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§ 11Besatzungszeit und Grundgesetz

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40Die Niederlage Deutschlands im 2. Weltkrieg führte zum vollständigen Zusammenbruch des nationalsozialistischen Unrechtssystems und einem Neubeginn unter alliierter Besatzung. Bereits während des Krieges waren Überlegungen für die zukünftige politische und staatsrechtliche Organisation Deutschlands in der sog. Atlantikcharta festgehalten worden. Im auf der Krimkonferenz vom 4.–11.2.1945 beschlossenen Abkommen von Jalta wurde die Forderung nach der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands festgehalten, das Potsdamer Abkommen enthielt Regelungen über die Zusammenarbeit der Alliierten, wie insbesondere die Einrichtung des Alliierten Kontrollrates und des Rates der Außenminister.

Die unterschiedlichen Interessen sowie internen Verhältnisse der Alliierten gestalteten das weitere Verfahren schwierig: Einigkeit bestand zunächst hinsichtlich einer Aufteilung Deutschlands in vier Besatzungszonen und der vollständigen Zerstörung der nationalsozialistischen Strukturen. Frankreich und die Sowjetunion sprachen sich für eine möglichst weitgehende Schwächung Deutschlands aus, die Sowjetunion strebte auch keine Demokratie nach westlichem Muster an. Der Wiederaufbau des politischen Lebens begann in der Kommune, 1946 und 1947 wurden in ganz Deutschland Länder gegründet. Die Spaltung in Zonen führte schließlich zu einer weiteren Schwächung der ohnehin durch den Krieg beeinträchtigten Wirtschaft. Da insbesondere die USA eine wirtschaftliche Erstarkung Deutschlands für erforderlich hielten, kam es zum Zusammenschluss der Zonen, zunächst der englischen und amerikanischen (sog. Bizone), später auch der französischen (sog. Trizone). Eine Einheit aller vier Zonen wurde wegen der unüberbrückbaren Differenzen der Westmächte mit der Sowjetunion für nicht realisierbar gehalten. Im Rahmen der sog. Sechs-Mächte-Konferenz vom 23.–26.2.1948, an der sich neben den drei westlichen Alliierten auch die sog. Benelux-Staaten beteiligten, wurde eine vorläufige politische Neuordnung eines westdeutschen Staates beschlossen, die einerseits eine Stabilisierung gewährleisten, andererseits jede Anfälligkeit für nationalsozialistische wie kommunistische Ideologien verhindern sollte.

Man entschloss sich zu einem föderalistischen System mit einem erheblichen Gewicht der Länder bei gleichzeitiger Etablierung einer Zentralgewalt, die stark genug sein sollte, die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse und der wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland zu gewährleisten. Als Voraussetzungen hierfür wurden die Demokratisierung sowie die Gewährleistung von Recht und Freiheit einschließlich eines Justizwesens mit einem Obersten Gerichtshof, der über die Einhaltung subjektiver Rechtspositionen wachen sollte, gesehen36.

Die genaue Ausgestaltung des Regierungssystems war zwischen Großbritannien, das die Bildung eines Zweikammersystems auf Zentralebene forderte, und Frankreich, das lediglich eine aus Vertretern der Einzelstaaten gebildete Zentralinstanz zulassen wollte, umstritten37. Ein Einlenken Frankreichs in dieser Frage wurde letztlich durch wirtschaftliche Zugeständnisse erzielt, wobei – um eine Schwächung der französischen Position in der Öffentlichkeit zu vermeiden – die Ergebnisse der Londoner Konferenz nur teilweise veröffentlicht wurden38, was zu Missdeutungen in Deutschland führte.

41Sie wurden schließlich von den Alliierten in ein an die deutschen Politiker und die Öffentlichkeit gerichtetes Dokument umgearbeitet, das nach dem Ort der Übergabe im Frankfurter Hauptquartier der Alliierten später „Frankfurter Dokumente“ genannt wurde. Darin waren die Beschlüsse der Alliierten in arbeitstaugliche Vorgaben an die westdeutschen Ministerpräsidenten umformuliert. Insgesamt wurden drei Dokumente vorgelegt: Dokument Nr. I enthielt Bestimmungen für eine zukünftige Verfassung Deutschlands, in Dokument Nr. II ging es um die Länderneugliederung in den westlichen Besatzungszonen, in Dokument Nr. III wurden Grundzüge eines Besatzungsstatuts39 mitgeteilt.

