab sich charmant und freundlich, aber nicht aufdringlich. Langsam kamen sie ins Gespräch, tauschten Freundlichkeiten aus und bauten eine leichte Vertrauensbasis auf. Nichts Tiefgehendes, einzig auf nette Worte und zurückhaltendes, freundliches Verhalten beruhend. Maren bemerkte in all der Zeit nicht, dass der Mann sie verfolgte. Wie Jeremiah hatte er sein Verhalten professionalisiert. Er tauchte in der Menge unter, verfolgte ihre Schritte, lernte ihr Verhalten und ihren Alltag. Und während er all das tat, folgte ihm wiederum Jeremiah und war Zeuge der sich anbahnenden Grausamkeit.

Nach weiteren drei Wochen, an einem Freitagabend, bot der Mann an, Maren nach der Arbeit nach Hause zu fahren. Jeremiah saß auf der gegenüberliegenden Straßenseite in seinem Wagen und beobachtete die Szenerie. Angespannt und unter höchster Konzentration verfolgte er, wie die beiden das Café verließen, zu dem Wagen des Mannes gingen, sich unterhielten, lachten und einstiegen. Das Auto fuhr los und Jeremiah startete seinen Wagen. Er war sich sicher, die Jagd ging zu Ende.

Zwei Nebenstraßen später hielt der Wagen des Mannes. Es ging alles blitzschnell. Der Mann schlug Maren mit der Faust hart ins Gesicht. Ihr Kopf krachte zur Seite und bevor sie die Situation vollständig erfassen konnte, verpasste er ihr die Betäubung. Jeremiah parkte ein wenig entfernt und nahm alles in sich auf. Noch war es nicht zu Ende und er benötigte einen letzten Beweis.

Die Fahrt setzte sich fort und nach einer Stunde kamen sie in einer kleinen Jagdhütte in mitten eines dichten Waldes an. Jeremiah hielt sich so weit zurück wie möglich. Er hatte eine Vermutung, wo sich die Hütte befand, hatte er doch zuvor aufgrund der Einträge in dem Buch und seinen Beobachtungen das Gebiet auf ein kleines Stück eingegrenzt. Nachdem er ungefähr wusste, wo er zu suchen hatte, war es nicht weiter schwer, die Hütte zu finden. So konnte er unentdeckt, mit großem Abstand, dem Wagen folgen und den Mann in Sicherheit wiegen.

Er war in keiner Eile, als er über den kleinen Waldpfad fuhr. Seine Gedanken waren nicht bei Maren, sondern kreisten ausschließlich darum, wie er sich die letzte Gewissheit verschaffen konnte. Er musste so lange wie möglich unentdeckt bleiben und zugleich genügend sehen, um sich ganz sicher zu sein. Ein ganzes Stück vor der Hütte hielt er seinen Wagen mitten im Wald an und legte den Rest zu Fuß zurück.

Die Hütte war dicht umgeben von Bäumen und somit von weitem nicht einsehbar. Langsam und vorsichtig schlich er heran und nahm mit regungsloser Miene den Wagen des Mannes vor der Hütte wahr. Er lag also richtig und bis jetzt wurden die Schilderungen des Buches bestätigt. Die Fenster waren mit hölzernen Rollläden geschlossen und er hatte keine Möglichkeit, einen Blick in das Innere zu werfen. Er spürte keine Eile, keinen Drang, Maren zu Hilfe zu kommen. Er empfand nichts für sie. Sie war der Beweis, den er benötigte, um Gewissheit zu erlangen.

Jeremiah verharrte hinter den Bäumen und wartete. Kein Laut, kein Anzeichen von Leben drang aus der Hütte und er traf eine Entscheidung. Er zog sich eine schwarze Skimaske über sein Gesicht, nahm seine Waffe, entsicherte sie und ging auf die Hütte zu. Vorsichtig näherte er sich der Tür, darauf bedacht, kein Geräusch zu verursachen. Behutsam trat er auf die Holzveranda, lauschte auf das Knarzen der Bretter und nahm zufrieden zur Kenntnis, dass nichts geschah. Mit ruhiger Hand nahm er die Türklinke in die Hand und drückte sie hinab. Überrascht stellte er fest, dass die Tür nicht verschlossen war. Ein grimmiges Lächeln lag auf seinen Lippen. Der Mann hatte einen entscheidenden Fehler begangen.

Vorsichtig öffnete er die Tür, bereit, auf alles zu feuern, was sich ihm in den Weg stellen sollte. Die Tür stand nun einen Spalt offen und er lauschte in die Hütte. Kein Geräusch drang aus dem Raum vor ihm. Er atmete tief ein, versuchte, seinen inneren Schutzpanzer enger zu ziehen und sich für all das zu wappnen, was er gleich erblicken sollte. Aus den Schilderungen in dem Buch hatte er bereits eine Vorahnung, doch es zu lesen, war etwas anderes, als es zu sehen.

