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10. MAI 1980

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Mahārāj: Wie bin ich zu der Wahrheit gelangt, dass ich für immer bestehen werde? Weil ich über den Meditierenden meditierte, weil „Ich-bin-Sein“ mit „Ich-bin-Sein“ verschmolz. Erst dann verstand ich, was meine wahre Natur ist. Die bedeutenden Weisen haben auf dieselbe Art meditiert. Niemand hat mir gesagt, wie ich es machen soll. Ich habe dieses Wissen nicht im Äußeren gesucht. Es ist in mir aufgekeimt.

Ich meditierte wie die Weisen und hatte eine Vision. Zu Anfang gab es Raum, und in dem Raum sah ich die Prinzipien verkörpert. Streng genommen haben sie zwar keine Körper, aber in meiner Vision hatten sie Körper. Ich nannte sie Purusha und Prakriti8, den männlichen und weiblichen Aspekt des kosmischen Bewusstseins.

Bis zur Vereinigung von Prakriti und Purusha ruhte das alldurchdringende Bewusstsein in einem latenten Zustand. Bei der Vereinigung des männlichen und weiblichen Aspektes wurden in den weiblichen Körper Absonderungen eingepflanzt. Als sich diese Absonderungen in der Gebärmutter vermischten, nahmen sie Gestalt an, und nach einer Wachstumsperiode von neun Monaten wurde ein Säugling geboren.

Das Bewusstsein, das in die Gebärmutter eingepflanzt worden war, war der Kausalkörper, der „Lingadeha9. In diesem „Lingadeha“ ruhte das Wissen vom „Ich bin“ in einem latenten Zustand. Das sah ich in der Meditation.

Frage: Wie haben wir diesen Zustand des reinen Bewusstseins verloren?

Jedes Lebewesen erfährt den Īshvara-Zustand10, entweder unmittelbar oder in potenzieller Weise, aber es ist so verstrickt in diese objektive Welt, dass es seine Identität verliert. Du musst wissen, was dieses Prinzip des „Ich bin“ ist. Es taucht ganz spontan auf, und damit beginnt das Rätsel des begrifflichen Lebens.

Wie beginne ich mit dieser Suche nach meinem Selbst?

Fang beim Anfang an. In dieser grobstofflichen Welt fing ich bei meinen Eltern an, denn ich wusste genau, dass mein Prinzip bereits in der Vereinigung ihrer körperlichen Elemente vorhanden war, aus denen ich hervorging. Aber ich bin zu dem Schluss gekommen, dass ich nicht dieses Prinzip sein konnte, das aus dem Körper der Mutter kam.

Es gibt niemanden hier, der 100 Jahre alt ist. Bedeutet das, dass du vor 100 Jahren nicht existiertest?

Ich weiß nicht.

Der, der „ich weiß nicht“ sagt, muss da gewesen sein. Kurz gesagt, du warst zwar nicht so, aber du musst doch irgendetwas gewesen sein. Du musst das richtig begreifen. Vor 100 Jahren war ich nicht so. Der, der darauf hinweist, muss aber da gewesen sein. Du warst immer da und wirst bis in alle Ewigkeit existieren.

Was ich hier erläutere, bezieht sich nicht auf weltliches Wissen. Du willst weder das weltliche, noch das sogenannte spirituelle Wissen aufgeben, und doch möchtest du mithilfe dieser weltlichen Konzepte das Rätsel deiner Existenz verstehen. Gerade deswegen kannst du es nicht verstehen.

In Wahrheit ist dein Zustand absolute Glückseligkeit und nicht dieser an die Phänomene gebundene Zustand. In diesem nichtphänomenalen Zustand bist du voller Seligkeit, aber es gibt keine Erfahrung ihrer Gegenwärtigkeit. In diesem Zustand gibt es keine Spur von Leiden oder Unglück, nur ungetrübte Glückseligkeit. Wovon spreche ich?

Ānanda (Glückseligkeit).