Dokument Nr. I lautete:

„In Übereinstimmung mit den Beschlüssen ihrer Regierungen autorisieren die Militärgouverneure der amerikanischen, britischen und französischen Besatzungszone in Deutschland die Ministerpräsidenten der Länder ihrer Zonen, eine verfassungsgebende Versammlung einzuberufen, die spätestens am 1. September 1948 zusammentreten sollte. Die Abgeordneten zu dieser Versammlung werden in jedem der bestehenden Länder nach den Verfahren und Richtlinien ausgewählt, die durch die gesetzgebende Körperschaft in jedem dieser Länder angenommen werden. Die Gesamtzahl der Abgeordneten zur verfassungsgebenden Versammlung wird bestimmt, indem die Gesamtzahl der Bevölkerung nach der letzten Volkszählung durch 750000 oder eine ähnliche von den Ministerpräsidenten vorgeschlagene und von den Militärgouverneuren gebilligte Zahl geteilt wird. Die Anzahl der Abgeordneten von jedem Land wird in demselben Verhältnis zur Gesamtzahl der Mitglieder der verfassungsgebenden Versammlung stehen, wie seine Bevölkerung zur Gesamtbevölkerung der beteiligten Länder.

Die verfassungsgebende Versammlung wird eine demokratische Verfassung ausarbeiten, die für die beteiligten Länder eine Regierungsform des föderalistischen Typs schafft, die am besten geeignet ist, die gegenwärtig zerrissene deutsche Einheit schließlich ­wieder herzustellen, und die Rechte der beteiligten Länder schützt, eine angemessene Zentralinstanz schafft und die Garantien der individuellen Rechte und Freiheiten enthält. […]“

42Nach einigen Unstimmigkeiten40 kam es schließlich auf der Frankfurter Konferenz vom 26.7.1948 zu einer Einigung zwischen den Alliierten und den Ministerpräsidenten. Dabei wurden die Londoner Empfehlungen im Wesentlichen angenommen, man einigte sich lediglich auf die Bezeichnung „Grundgesetz“ statt „Verfassung“, was einerseits den provisorischen Charakter eines zu gründenden westdeutschen Staates und seiner Verfassung zum Ausdruck brachte, andererseits an die „leges fundamentales“ des Alten Reiches anknüpfte. Ferner wurde statt einer (vom Volk gewählten) verfassunggebenden Versammlung ein aus Ländervertretern gebildeter „Parlamentarischer Rat“ als Forum zur Ausarbeitung des Grundgesetzes akzeptiert.

43Nach der Ausarbeitung eines Verfassungsentwurfs auf dem sog. Verfassungskonvent von Herrenchiemsee im August 1948 konstituierte sich der Parlamentarische Rat am 1.9.1948 in Bonn. Er bestand aus 65 von den Landtagen gewählten Mitgliedern, darunter auch Carlo Schmid, Theodor Heuss und Konrad Adenauer. Neben einer Vollversammlung (Plenum) wurden Ausschüsse gebildet, in denen die Sachfragen im Einzelnen diskutiert wurden: der Hauptausschuss, der Ausschuss für Grundsatzfragen, der Ausschuss für Zuständigkeitsabgrenzung, der Ausschuss für Finanzfragen, der Ausschuss für die Organisation des Bundes sowie der Ausschuss für Verfassungsgerichtshof und Rechtspflege. Außerdem gab es noch interfraktionelle Gremien und einen allgemeinen Redaktionsausschuss.

Nach nur acht Monaten, in denen jedoch über fast jede Verfassungsbestimmung intensiv diskutiert wurde, beschloss das Plenum des Parlamentarischen Rates die endgültige Fassung des „Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland“ in der dritten Lesung am 8.5.1949. Am 12.5.1949 erfolgte die Genehmigung durch die drei Militärgouverneure der westlichen Besatzungszonen, General Clay (USA), General Robertson (Großbritannien) und General Koenig (Frankreich). Mit dem Genehmigungsschreiben wurde den Ministerpräsidenten die Befugnis erteilt, das Verfahren der Ratifizierung in den Landtagen durchzuführen.

44Das Grundgesetz lag den Parlamenten der elf Länder der westlichen Besatzungszonen zwischen dem 18. und dem 21.5.1949 zur Ratifizierung vor41. Der bayerische Landtag lehnte das Grundgesetz am 20.5.1949 ab, stellte jedoch fest, dass das Grundgesetz für den Fall der Zustimmung durch 2/3 der Parlamente der übrigen Länder auch in Bayern wirksam sein sollte. Die übrigen Parlamente nahmen das Grundgesetz an. Am 23.5.1949 wurde es in Bonn vom Präsidenten des Parlamentarischen Rates verkündet und im Bundesgesetzblatt veröffentlicht. Mit Ablauf dieses Tages trat es in Kraft42.

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