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Der deutsche Staat: Die Mensch-Maschine
ОглавлениеDER DEUTSCHE STAAT: DIE MENSCH-MASCHINE
Drei junge Intellektuelle, die 1795 in einer Tübinger Wohngemeinschaft leben, formulieren berauscht von den neuen Ideen der Aufklärung durch Kant und Schiller einen Sprengsatz, in dem sie deutlich machen, dass die Wirklichkeit in keinster Weise mehr den Ideen der Zeit entspricht. Diese Wirklichkeit ist der bestehende Staat, in dem sich die Freiheit nicht entfalten kann. Ihm setzen sie die neuen Ideale der Schönheit und eine neue Mythologie, die „Mythologie der Vernunft“ entgegen. Aus einer Mischung zwischen Religion und Ästhetik soll sie der „Menschheit“ endlich Seelenheil verschaffen. Es handelt sich um die beiden Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel und Friedrich Wilhelm Joseph Schelling sowie den Dichter Friedrich Hölderlin.
Diese drei späteren Vertreter des „deutschen Idealismus“ stimmen, wie alle anderen Vertreter dieser Richtung nach Kant, darin überein, den Menschen nicht lediglich als ein durch mechanische Ursachen oder durch sinnliche Anreize bestimmtes Naturwesen, sondern als geistiges Wesen zu betrachten, das sich über die Einschränkungen der Natur erheben und aus sich heraus eine geistige Welt erzeugen kann, in dem die Werte des Wahren, Guten und Schönen Gestalt annehmen können; dass sich jeder Mensch von den Fesseln der Notwendigkeiten befreien und Aufgaben lösen kann, die ihn über sich hinausführen – darin liegt seine Freiheit. Der Mensch macht sich zu dem, was er sein kann, und er ist nichts anderes als das, was er ständig aus sich hervorbringt. Er ist ständige Bewegung, Tätigkeit, Leben, und darin frei. Diese Freiheit hat nichts mit Willkür oder Beliebigkeit zu tun, sondern mit Aufmerksamkeit, Hingabe und Verantwortung. Dies ist nach den deutschen Idealisten die wahre Bestimmung des Menschen, die zum ersten Mal bei Kant deutlich geworden ist, als er den Menschen als selbst denkendes Wesen erkannt hatte. Aber gerade auf dem Gebiet des Rechts und im politischen Leben treffen Freiheit und Zwang, Macht und Ohnmacht in Deutschland hart aufeinander.
Ihr „Systemprogramm“, eine Art Flugblatt der Aufklärung, will den hinderlichen deutschen Staat gleich abschaffen: „Nur was Gegenstand der Freiheit ist, heißt Idee. Wir müssen also auch über den Staat hinaus! – Denn jeder Staat muss freie Menschen als mechanisches Räderwerk behandeln; und das soll er nicht; also soll er aufhören (...)“. Die Autoren wollen den Staat ganz abschaffen, weil es in ihrer Vorstellung gar keinen anderen Staat geben kann als den Maschinenstaat, vor denen sich jeder, der die Freiheit liebt, in Schutz bringen muss. Die Aufklärung bringt ihre ersten Früchte. Vorbei war es mit der einfachen Handhabung, jeden Menschen einer Rolle in einem Staat unterzuordnen. Aber ein „Reich der Freiheit“ war auch nicht unbedingt sofort auszumachen. Die Polarität Staat-Mensch blieb in der deutschen Realpolitik bestehen. Wie anders klingt da zum Beispiel die Amerikanische Verfassung nach der Vorlage der „Federalist Papers“, allein das erste Wort: „We, the American people...“. Den Mitgliedern der neuen amerikanischen Gemeinschaft wird die Verfolgung des persönlichen Glücks („the pursuit of their own happiness“) auferlegt – und der Staat ist auf nichts als „Meinung“ begründet („that all government rests upon opinion“). Für Deutsche bis heute kaum nachvollziehbare Gedanken. Und undenkbar, so etwas in der deutschen Verfassung wiederzufinden. Dort kämpft man sich bis heute mit der „Würde“ ab.