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Bürokratie vor Demokratie

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BÜROKRATIE VOR DEMOKRATIE

Die Entwicklung vom Fürstenstaat zum abstrakten Verwaltungsstaat hat auch seine positiven Seiten. Die aufkommende Dominanz des Staates unter lutherischer Prägung beruht auf dem Willen, vorherige Ereignisse zukünftig zu vermeiden. Erinnerungen aus dem Dreißigjährigen Krieg wie das Massaker der Bartholomäusnacht in Frankreich (1572) und der Mord an Wallenstein sind noch sehr präsent. Dieser Willkür konnte ein rechtmäßig eingesetzter Staat Einhalt gebieten. Dieser Staat aber musste ein neuer, ein vor- und fürsorgender Staat sein. Aus der Not entstand durch die dringend notwendigen Fragen der Absicherung der elementaren Bedürfnisse des Volkes, vor allem geweckt durch akute Hungersnöte in Kriegs- und Krisenzeiten die Grundlegung des modernen Wohlfahrtstaates, und die zu dieser Zeit in Deutschland entwickelten Prinzipien der Entwicklung entsprechender Systeme wurde seit der Hälfte des 19. Jahrhunderts ein echter deutscher Exportschlager. Nicht übersehen sollte man dabei, dass der damalige Staat so handelte, um durch das Überleben des Volkes sein eigenes Überleben zu sichern. Sämtliche merkantilistischen Tätigkeiten und Möglichkeiten der Machts- und Wirtschaftsexpansion liegen natürlich in den Händen der Machthaber, und ihre Träger sind die Beamten. Ihr Wesen ist der nicht klar umrissene, aber umso idealere „Staat“. Das Problem: Die Vielzahl der kleinen Fürstenstaaten mit ihren territorialen Machtansprüchen verhindern eine Einheitlichkeit in Form eines Staates über den gesamten deutschen Sprachraum. Wären die weniger gebildeten Zulieferer des Staatswesens, die Mitglieder des Volkes, gefragt worden, sie hätten schon damals nicht viel für die Idee des Staates übrig gehabt. Schließlich waren sie dem System des Beamten- und Bürokratenstaates ausgeliefert. Ein Zeugnis dafür ist Veit Ludwig Seckendorffs „Teutscher Fürstenstaat‘ von 1656, ein einflussreiches Werk aus der Lutherschule. Es bildet über ein Jahrhundert lang den wichtigsten Text zur politischen Bildung an den Universitäten. Der konservative Staatsmann Seckendorff plädiert für eine absolute Macht, die sogar die Gemeinschaft fördert, damit der Staat selbst die Macht behält. Die besondere Freiheit der Deutschen wird ihnen zu einem Verhängnis besonderer Art: Die freie Konfessionsausübung (seit dem Augsburger Religionsfrieden von 1555) ging mit der konkurrenzfreien Ausübung des Berufs einher. Die Territorialstaaten begannen, Handel und Gewerbe in eigener Regie zu gestalten. Einerseits musste sich das Bürgertum um nichts kümmern. Andererseits hatte es nichts zu sagen. Selbst in der Theorie des Widerstands ist der Staat Dreh- und Angelpunkt des Denkens, die in Deutschland bezeichnenderweise fast so alt ist wie das neuzeitliche Staatsmodell. Denn selbst wenn man die in Deutschland entstehende und herrschende Staatskonzeption ablehnt, muss man sie als herrschende voraussetzen, um nicht den Boden unter den Füßen zu verlieren. Das deutsche Staatsmodell, in dem man es mit einem System, nicht mit einem Despoten zu tun hat, ist nicht einfach wegzudenken oder zu beseitigen. Deswegen beschäftigt man sich in Deutschland schon im 17. Jahrhundert sehr intensiv mit der Frage, wann es legitim ist, gegen eine politische Autorität Widerstand zu leisten. Nach dem Dreißigjährigen Krieg war es bitter nötig, das wirtschaftliche Leben wieder in Gang zu bringen. Die neuen Intellektuellen der Zeit (die „alten“ besorgten in der Verwaltungswissenschaft den Nachschub an Getreide, die Finanzierung der Heere und andere Staatsaufgaben) sehnten sich nach dem Zusammenbruch alter Werte und nach einer neuen Ordnung, die auf Vernunft und Naturrecht beruht. Und vor allem: Einheit. Man suchte sie in einer tragenden Verfassung. Und auch diese sollte dem Verwaltungs- und Gestaltungswahn der Staatsbeamten zum Opfer fallen – bis schließlich nichts mehr dem Zufall überlassen war. Der Westfälische Frieden brachte eine neue Verfassung hervor, die die Fürsten des Landes regelrecht unabhängig machte und die zentrale Macht schwächen sollte. Das ist der Beginn der deutschen Kleinstaaterei. Um von einer Feudalgesellschaft vieler kleiner Fürstentümer zu einem modernen Staat zusammenzuwachsen, müssten diese Einzelmächte zu einer Macht vereinigt werden, die als gesetzgebende Autorität akzeptiert werden kann. Dies legt einen abstrakten Staat nahe, der mehr auf intellektuellem Kalkül als auf Pioniertaten beruht.

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