Читать книгу Menschenwürde nach Nietzsche - Stefan Lorenz Sorgner - Страница 16
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2 Menschenwürde bei Cicero
Die erste bedeutende Konzeption der notwendigen Menschenwürde ist die Ciceros. Der Römer Marcus Tullius Cicero (geb. 3. Januar 106 v. Chr. in Arpinum [heute Arpino]; ermordet 7. Dezember 43 v. Chr. bei Formiae [heute Formia]) war der erste bedeutende Philosoph, bei dem ein Konzept der notwendigen Menschenwürde, das die Gleichheit aller Menschen impliziert, vorzufinden ist.1 Das Konzept der Gleichheit kam innerhalb der westlichen Philosophiegeschichte bereits vor Cicero vor (z.B. Antiphon oder Stoa), jedoch war Cicero der erste bekannte Denker, der diese Gleichheit mit dem Wort „Würde“, lat. dignitas, bezeichnete.2 Cicero wird häufig der Stoa zugerechnet, jedoch ist stoisches Gedankengut nur beim späten Cicero vorherrschend. In dieser Schaffensepoche vertrat er die Meinung, dass die Tugend allein zum guten Leben ausreiche. Das „entschiedenste Plädoyer für die stoische Lehre“ vertrat er in den „Tusculanen“ (Forschner 1999, 167). Insbesondere die Ethik der mittleren Stoa, d.h. von Poseidonios und Panaitios, war dann für ihn von zentraler Bedeutung. Der frühe Cicero hingegen3 hielt auch körperliche Eigenschaften und äußere Faktoren für Güter, wie dies auch bei den Akademikern und Peripatetikern der Fall ist.4 Cicero ist der neueren Akademie zuzurechnen.5 Den erkenntnistheoretischen Skeptizismus der neueren Akademie lernte er durch Philon von Larissa kennen6. Er ist stets Skeptiker geblieben. Wie Philon von Larissa vertrat Cicero zunächst „die Identität der alten und neuen Akademie“ und die Auffassung der „Akademie und des Peripatos als durchaus verwandter Schulen“ (Goedeckemeyer 1905, 149).
„M. Tullius Cicero, so die geltende Meinung der meisten neueren Philosophen, habe mit Philosophie überhaupt nichts zu schaffen“ (Mancal 1982, I). Diese Grundhaltung wird sowohl in der deutschen als auch in der englischsprachigen Tradition vertreten.7 Viele Cicero-Exegeten vermuten, dass diese Grundhaltung letztlich auf Mommsens vehemente Cicero-Kritik zurückzuführen ist.8 Die ablehnende Haltung hinsichtlich Ciceros Denken ist unangemessen, denn er hat wirkungsmächtige Ideen entwickelt, z.B. die der Menschenwürde, und er hat auf die Geschichte der Ethik einen enormen Einfluss gehabt. Im Mittelalter gehörten Ciceros Schriften zum Kanon der behandelten antiken Werke, Martin Luther schätzte sie und auch Kopernikus ließ sich von ihnen anregen.9 Die Autoren, die sich intensiv mit Cicero auseinandersetzten, gehören zu den bedeutendsten der Ethikgeschichte: Plinius d. Ä., Augustinus, Petrarca, Pico della Mirandola, Voltaire, Friedrich der Große.10 Weiterhin sind Thomas von Aquin, Leon Battista Alberti, Castiglione, Erasmus von Rotterdam, Francis Bacon, Hugo Grotius, Spinoza, Rousseau, Kant und Otto von Bismarck zu nennen, die von seinem Denken inspiriert wurden.11 Es wird sogar behauptete, dass „De Officiis“, Ciceros Hauptwerk, auf das ich hauptsächlich eingehen werde, „das Hauptbuch der abendländischen Moralphilosophie geworden und bis ins achtzehnte Jahrhundert geblieben“ sei (Reich 1935, 130). Diese Meinung wird von Martha Nussbaum geteilt (2000, 178). In Bezug auf die Schrift „De Officiis“ wird Cicero vorgeworfen, dass er Panaitios ausschließlich ins Lateinische übersetzt habe (Maurach 1997, 71). Er selbst betont jedoch seine Unabhängigkeit von Panaitios Schriften in „De Officiis“, wenn er schreibt, dass er ihm zwar gefolgt sei, aber „ohne ihn zu übersetzen“ (De off. II 60). Diese Einschätzung ist von uns nicht nachzuprüfen, da uns die Schriften des Panaitios nicht vorliegen.