Weil du eine Befriedigung gemäß deiner eigenen Konzepte möchtest, versuchst du, die ungetrübte Glückseligkeit mit Eigenschaften zu belegen. Der Begriff „ānanda“ hat nur dann eine Bedeutung, wenn es ein körperliches Sein gibt, das man erleben kann. Wenn du im Tiefschlaf Gebilde siehst, dann träumst du ja. Kommen denn solche Traumgebilde etwa nicht aus deinem eigenen Sein? Was du auch siehst, sogar im Wachzustand, kommt es nicht aus deinem eigenen Sein, das im Körper wohnt?

Im Tiefschlaf war das Bewusstsein in einem latenten Ruhezustand. Es gab weder Körper, noch Konzepte, noch Behinderungen. Nach der Ankunft dieses scheinbaren Wachzustandes, mit der Ankunft des Konzeptes „Ich bin“, erwachte die Liebe für das „Ich bin“. Das ist schon Māyā, Illusion.

Meinen Sie, Mahārāj, dass es das Selbst ist, das die drei Zustände erfährt?

Das ist der Zustand des Saguna Brahman11. Wegen deines Seins gibt es die anderen Zustände. Die Traumwelt ist sehr alt, sie ist nicht neu. In deinen Träumen siehst du alte Monumente. Dein Sein ist äußerst machtvoll.

Allein das Auftauchen dieses Seins macht die Zeit aus. Alles ist Sein, aber ich, das Absolute, bin das nicht. In der Meditation gab es Raum, und da erschienen plötzlich zwei Formen aus der Formlosigkeit, Prakriti und Purusha. Und die Quintessenz dieser Formen war das Wissen „Ich bin“. Es gab keine Formen, und dann erschienen plötzlich Formen, so wie in der Traumwelt.

Du als Träumer schläfst in deinem Bett, aber in deiner Traumwelt siehst du einen Körper und denkst, dass du das bist und dass du alles mithilfe dieses Traumkörpers machst. In derselben Weise werden Körper im sogenannten Wachzustand erschaffen.

Der Zustand von Prakriti und Purusha hat keine Form und ist ewig, hat also weder einen Anfang noch ein Ende. Aber aus ihm kommen die fünf Elemente, und gleichzeitig mit ihnen wird in dem Moment, in dem zum ersten Mal Zeit erfahren wird, der Körper gebildet. Dieser Prozess geht immer weiter, wobei die körperliche Gestalt lediglich die Möglichkeit anzeigt, Zeit zu erfahren. Diese Erklärung wird nicht allen einleuchten.

Mit welcher Identität würdest du gern im Moment des sogenannten Todes fortgehen?

Als Parabrahman12.

Das Absolute, das ich Parabrahman nenne, wie ist es? Du machst nichts anderes, als Worte mit weiteren Worten zu multiplizieren, Konzepte mit weiteren Konzepten.

Mahārāj, Sie müssen mich da herausbringen.

Kannst du definieren, was du bist?

Ich brauche Ihren Segen, um zu verstehen, was ich bin.

Du bist ein geschickter Wortspieler. Während ich über das Wissen jenseits dieser phänomenalen Welt spreche, versuchst du, mit weltlichen Konzepten und Worten zu verstehen. Gib all diese Konzepte auf und frage nach der Natur deines Seins. Wie kam es dazu, dass es dich gibt? Denk darüber nach! Der wahre Segen des Gurus kommt, wenn dein Wissen von selber in dir aufkeimt.


8 In der dualistischen Sāmkhya-Philosophie, deren praktische Anwendung man im Yoga, insbesondere dem Hatha-Yoga findet, sind Prakriti und Purusha die beiden grundlegenden Prinzipien des Weltgeschehens: das Aktive, Materielle (prakriti) und das Passive, Geistige (purusha). Es gibt nur eine Prakriti, aber unendlich viele Purushas.

9 Von Sanskrit linga – Zeichen Symbol, und deha – Körper.

10 Īshvara, wörtlich „Herrscher, Gott“, bezeichnet allgemein den höchsten persönlichen Gott, also z.B. sowohl Shiva als auch Vishnu.

11 Brahman bedeutet das Absolute, sa-guna – mit Eigenschaften (guna), im Gegensatz zu nir-guna – ohne Eigenschaften. Nicht zu verwechseln mit dem Gott Brahmā.

12 Parabrahman – das höchste Brahman oder Absolute.

Bewusstsein und das Absolute

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