Читать книгу Ausgewählte Briefe, Band 2 - Sophronius Eusebius Hieronmyus - Страница 55
3.
ОглавлениеIch will Dir einmal etwas sehr Wichtiges verraten, was Dir leider unbekannt ist: Der kluge Mann kennt die Grenzen seines Könnens. Er macht nicht, von diabolischem Eifer beseelt, die ganze Welt zum Zeugen seiner Unfähigkeit. Natürlich möchtest Du gerne ein berühmter Mann sein. Du möchtest in Deiner engeren Heimat damit prahlen, daß ich Deiner Redegewandtheit nicht gewachsen sei und mich scheue, es mit Dir, einem zweiten Chrysippus, 2641 aufzunehmen. Christlicher Anstand hält mich zurück, in bissigen Worten bekanntzugeben, was sich in meiner stillen Klause zugetragen hat. Ich könnte sonst erzählen, daß Deine Tapferkeit und Deine Heldentaten selbst von Kindermund besungen wurden. 2642 Aber ich überlasse es anderen, davon zu sprechen und sich darüber lustig zu machen. Ich rede als Christ zum Christen mit der brüderlichen Mahnung: Wolle nicht klüger sein, als Du wirklich bist! Laß den Schreibstift ruhen, damit Du nicht anderen Deine Harmlosigkeit und Deine Einfalt verrätst, sowie das, was ich verschweige, was aber alle, ohne daß Du es ahnst, wissen. Es möchte sonst Deine Albernheit ein allgemeines Gelächter zur Folge haben. Deine Beschäftigung lag von Jugend an auf einem anderen Felde, Du bist zu einem anderen Berufe erzogen worden. Es geht nicht an, daß derselbe Mann goldene Münzen und die Hl. Schrift abwägt, Weinproben vornimmt und die Propheten und Apostel erklärt. 2643 Über mich ziehst Du her; dem heiligen Bruder Oceanus 2644 wirfst Du häretische Auffassungen vor; das Urteil der Priester Vinzentius 2645 und Paulinian 2646 sowie des Bruders Eusebius 2647 erregt Dein Mißfallen. Du allein bist des römischen Volkes beredter Cato, der für seine weisen Worte Glauben verlangt. Denkst Du noch an jenen Tag, an dem ich über die Auferstehung im wirklichen Fleische predigte? Da sprangst Du an meiner Seite auf, klatschtest mit den Händen Beifall, stampftest mit den Füßen und priesest mich laut als einen Verkünder des rechten Glaubens. Als Du aber auf See warst und die faulige Schiffsjauche bis ins Innerste Deines Gehirns gedrungen war, da fiel Dir plötzlich ein, ich sei ein Häretiker. Wie soll ich mich nun zu Dir stellen? Ich verließ mich auf die Briefe des heiligen Priesters Paulinus, ohne zu vermuten, daß er in Deiner Beurteilung irregehen könnte. Zwar fiel mir sofort nach Entgegennahme des Briefes Deine unzusammenhängende Rede auf, aber ich führte sie mehr auf Dein bäuerisches Wesen und Deine Einfalt als auf Deinen Wahnsinn zurück. Den heiligen Mann tadle ich nicht. Er zog es vor, das, was er wußte, vor mir geheimzuhalten, statt seinen Schützling in dem Briefe, den dieser überbrachte, zu beschuldigen. Aber mich muß ich anklagen, weil ich mich mit dem Urteil anderer zufrieden gab, statt mich auf mein eigenes zu verlassen, und einem Blatt Papier, das mir vorlag, mehr traute als meinen Augen.