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B.Deutsche Verfassungsgeschichte im Überblick § 5Die Zeit vor 1848

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16Staats- und Verfassungsrecht im modernen, oben dargestellten Sinne sind, da sie an die Existenz eines Nationalstaates anknüpfen, erst seit dem Beginn der Herausbildung von Territorialstaaten ab dem 16. Jahrhundert denkbar und ab dem Ende des 18. Jahrhunderts verwirklicht, erst in Nordamerika und Frankreich, später auch in Deutschland. Das mittelalterliche Herrschaftsverständnis war wesentlich von der Vorstellung von Personenverbänden geprägt, die Rechtsstellung des Königs im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation war nicht durch Rechtstexte umschrieben. Erst mit der Zeit wurden einzelne mit der Organisation von Herrschaft zusammenhängende Fragen als Rechtsfragen aufgefasst und in später sogenannten „Reichsgrundgesetzen“ (leges fundamentales, insb. die Goldene Bulle von 1356 und der Augsburger Religionsfriede von 1555) geregelt. Der Aufstieg der Territorien, der durch den Westfälischen Frieden von 1648 beschleunigt wurde, führte zu einer neuen Konzeption von Staatlichkeit, die den oben vorgestellten Begriff der Souveränität zum Ausgangspunkt nahm. Die Philosophie der Aufklärung (Thomas Hobbes, John Locke und vor allem Jean-Jacques Rousseau) entwickelte das oben dargestellte Vertragsmodell zur Begründung staatlicher Herrschaft.

17Die mit diesem Staatsverständnis zusammenhängende Idee einer geschriebenen, staatliche Macht begrenzenden Verfassung stellte einen Bruch mit der überkommenen, monarchischen Tradition dar, der mit der Unabhängigkeitserklärung der Amerikanischen Kolonien (1776) und der Französischen Revolution (1789) im Ausland auch in der politischen Realität effektuiert wurde. In Deutschland kam es zu einer derart grundlegenden Umwälzung nie, jedoch hatten diese Ereignisse auch hier großen Einfluss auf die Entwicklung des Staatsverständnisses.

18Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation (Altes Deutsches Reich), das aus über 30 Monarchien bestand, war durch den Aufstieg der Territorien bereits stark zersplittert, als die napoleonischen Kriege und der daran anschließende Wiener Kongress (1815) zu einer grundlegenden Neuordnung Europas führten. Unter Napoleons Einfluss traten viele Fürsten aus dem Reich aus, gründeten 1806 den sog. Rheinbund und nahmen eigene Souveränität auch gegenüber dem Reich für sich in Anspruch. Am 6.8.1806 legte Franz II. als damit letzter Kaiser des alten Reichs – von Napoleon ultimativ dazu aufgefordert – die deutsche Kaiserwürde nieder. Der Rheinbundakte vom 12.7.1806 traten nach und nach alle deutschen Territorialstaaten mit Ausnahme Preußens und Österreichs bei. Sie waren durch diesen völkerrechtlichen Vertrag mit dem französischen Kaiser diesem gegenüber zur Kriegsbeteiligung verpflichtet.

19Die Niederlage Napoleons in den Befreiungskriegen mit der Völkerschlacht bei Leipzig als Höhepunkt und die auf die Besetzung von Paris im März 1814 folgende Abdankung Napoleons resultierten in einer weiteren Stabilisierung der bereits vorhandenen Partikularstaaten. Im Pariser Frieden war eine Versammlung zur Neuorganisation Europas vorgesehen, die als Wiener Kongress von 1814 bis 1815 stattfand und in die Deutsche Bundesakte vom 8.6.1815 und die Wiener Kongressakte vom 9.6.1815 mündete. Mit der Deutschen Bundesakte entstand der Deutsche Bund als völkerrechtlicher Staatenbund, dem neben den deutschen Fürstentümern auch Dänemark, die Niederlande und Luxemburg angehörten. Er umfasste 38 Staaten, wobei Österreich und Preußen eine besondere Machtposition innehatten. Das einzige zentrale Organ des Deutschen Bundes, der Bundestag, tagte unter dem Vorsitz Österreichs in Frankfurt. Primäre Funktion des Deutschen Bundes war die Gewährleistung äußerer und innerer Sicherheit, eine Rechtsetzungskompetenz kam ihm nicht zu.

20Erste dauerhafte Verfassungen auf deutschem Boden entwickelten sich daher in den Einzelstaaten, insbesondere in Baden und Bayern (1818) sowie Württemberg (1819). Diese Verfassungen des sog. Süddeutschen Frühkonstitutionalismus kamen jedoch nicht durch eine Abspaltung oder Revolution wie in Amerika oder Frankreich zustande, sondern wurden von den Fürsten, die nach Art. 13 der Deutschen Bundesakte sogar zu „landständischen Verfassungen“ verpflichtet waren, als Mittel zur Aufrechterhaltung der eigenen Macht eingesetzt.7 Sie wurden teilweise oktroyiert (Bayern), teilweise mit den Ständen vereinbart (paktiert, Württemberg), jedenfalls aber waren sie „herrschaftsmodifizierend, nicht herrschaftsbegründend“ (Dieter Grimm).

21In dieser Situation zunehmender Verfestigung der partikularstaatlichen Souveränität war eine politische Einheit der über eine einheitliche Sprache und Kultur verfügenden deutschen Nation Sehnsüchten und Wünschen vorbehalten, die sich in den nachfolgenden Jahrzehnten in der Romantik widerspiegelten. Ein erster Schritt zu einer gemeinsamen Zentralgewalt war die Gründung des ab 1834 so bezeichneten Deutschen Zollvereins infolge des preußischen Zollgesetzes von 1818, der mit der Etablierung einer zollrechtlichen Freihandelszone zunächst aber nur wirtschaftliche Bedeutung hatte.

Staatsrecht I

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