Leise betrat er die Hütte und stand im Wohn- und Essbereich. Der ganze Raum wirkte aufgeräumt und sauber. Es war sofort zu erkennen, dass die Räumlichkeiten regelmäßig genutzt wurden. Die Einrichtung war schlicht, zweckmäßig und nichts Besonderes. Jeremiah zog leise die Tür hinter sich zu und verschloss sie mit dem im Schloss steckenden Schlüssel.

Auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes befand sich eine weitere geschlossene Tür, die in den Nebenraum führte. Die Geräusche, die daraus drangen, ließen keinen weiteren Zweifel zu, aber Jeremiah musste es sehen, obwohl er wusste, dass sich die Bilder, wie so viele zuvor in all den Jahren, in sein Gedächtnis brennen würden. Er sicherte seine Waffe, steckte sie weg und zog seinen Taser aus der Manteltasche. Ein letztes, tiefes Ein- und Ausatmen und mit festen Schritten ging er auf die Tür zu und riss sie auf.

Der Anblick widerte ihn an. Maren lag nackt mit dem Rücken auf einem breiten Bett. Ihre Arme und Beine gespreizt, an den Bettpfosten festgekettet. Ihre Augen waren verbunden und die Spuren des Faustschlages waren deutlich in ihrem Gesicht zu erkennen. Sie wimmerte, flehte darum, verschont zu werden, ihre Beine zitterten unkontrolliert vor Panik. Der Mann, ebenfalls nackt, verging sich an ihr in einem wilden, animalischen Rhythmus. Er krallte sich in ihrem Körper fest und war völlig in seinen Rausch versunken. Als die Tür aufschlug, schleuderte er in einer Mischung aus Überraschung und Entsetzen seinen Kopf herum und blickte in den Taser, der ihn sofort traf und zu Boden warf. Jeremiah hielt länger darauf als nötig, um dem Mann einen Vorgeschmack darauf zu geben, was ihm bevorstand. Er lag zuckend und verkrampft am Boden und war den darauffolgenden Schlägen von Jeremiah völlig ausgeliefert.

Jeremiah handelte rasch und vorbereitet. Er zog Handschellen aus seinem Mantel, fixierte den Mann und verabreichte ihm eine Spritze, welche ihm vorerst das Bewusstsein raubte. Währenddessen verfiel Maren immer stärker in Panik. Sie schrie auf, ihr Körper zuckte unkontrolliert, durchflutet von Angst und Adrenalin. Jeremiah wartete einen Augenblick, bis die Erschöpfung Maren zwangsweise zur Ruhe kommen ließ. Kraftlos und panisch atmend lag sie da und lauschte in die sie umgebende Dunkelheit, während Jeremiah eine neue Spritze vorbereitete. Fest packte er ihren Arm und rammte ihr die Nadel hinein. Erneut schrie sie auf, aber das Mittel wirkte schnell und innerhalb weniger Sekunden verlor auch sie ihr Bewusstsein. Jeremiah wartete einen Moment und blickte sich in dem Raum um. Auf einem Stuhl war Marens Kleidung achtlos hingeworfen worden. Er nahm die Kleidungsstücke, löste ihre Fesseln an den Arm- und Beingelenken und begann, sie grob anzuziehen. Als er damit fertig war, hob er sie mühsam hoch. Deutlich spürte er die Anstrengung und die Folgen seines Alters. Schweiß brach ihm aus, während er Marens Körper unter größten Anstrengungen zu seinem Wagen brachte. Er legte sie auf den Rücksitz und ging wieder ins Haus. Dort hob er den Körper des Mannes hoch und kettete ihn mit den Handschellen in der gleichen Form wie zuvor Maren an das Bett. Ein letzter Blick, ein Sicherstellen, dass alles zu seiner Zufriedenheit geregelt war, dann verließ er die Hütte, zog die Skimaske von seinem Gesicht und sperrte hinter sich ab.

Er brachte Maren zu einem Krankenhaus am anderen Ende der Stadt, legte sie vor der Notaufnahme ab, ohne entdeckt zu werden, und fuhr wieder zurück zur Hütte. Mittlerweile war die Nacht angebrochen und die Scheinwerferlichter seines Wagens bohrten sich durch die Dunkelheit. Diesmal fuhr er direkt bis zur Hütte. Ruhig stieg er aus, öffnete seinen Kofferraum und nahm eine Sporttasche heraus, in der sich all das befand, was er für die nächsten 48 Stunden benötigte. Die Skimaske ließ er im Wagen. Es gab keine Verwendung mehr für sie. Ruhig sperrte er die Haustür auf, blickte ein letztes Mal um sich, betrat die Hütte, schloss die Tür hinter sich und begann sein Werk.

Der Archivar der Seelen

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